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Zielgenau bis ans Ende des Tunnels

Handbuch für die Bauvorbereitung, Vermessung und Bauüberwachung von Schildvortrieben

Dietmar Placzek

Rolf Bielecki

Manfred Messing

Frank Schwarzer

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Vorwort

Der maschinelle Tunnelbau hat in den zurückliegenden Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen, auch dort, wo bislang bergmännische Bauweisen weit verbreitet waren. Damit einher ging in den letzten 10 bis 15 Jahren eine rasante Entwicklung der Automatisierung und Digitalisierung, um ein Höchstmaß an Genauigkeit und Geschwindigkeit bei Schildvortrieben ohne menschliche Fehlerquellen mit hoher Sicherheit für Mineure und Umfeld zu erreichen.

Doch trotz umfassender Mechanisierung stellen unterirdische Schildvortriebe auch heute noch besondere Herausforderungen beim sehr komplexen Tunnelbau dar. Diese exemplarisch für die Bauvorbereitung (Planung und Ausschreibung), Vermessung und Bauüberwachung erstmalig zusammengefasst zu erläutern, soll Aufgabe dieses Buches sein. Es wurde u. a. aus der Fülle gemachter Erfahrungen für Bauherrn, Planer, Bauausführende sowie für den Ingenieurnachwuchs geschrieben und wird der weiteren Forschung und Entwicklung wichtige Hinweise geben.

Das vorliegende Buch stellt die unterschiedlichen Anforderungen an den Schildvortrieb dar, weist auf Risiken hin und bietet von der Bauvorbereitung bis zur Bauüberwachung Lösunghilfen an. Dabei stehen im Fokus die Anforderungen aus der Nutzung, dem Baugrund, den unterschiedlichen maschinellen Vortriebsverfahren, der Qualität der Infrastrukturbauwerke, der Standsicherheit und – nicht zu vergessen – der Vermessung. Daneben enthält es als Handbuch Empfehlungen für die Ausschreibung und kann so als Leitfaden für einen zielgenauen Schildvortrieb dienen.

Große faszinierende Tunnelbauaufgaben stehen in der Zukunft an. Sie zu bewältigen, erfordert eine fundiertes Wissen und damit eine internationale Zusammenarbeit von Experten aus verschiedensten Fachrichtungen, so z. B. auf den Gebieten Bau, Geologie, Hydrologie, Geotechnik, Maschinenbau, Geodäsie, Elektrik, Technische Informatik, Umweltschutz und Sicherheitstechnik. Grund genug, im Buch begleitende Themen zielgenauer Schildvortriebe teils auch im Anhang aufzunehmen.

Danksagung

Die Autoren bedanken sich bei der Emschergenossenschaft Essen dafür, dass sie bei einem der größten Infrastrukturprojekte Europas, der Umgestaltung der Emscher, im Rahmen eines Arbeitskreises ihre Erfahrungen einbringen konnten und dafür, dass einige ihrer für dieses Projekt entwickelten Ergebnisse in diesem Buch Eingang finden dürfen.

Februar 2016

Dietmar Placzek, Rolf Bielecki, Manfred Messing, Frank Schwarzer

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Einführung

Tunnel gehören seit über 3000 Jahren zu den anspruchsvollsten Ingenieurbauwerken, da sie bei wechselnden Baugrund- und Grundwasserverhältnissen, unterschiedlichen Überdeckungen und mit den verschiedensten Einflüssen aus der benachbarten Bebauung und der Verkehrsbelastung an der Tagesoberfläche im Untergrund hergestellt werden. Jeder Bauherr, Planer, Mineur und Nutzer freut sich, wenn er am Ende des Tunnels Licht sieht und dies insbesondere bei der Herstellung. Das war auch im Jahr 530 v. Chr. beim Tunnelbaupionier Eupalinos von Megara der Fall, der auf der griechischen Insel Samos einen 1.036 m langen Wasserversorgungstunnel aus zwei Richtungen durch einen Berg hindurch im Gegenvortrieb in einer Bauzeit von ca. 10 Jahren herstellen ließ (Bild 1.1). Der Wasserversorgungstunnel war über mehr als 1.000 Jahre (etwa bis ins 7. Jahrhundert n. Chr.) in Betrieb.

Der Eupalinos-Tunnel wurde bei einer Überdeckung von maximal 180 m innerhalb eines festen Kalksteins vorgetrieben. Dabei mussten für den nahezu quadratischen Querschnitt mit Abmessungen von ca. 1,80 m × 1,80 m rund 5.000 m3 Fels ausgebrochen und zutage gefördert werden. Vortriebswerkszeuge waren allein Hammer und Meißel. Zur Erreichung des Vortriebszieles war es zwingend notwendig, die Höhe der Tunneleingänge auf beiden Seiten und die Vortriebsrichtung mit höchster Genauigkeit zu bestimmen. Das dies gelang, beweisen die Höhenmessungen der Tunnelsohle am Treffpunkt der beiden Vortriebe, die lediglich eine Höhendifferenz von rund 60 cm aufweisen, woraus sich ein Gefälle von etwa 1,1 ‰ ableiten ließe, würde die Höhendifferenz auf die jeweilige Vortriebslänge der beiden Vortriebe bezogen. Damit liegt der Tunnel baupraktisch horizontal und eben. Um sicherzustellen, dass sich beide Vortriebe auch treffen, ließ Eupalinos die Vortriebe kurz vor Erreichen des Treffpunkts in die gleiche Richtung abweichen, sodass sie sich bei gleicher Höhenlage zwangsläufig treffen mussten. Offensichtlich traten bei den Vortriebsarbeiten auch Schwierigkeiten mit dem anstehenden Fels auf, sodass der Vortrieb in einem Teilbereich seine vorgegebene Richtung ändern musste. Ob hierfür gebräches Gebirge, wasserführende Schichten o. Ä. verantwortlich waren, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden.

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Bild 1.1 Mögliche Art der Vermessung zur Erreichung zielgenauer Vortriebe von beiden Seiten nach [1.1]

Wie die Erreichung des Vortriebszieles vermessungstechnisch im 6. Jahrhundert v. Chr. gelang, ist bis heute noch nicht eindeutig geklärt. Entweder erfolgte eine Höhen- und eine Abstandsmessung über den Berg hinweg oder um den Berg herum [1.1], [1.2] (Bild 1.2). In beiden Fällen entsteht zwangsläufig eine Summation der bei jeder Einzelmessung zwischen zwei Messpunkten auftretenden Messungenauigkeit, deren absolute Größe auch durch die topografischen Verhältnisse entscheidend mit bestimmt worden sein kann.

Anhand dieses Beispiels aus der Antike wird deutlich, wie wichtig nicht nur die Trassen- und Gradientenplanung eines Tunnelbauwerks, die Feststellung der Baugrund- und Grundwasserverhältnisse sowie die Ermittlung der maßgeblichen Einwirkungen und Widerstände und die Wahl des Vortriebsverfahrens sind, sondern darüber hinaus auch die begleitende Vortriebsüberwachung und Kontrolle. Denn schließlich und endlich soll das fertige Tunnelbauwerk nicht nur in seiner Beschaffenheit und Funktion an der Stelle liegen, an der es auch planmäßig vorgesehen war, sondern auch unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte in angemessener Zeit fertiggestellt werden. Der Genauigkeit des Vortriebs kommt daher eine ganz besondere Bedeutung zu. Insbesondere dann, wenn eine langfristige Nutzung oder ein langfristiger Betrieb vorgesehen ist.

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Bild 1.2 Schematische Darstellung der möglichen Höhen- und Abstandsvermessung zur Bestimmung der möglichen Richtung für die Tunnelvortriebe aus beiden Richtungen [1.2]

Tunnel dienen im Wesentlichen der Ver- und Entsorgung (Wasser, Abwasser, Energie u. Ä.) und dem Verkehr (Straße, Fernbahn, U-Bahn, Fußgänger u. Ä.). Sie werden in unterschiedlichen Bauweisen hergestellt. Unterschieden wird im Allgemeinen in zwei großen Gruppen:

Von offenen Bauweisen wird gesprochen, wenn das Tunnelbauwerk in einer offenen Baugrube herstellt und anschließend wieder überschüttet wird.

Bei geschlossenen Bauweisen handelt es sich um die klassischen, bergmännischen Vortriebe (universelle Bauweise mittels Bohr- und Sprengvortrieb bzw. Baggerausbruch) oder um maschinelle Vortriebe (Tunnelvortriebsverfahren mittels Tunnelvortriebsmaschinen TVM), überwiegend mit Tunnelbohrmaschinen (TBM). In diesem Handbuch wird für alle Tunnelvortriebsmaschinen die Bezeichnung TBM verwendet, da sie international eine weite Verbreitung gefunden hat.

Behandelt werden alle maschinellen Schildvortriebe ab DN 500, die steuerbar und kontrollierbar sind. Vortriebe, die mittels Schneckenbohr- oder Spülbohrverfahren nicht oder nur bedingt steuerbar sind, scheiden bei den weiteren Betrachtungen ebenso aus wie universelle Vortriebe. Zahlreichen Erfahrungen bei Rohrvortrieben und Tunnelvortrieben mit Tübbingausbau haben hier ihren Niederschlag gefunden. Die in den einzelnen Kapiteln beschriebenen Erfahrungen und Erkenntnisse, die schwerpunktmäßig für Rohrvortriebe oder für Tunnelvortriebe mit Tübbingausbau dargestellt sind, gelten sinngemäß auch für das jeweils andere Verfahren.

Dieses Handbuch soll Grundlage für die Bauvorbereitung (Planung, Ausschreibung), die Vermessung und die Bauüberwachung von Schildvortrieben sein. Folglich richtet es sich an Bauherrn, Planer, Prüfer und Ausführende zur Nutzung als technischer Leitfaden für einen sicheren zielgenauen Vortrieb. Darüber hinaus kann es als Lehrbuch im Rahmen der Aus- und Weiterbildung dienen.