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Florian Fisch

Wissenschaftlich erwiesen

Gütesiegel oder Etikettenschwindel?

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Autor

Florian Fisch

Bern

Schweiz

Titelbild

Fotolia.com © bluedesign

Über den Autor

Florian Fisch, geboren 1978, arbeitet als freischaffender Wissenschaftsjournalist und als Wissenschaftserdaktor beim Schweizerischen Nationalfonds in Bern. Er studierte Biologie an den Universitäten Lausanne und Neuchâtel, forschte am botanischen Institut in Basel und promovierte im englischen York in Biochemie. Florian Fisch ist mit Leib und Seele Wissenschaftler geblieben. In Zeitungen und Zeitschriften wie der »NZZ am Sonntag« und »Laborjournal« berichtet Florian Fisch von genialen Entdeckungen in der Wissenschaften des Lebens und er hinterfragt die menschlichen Vorgänge in den Tiefen des Labors. Im Buch »Ein Versuch – Genforschung zwischen den Fronten« zeichnete er ein Porträt einer hitzigen gesellschaftlichen Kontroverse um einen kleinen Feldversuch mit gentechnisch veränderten Pflanzen an der ETH Zürich.

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Dank

Ich danke dem »Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus« für die finanzielle Unterstützung aus dem Recherchierfonds. Ganz besonders danke ich Silvia Ursprung für ihre wertvollen und kritischen Rückmeldungen zu meinen Gedanken und Texten. Sie und viele andere haben mich in hektischen Zeiten stets voll unterstützt.

Einführung – Wahrheit ist gesund

In der Schule lernen wir: Das Leben besteht aus Zellen, die Abkürzung NaCl steht für Kochsalz und die Gravitation hat Isaac Newton einen Apfel auf den Kopf geschmissen. Das ist natürlich sehr nützlich zu wissen – besonders beim Ausfüllen von Kreuzworträtseln.

Was wir in der Schule kaum lernen, ist, wie wir die Wahrheit überhaupt erkennen. Wie wir wahre Aussagen von falschen unterscheiden können. Wie sich starke Argumente von schwachen unterscheiden. Woher können wir wissen, ob das Leitungswasser trinkbar ist oder nicht? Welcher Teil des Wikipedia-Artikels ist glaubwürdig und welcher eher nicht?

Das Schulwissen ermöglicht es uns zwar, mit Behörden zu kommunizieren und einem Verkäufer beim Geldzählen auf die Finger zu schauen. Das ist wichtig – ohne Zweifel. Gleichzeitig wickelt uns jeder dahergelaufene Guru um die Finger. Die Menge des Wassers wird auf den letzten Cent abgerechnet, und daneben geben wir ein Vielfaches dafür aus, einen magischen Apparat zur Vitalisierung des Wassers zu installieren.

Während sich die Philosophen heute noch streiten, was Wahrheit ist und ob es überhaupt eine gibt, haben in der Renaissance ein paar von ihnen eine länderübergreifende soziale Bewegung gegründet. Die Mitglieder beschlossen, die Natur selbst als Schiedsrichter für ihre Argumente zu brauchen. Dieser Schiedsrichter entscheidet keine der wirklich großen Fragen wie: Gibt es Schönheit? Oder: Warum lässt Gott das Leiden auf dieser Welt zu?

Mit diesem Schiedsrichter im Hintergrund begannen die Naturphilosophen – wie sie sich selber nannten – Tiere zu sezieren, Mikroskope zu bauen und die Luft aus Glasglocken herauszupumpen. Sie wollten nicht den Gurus glauben, sondern selbst schauen. Nullius in verba, nicht die Aussage anderer ist entscheidend, so lautet das Motto der vor über 350 Jahren gegründeten und heute immer noch aktiven »Royal Society of London for Improving Natural Knowledge«.

Heute nennen die Englischsprachigen diese Naturphilosophen »Scientists«, was nur ungenau mit Naturwissenschaftler übersetzt werden kann. Wenn ich in diesem Buch von Wissenschaftlern spreche, meine ich empirische Wissenschaftler, also alle, die es zu ihrer Hauptbeschäftigung gemacht haben, Hypothesen an einer objektiven Realität zu überprüfen. Damit sage ich nicht, dass Physiker, Geografen und experimentelle Psychologen wichtiger sind als andere Denker wie Philosophen, Literaturwissenschaftler und Historiker. Ich sage einzig, dass sie dank des Schiedsrichters Natur ihrer Aussagen sicherer sein können als die, die sich nur auf ihren Verstand verlassen müssen.

Die Wissenschaftler vor 350 Jahren standen gebannt um eine Vakuumpumpe, um zu sehen, wie sich eine Kuhblase bei Unterdruck wie ein Ballon aufblies oder wie das arme Vögelchen ohne Atemluft sterben musste. Damals war Wissenschaft den reichen Gentlemen vorbehalten. Die meisten Menschen hatten schon damals andere Sorgen als den luftleeren Raum zu studieren.

Und heute kann ein Wissenschaftler nicht auch nur annähernd allen Experimenten seines Faches folgen. Grob 400 Millionen Fachartikel wurden bis heute publiziert, und alle neun Jahre verdoppelt sich die Publikationsrate. Wie sollen da Ärzte, Lehrer, Journalisten, Politiker, Beamte und Ingenieure wissen, was Sache ist?

Dies ist schwierig, aber nicht unmöglich. Für Wissenschaftler gibt es unzählbar viele ungetestete, interessante Hypothesen und ein paar langweilige, gesicherte Theorien. Über diese besteht meist ein breiter Konsens unter den Wissenschaftlern – viel öfter als Laien glauben. In diesem Buch möchte ich Ihnen an haarsträubenden Beispielen zeigen, dass genau dieser Konsens der beste Zugang zur Wahrheit ist, den wir haben.

Ist ein Glas Rotwein wirklich gut fürs Herz? Ist HIV gar nicht der Auslöser von AIDS? Sind Gene eine kapitalistische Verschwörung? Müssen wir an die Evolution glauben? Was spricht gegen eine Masernimpfung? Wer kann uns sagen, ob Tamiflu vor Neuansteckungen mit Grippe schützt? Sollen wir den Journalisten trauen? Und warum vertragen Politiker den Klimawandel so schlecht?

Diese Themen haben eines gemeinsam: Es herrscht dazu ein wissenschaftlicher Konsens. Und doch haben große Teile der Menschheit das Gefühl, sie seien entweder ungelöst oder reine Glaubenssache. Mit diesem Buch möchte ich Ihnen zeigen, dass die Wahrheit keine Erfindung von Eliten zur Unterdrückung der Machtlosen ist. Im Gegenteil: Wenn wir die Wahrheit nicht erkennen – oder gar leugnen – kostet dies vielen Menschen das Leben.

Februar 2016

Florian Fisch