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Berechnung und Bemessung von Betonbrücken

NguyenViet Tue

Michael Reichel

Michael Fischer

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Vorwort

Das vorliegende Buch entstand im Zuge unserer Tätigkeit als Tragwerksplaner bei der Planung von Brückenbauwerken im Ingenieurbüro König und Heunisch. In dieser Funktion müssen wir u. a. Regeln und Bemessungsmodelle in geltenden Normen und Richtlinien beachten und uns mit diesen kritisch auseinandersetzen, um prüffähige statische Berechnungen zu erstellen. Der zunehmende Umfang an Normen und Richtlinien stellt den Ingenieur immer wieder vor die Fragen „Wo finde ich was?“ und „Wie wende ich die einzelnen Regeln richtig an?“, was unter Berücksichtigung der zeitlichen Vorgabe im Zuge einer wirtschaftlichen Ausführungsplanung oftmals eine große Herausforderung darstellt. Einerseits ist die Einhaltung normativer Prinzipien die Garantie für den angestrebten einheitlichen Zuverlässigkeits- und Qualitätslevel unserer Bauwerke. Andererseits ist aber auch das kritische Hinterfragen der Fülle von Regeln und Begrenzungen für die Weiterentwicklung der Normen unerlässlich.

Aus diesem Grund wurde von uns eine gewöhnliche mehrfeldrige Spannbetonbrücke als Musterbeispiel entsprechend einer Ausführungsplanung von A bis Z durchgängig betrachtet. Angefangen von der Modellierung der einzelnen Bauphasen, über die Ermittlung der Schnittgrößen bis hin zu den Nachweisen der beiden Grenzzustände SLS und ULS für alle tragenden Bauteile einschließlich der Unterbauten sowohl für den Bau- als auch für den Endzustand. Hiermit wurden alle Arbeitsschritte im kausalen Zusammenhang für ein Brückenbauwerk dargestellt. Die Geometrie des Über- und Unterbaus wurde so gewählt, dass unterschiedliche Nachweismöglichkeiten gemäß den derzeit gültigen Normen für Betonbrücken aufgezeigt und somit Unterschiede verdeutlicht und Anregungen für Übertragungen auf andere Bauwerke gegeben werden können. Wo es aus unserer Sicht notwendig bzw. sinnvoll war, wurden Hintergründe zu einzelnen normativen Regeln und Bemessungsmodellen zusammenfassend beschrieben bzw. Erläuterungen gegeben. Hierbei wurde vor allem den Regeln und Empfehlungen der Nationalen Anhänge des Eurocode 2 für Deutschland Aufmerksamkeit geschenkt. Sinngemäß können die Hintergründe und Erläuterungen auf die Regelungen anderer Länder übertragen werden. Somit beinhaltet die vorliegende Publikation mehr als nur eine prüffähige statische Berechnung einer Spannbetonbrücke.

Dementsprechend richtet sich dieses Buch vor allem an die in der Praxis tätigen mit der Bemessung von Betonbrücken befassten Bauingenieure. Auch den erfahrenen Tragwerksplanern möge es ein gutes Hilfsmittel sein. Darüber hinaus soll es Studierenden des konstruktiven Ingenieurbaus als wertvoller Leitfaden für das Abfassen von Studienarbeiten dienen sowie eine Anregung sein, nicht nur blind dem Formelwerk der Norm zu folgen, sondern sich auch mit den Hintergründen und mechanischen Grundlagen auseinanderzusetzen, damit sie später der verantwortungsvollen Aufgabe eines Tragwerksplaners gewachsen sind.

Bei der Zusammenstellung des vorliegenden Buches erhielten wir tatkräftige Unterstützung von zahlreichen Mitarbeitern. Stellvertretend seien an dieser Stelle Herr Karl Kretschmar und Frau Cindy Dönnecke vom Ingenieurbüro König und Heunisch Planungsgesellschaft Leipzig, Frau Regina della Pietra und Herr Nguyen Duc Tung vom Institut für Betonbau der Technischen Universität Graz genannt. Ohne ihre Hilfe wäre das Buch in dieser Form nicht möglich geworden. Zuletzt gilt unser Dank dem Verlag Ernst & Sohn, Berlin, für die ausgezeichnete und vor allem verständnisvolle Zusammenarbeit.

Leipzig, Februar 2015

Nguyen Viet Tue, Michael Reichel und Michael Fischer

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Beschreibung des Gesamtbauwerks

1.1 Allgemeines

Bei dem vorliegenden Bauwerk handelt es sich um eine 5-feldrige Spannbetonbrücke mit Stützweiten 32 m, 38 m, 38 m, 38 m, 32 m. Im Grundriss ist die Brücke in einer Geraden (R = ∞) trassiert. Der Kreuzungswinkel zu den Unterbauten beträgt 100 gon. Das Bauwerk wird mit einem Längsgefälle von 2 % errichtet.

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Bild 1-1 Längsschnitt Bauwerk

Die Fahrbahnbreite beträgt 8,0 m zwischen den Schrammborden. Beidseitig werden Kappen mit einer Breite von jeweils 2,05 m nach RiZ-ING „Kap 1 – Blatt 1“ [BMVBW 2013 RIZ] angeordnet. Die Breite zwischen den Geländern beträgt 11,60 m. Der 8 cm starke bituminöse Fahrbahnbelag weist ein Quergefälle von 2,5 % auf.

Tabelle 1-1 Bauwerksdaten

GesamtlängeLges = 178 m
Stützweiten32 m; 3 × 38 m; 32 m
Gesamtbreite12,10 m
Querschnittsbreite oben11,40 m
BauhöheFeldbereich: 2,79 m; Stützbereich: 3,77 m
KonstruktionshöheFeldbereich: 1,20 m; Stützbereich: 2,20 m
maximale Höhe über Gelände34 m
EntwurfsradiusR = ∞
Kreuzungswinkel100 gon
Verkehrskategorie / Nobs2/0,5 · 106
Bemessungslebensdauer100 Jahre
Verkehrsart / Beiwert imagegroße Entfernung / 1,0
MilitärlastklasseMLC 50-50/100
Anforderungsklasse Überbau längs / quer UnterbautenC / D D

1.2 Überbau

Der Überbau wird als einstegiger Plattenbalken ausgeführt. Die Steghöhe beträgt in den Feld-bereichen 1,20 m. Zu den Innenstützen hin wird der Steg auf eine Höhe von 2,20 mmit einem kreisbogenförmigen Verlauf angevoutet. Die Breite der Stegunterkante variiert von 4,63 m im Feld bis 3,30 m an den Innenstützen. Die Kragarmbreite beträgt an beiden Seiten 2,95 m. Die Dicke des Kragarms beträgt außen 25 cm und am Anschnitt 55 cm (siehe Bilder 1-2 und 1-3).

Der Überbau wird in Längsrichtung vorgespannt und in Querrichtung mit Betonstahl bewehrt ausgeführt.

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Bild 1-2 Regelquerschnitt Feldbereich

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Bild 1-3 Regelquerschnitt Stützbereich

1.3 Lagerung

Die Lagerung des Überbaus erfolgt auf Elastomerlagern, wobei das Lager in Achse 20 / Lagerreihe 1 allseits fest ausgeführt wird. Alle weiteren Lager der Lagerreihe 1 werden zur Aufnahme der Windlasten querfest ausgebildet. Der Abstand der Lagerreihen beträgt an den Widerlagern 4,50 m und an den Pfeilerachsen 2,50 m (Bild 1-4).

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Bild 1-4 Lagerungsschema

1.4 Widerlager

Die Widerlager sind als Kastenwiderlager mit gegründeten Flügelwänden ausgebildet. Aufgrund einer Höhe von mehr als 4 m weisen die Flügel eine auskragende Verlängerung auf. In Achse 60 besitzt das Widerlager einen Wartungsgang (Bild 1-5b).

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Bild 1-5 a) Widerlager Achse 10, b) Widerlager Achse 60

1.5 Gründung

Die Pfeiler der Achsen 20 bis 40 und das Widerlager in Achse 10 sind mit Großbohrpfählen d = 1,20 m tief gegründet. Sowohl der Pfeiler in Achse 50 als auch das Widerlager in Achse 60 weisen eine Flachgründung auf.

1.6 Herstellung und Bauverfahren

Die Herstellung des Überbaus erfolgt auf einem Traggerüst in 4 Abschnitten (Bild 1-6). Das Traggerüst ist teilweise bodengestützt. In den Bauabschnitten 2 bis 4 wird das Traggerüst zum Teil an den vorhergehenden Bauabschnitt angehängt.

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Bild 1-6 Bauabschnitte