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Inhaltsverzeichnis

1 Aufbau der Materie, Atombau und Periodensystem

1.1 Aufbau der Materie

1.2 Atombau

1.3 Das Periodensystem der Elemente (PSE)

1.4 Radioaktivität

2 Reaktionsgleichungen und Stöchiometrie

2.1 Die Reaktionsgleichung

2.2 Umgesetzte Mengen und Massen

2.3 Die Stoffmenge Mol

2.4 Reaktionstypen in der Chemie

2.5 Konzentrationsangaben

2.6 Die Aktivität

2.7 Rechenbeispiele

2.8 Mischungsrechnen

3 Bindungsarten

3.1 Die Ionenbindung

3.2 Die Metallbindung

3.3 Die Elektronenpaarbindung

3.4 Mehrfachbindungen

3.5 Komplexbindung

3.6 Bindungskräfte zwischen Molekülen

4 Kinetik und Thermodynamik

4.1 Chemische Kinetik

4.2 Thermodynamik

4.3 Verbindungen zwischen Kinetik und Thermodynamik

5 Zustandsformen der Materie

5.1 Die Aggregatzustände

5.2 Phasenübergänge

5.3 Lösungen

6 Säuren und Basen

6.1 Die Theorien von Arrhenius und Brönsted

6.2 Die Stärke von Säuren und Basen

6.3 Die Neutralisationsreaktion

6.4 Der pH-Wert

6.5 Puffer

7 Redoxreaktionen

7.1 Die Reaktion von Metallen mit Sauerstoff

7.2 Verbrennung von Kohlenstoffverbindungen

7.3 Die Knallgasreaktion

7.4 Die Elektronenverteilung in Verbindungen

7.5 Oxidationszahlen

7.6 Häufig vorkommende Typen von Redoxreaktionen

7.7 Elementare Vorgänge bei Redoxreaktionen

7.8 Oxidations- und Reduktionsmittel

7.9 Das Aufstellen von Redoxgleichungen

7.10 Disproportionierung und Komproportionierung

7.11 Die Spannungsreihe der Metalle

7.12 Elektrochemie

8 Angewandte anorganische Chemie

8.1 Großtechnische Prozesse

8.2 Anorganische Analytik

9 Fragen zu den Kapiteln 1–7 (Allgemeine und anorganische Chemie)

10 Lösungen zu Kapitel 9

11 Sonderstellung des Kohlenstoffs

11.1 Die Stellung des Kohlenstoffs im PSE

11.2 Die Bildung von Hybridorbitalen

11.3 Kohlenwasserstoffe

11.4 Die Einteilung organischer Verbindungen: Funktionelle Gruppen

12 Kohlenwasserstoffe

12.1 Alkane

12.2 Verzweigte Alkane

12.3 Alkene

12.4 Alkine

12.5 Aliphaten

12.6 Cyclische Kohlenwasserstoffe

12.7 Physikalische Eigenschaften der Kohlenwasserstoffe

12.8 Chemische Eigenschaften der Kohlenwasserstoffe

12.9 Aromatische Verbindungen

12.10 Erdöl und Kohle

12.11 Reaktionen der Aromaten

12.12 Halogenierte Kohlenwasserstoffe

13 Alkohole

13.1 Einwertige Alkohole

13.2 Mehrwertige Alkohole

13.3 Primäre, sekundäre und tertiäre Hydroxylgruppen

13.4 Reaktionen von Alkoholen

13.5 Phenole

14 Aldehyde und Ketone

14.1 Die Carbonylgruppe

14.2 Nomenklatur der Aldehyde

14.3 Nomenklatur der Ketone

14.4 Reaktionen der Carbonylgruppe

15 Amine

15.1 Die Aminogruppe

15.2 Primäre, sekundäre und tertiäre Amine

15.3 Die Basizität der Amine

15.4 Quartäre Amine

15.5 Aromatische Amine

15.6 Reaktionen mit salpetriger Säure/Nitrit

15.7 Weitere stickstoffhaltige Verbindungen

16 Carbonsäuren

16.1 Die Carboxyl-Gruppe

16.2 Die homologe Reihe der Carbonsäuren

16.3 Physikalische Eigenschaften

16.4 Die Säurestärke

16.5 Substituierte Carbonsäuren

16.6 Derivate der Carboxyl-Gruppe

16.7 Typische Reaktionen von Carbonsäuren

17 Reaktionstypen in der organischen Chemie

17.1 Grundsätzliches

17.2 Additionen

17.3 Substitutionen

17.4 Eliminierung

17.5 Umlagerung

17.6 Redoxreaktionen

18 Isomerie

18.1 Konformationsisomerie

18.2 Strukturisomerie

18.3 Stereoisomerie

18.4 Optische Aktivität

19 Kunststoffe

19.1 Einteilung nach Materialeigenschaften

19.2 Halbsynthetische Kunststoffe

19.3 Vollsynthetische Kunststoffe

19.4 Silicone

20 Naturstoffe

20.1 Fette, Öle, Seifen, Wachse

20.2 Aminosäuren und Eiweiße

20.3 Kohlenhydrate

20.4 Nucleinsäuren

21 Nomenklaturregeln und Fragen zu den Kapiteln 11–20 (Organische Chemie)

22 Lösungen zu Kapitel 21

Literatur

Index

Beachten Sie bitte auch weitere interessante Titel zu diesem Thema

Kühl, O.

Allgemeine Chemie

für Biochemiker, Lebenswissenschaftler, Mediziner, Pharmazeuten...

2012

978-3-527-33198-7

Kühl, O.

Organische Chemie

für Lebenswissenschaftler, Mediziner, Pharmazeuten...

2012

978-3-527-33199-4

Moore, J. T.

Chemie kompakt für Dummies

2011

978-3-527-70718-8

Arni, A.

Grundkurs Chemie I und II

Allgemeine, Anorganische und Organische Chemie für Fachunterricht und Selbststudium

2010

978-3-527-33068-3

Nentwig, J., Kreuder, M., Morgenstern, K.

Lehrprogramm Chemie I

2007

978-3-527-31346-4

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Autor

 

Dr. Thomas Wurm

Berufsfachschule für PTA

Neuburger Str. 109

94036 Passau

1

Aufbau der Materie, Atombau und Periodensystem

In diesem Kapitel …
Haben Sie folgende Definition schon gehört? „Chemie ist’s dann, wenn’s qualmt und stinkt.“ Dabei geht man davon aus, dass sowohl der Qualm als auch die Duftnote neu entstanden sind, und zwar durch eine chemische Reaktion, also eine stoffliche Umsetzung. Somit beschäftigt sich die Chemie mit Reaktionen oder chemischen Umsetzungen; und darunter verstehen wir stoffliche Veränderungen. Wir sagen, Stoff A reagiert zu Stoff B, und symbolisieren dies durch den Reaktionspfeil „→“. Was aber ist ein Stoff? Woraus besteht die Materie? Klären wir zuerst einige Begriffe, um uns anschließend mit Atomen und ihrem Aufbau zu beschäftigen. Am Ende des Kapitels wollen wir noch auf den Zerfall von Atomkernen eingehen – ein Thema, das zwischen der Physik und der Chemie angesiedelt ist.

1.1 Aufbau der Materie

Nach unserem Verständnis ist Materie alles, was Raum einnimmt und eine Masse besitzt.

1.1.1 Reinstoffe

Reinstoffe kann man mit physikalischen Methoden wie Sortieren, Sieben, Filtrieren, Zentrifugieren, Destillieren nicht weiter auftrennen. Beispiele dafür sind Gold (ein Element), Sauerstoff (ein Element, welches in Form von Molekülen vorkommt) oder Wasser (eine Verbindung von zwei Elementen). Reinstoffe oder reine Substanzen können folglich Elemente oder chemische Verbindungen sein.

1.1.2 Mischungen

Eine Mischung besteht aus mehreren Reinstoffen und lässt sich mit physikalischen Methoden in ihre Bestandteile (die Reinstoffe) trennen.

Eine Mischung aus Schotter und Sand lässt sich durch Sortieren oder Sieben trennen. Eine Mischung aus Sand und Kochsalz lässt sich ebenfalls mit physikalischen Methoden trennen, indem man das Salz mit Wasser herauslöst. Eine Mischung aus Salz und Wasser trennt man, indem man das Wasser verdampft.

Abb. 1.1

C01_image001.jpg

Es gibt heterogene und homogene Mischungen. Heterogenen Mischungen sieht man es mit bloßem Auge an, dass sie aus mehreren Bestandteilen oder Phasen bestehen.

Bei einer homogenen Mischung sieht man das nicht, sie ist schließlich „homogen“ (gleichförmig). Man muss sie erst genauer untersuchen. Eine wässrige Kochsalz-Lösung sieht genauso aus wie der Reinstoff Wasser. Erst beim Abdampfen des Wassers (eine physikalische Methode) erkennen wir, dass ein nicht flüchtiger Rückstand verbleibt, der vorher unsichtbar, eben homogen hineingemischt war.

image Wichtig zu wissen
Wir unterscheiden Reinstoffe und Mischungen. Mischungen können homogen und heterogen sein.
image Tipp
Die analytische Chemie untersucht Mischungen und Reinstoffe, um Hinweise auf die genaue Zusammensetzung und die Identität der vorliegenden Substanzen zu erhalten. Sie bedient sich dabei chemischer und physikalischer Verfahren. Wo die Grenze zwischen Physik und Chemie liegt, ist dabei nicht immer eindeutig; man spricht dann von physikalisch-chemischen Methoden oder von physikalischer Chemie (der Begriff „chemische Physik“ ist weniger gebräuchlich).

1.1.3 Elemente und Verbindungen

image Wichtig zu wissen

Elemente bestehen aus gleichartigen Atomen.
Elemente sind Reinstoffe.
Verbindungen sind ebenfalls Reinstoffe. Sie sind aus mehreren verschiedenen Atomsorten aufgebaut.

Die Atome sind in Verbindungen so miteinander verknüpft, dass physikalische Methoden nicht zur Auftrennung führen. Viele Verbindungen sind „Moleküle“, andere Verbindungen sind Salze; entscheidend ist der Bindungstyp (siehe Kap. 3). Mithilfe von chemischen Reaktionen lassen sich Verbindungen jedoch in andere Verbindungen, eventuell auch in die beteiligten Elemente, überführen.

1.2 Atombau

In diesem Kapitel …
Unter Atomen stellte sich der Grieche Demokrit vor über 2000 Jahren unteilbare Teilchen vor, aus denen sich die Materie zusammensetzt. Diese Idee wurde immer wieder diskutiert, verworfen und variiert. Letztlich hatte Demokrit recht, auch wenn die Atomphysik heute in der Lage ist, sogar Atome in immer kleinere Teilchen weiter aufzuspalten. Für chemische Überlegungen genügt es aber, wenn wir auf der Ebene eines Atoms bleiben und uns eine bildliche Vorstellung vom Atombau machen können. Wir entwickeln also gedanklich ein Atommodell.
image Wichtig zu wissen
Jedes Atom besteht aus einem Kern, dem Atomkern, und einer Hülle, der Elektronenhülle.

1.2.1 Der Atomkern

Der Atomkern ist aufgebaut aus zwei Arten von Teilchen, die auf engstem Raum aneinander kleben, nämlich den positiv geladenen Protonen (p+) und den Neutronen (n), die keine Ladung besitzen.

Die Schreibweise für diese Kernteilchen, die Nukleonen, lautet:

Proton:    1p+

Neutron:    1n

image Tipp
Die hochgestellte Ziffer links steht für die Masse des Teilchens (s. u.); man kann sie auch weglassen. Rechts oben steht die Ladung.
Es muss einen Chemiker nicht unbedingt interessieren, dass die moderne Physik nach immer kleineren Bestandteilen sucht, die ihrerseits die Protonen und die Neutronen aufbauen. Je intensiver die Physiker suchen und je mehr Energie sie aufwenden, desto mehr und desto kleinere Teilchen scheinen sie zu finden. Es ist – zumindest derzeit – unklar, ob der auf diese Weise aufgebaute „Teilchenzoo“ jemals vollständig und endgültig sein kann.

Der einfachste Atomkern mit der Ordnungszahl 1 besteht aus genau einem Proton p+. Es handelt sich um das Element Wasserstoff.

Der nächste Atomkern mit der Ordnungszahl 2 besteht aus zwei p+ und heißt Helium. In der Regel enthält ein Helium-Kern neben den zwei p+ auch noch zwei Neutronen n.

Es folgt mit der Ordnungszahl 3 ein Kern mit drei Protonen, Lithium; hinzu kommen vier Neutronen im Kern, also hat ein Lithium-Kern insgesamt sieben Nukleonen.

Abb. 1.2

C01_image002.jpg

Diese Reihe können wir bis zu 90 und mehr Protonen fortsetzen. Bei 92 p+ sind wir beim Uran angelangt; das sind dann alle natürlich vorkommenden Atomtypen (alle natürlichen Elemente).

image Wichtig zu wissen
Der Atomtyp (das Element) ist definiert durch die Anzahl der Protonen p+. Alle p+ befinden sich im Kern.
Für die Anzahl an p+ kann man auch den Begriff Ordnungszahl benutzen.
Jeder Ordnungszahl wird eine Elementbezeichnung und ein Kürzel oder Elementsymbol zugeordnet.
„H“ steht beispielsweise für Wasserstoff, „He“ für Helium, „Li“ für Lithium usw.
Die Anzahl der Neutronen n ist für die Zugehörigkeit zu einem Element ohne Bedeutung.

1.2.1.1 Die Atommasse

Wir können an dieser Stelle einen ersten orientierenden Blick auf die Masse eines Atoms werfen. Die Elektronen e sind im Vergleich zu den p+ und n sehr leicht; wir wollen sie zunächst in unseren Berechnungen unterschlagen und bleiben bei den Kernen.

image Wichtig zu wissen
Die Massen eines Protons und eines Neutrons sind nahezu gleich.

In Gramm ausgedrückt ist diese Masse sehr, sehr klein und für unseren Zweck, nämlich die bildhafte Erklärung eines Atoms, viel zu unhandlich. Sie beträgt 1,67 × 10−24 g. Daher setzen wir die Masse eines Protons und eines Neutrons einfach gleich 1. Als Einheit nehmen wir „u“ – von „atomic mass unit“.

Damit hat das normale Wasserstoffatom die Masse 1 u, Helium hat die Masse 4 u (da sein Kern normalerweise aus 2 p+ und 2 n besteht), Lithium hat 7 u (3 p+ und 4 n) und Kohlenstoff hat 12 u (6 p+ und 6 n).

Der Chemiker schreibt in seiner Formelsprache 1H, 4He, 7Li und 12C.

image Wichtig zu wissen
Die Zahl links oben ist die Massenzahl MZ.
Die Zahl links unten ist die Ordnungszahl OZ (oder Protonenzahl).

Beispiele: C01_image003.jpg

Abb. 1.3

C01_image003.jpg

Die Angabe der Ordnungszahl bringt keine zusätzliche Information, da das Elementsymbol bereits für den Atomtyp und damit die Ordnungszahl steht. Meistens wird die Ordnungszahl deshalb weggelassen.

Die Differenz aus Massenzahl und Ordnungszahl ergibt die Anzahl der Neutronen, wenn man sie denn wissen möchte.

1.2.1.2 Isotope

Spannend ist die Tatsache, dass nur wenige Atomtypen in der Natur als eine Kernsorte mit einer festen Zahl an Neutronen auftreten. Innerhalb eines Elementes gibt es meist eine Mischung von Kernen, wobei die Anzahl p+ natürlich gleich sein muss; die Protonen umgeben sich also mit unterschiedlich vielen Neutronen.

Somit treten Subtypen innerhalb eines Elements auf, sogenannte Isotope. Da deren Mischungsverhältnis praktisch überall auf der Welt identisch ist, führt uns dieser Sachverhalt zur (durchschnittlichen) Massenzahl MZ einer Atomsorte und damit zur Atommasse eines Elements. Die Kohlenstoff-Kerne treten beispielsweise zu 98,9 % mit 6 n auf, was die MZ 12 ergibt. Zu 1,1 % enthält der C-Kern aber 7 n, was zu einer MZ 13 führt. Man spricht von einem C-13-Isotop oder 13C-Kohlenstoff.

image Tipp
In ganz geringem Umfang taucht auch noch 14C-Kohlenstoff auf, der in der höheren Atmosphäre unter dem Einfluss von Strahlung entsteht. Dieser Kern ist aber instabil und zerfällt wieder von selbst. Wir haben es hier mit einem Beispiel natürlicher Radioaktivität zu tun.
In manchen Fällen ist das exakte Isotopenverhältnis eines Elements nicht überall gleich, sondern vom Ort seines natürlichen Vorkommens abhängig. Dann können Archäologen feststellen, woher genau ein Metall eines bestimmten Fundortes stammt oder wo das Skelett eines Vormenschen mit dem Isotopenverhältnis X:Y in seinen Zähnen einmal gelebt haben muss.

Abb. 1.4

C01_image004.jpg
image Wichtig zu wissen
Der Fachbegriff für die Unterarten eines Elements lautet Isotop.

Isotope eines Elements besitzen die gleiche Anzahl Protonen und unterscheiden sich durch die Anzahl der Neutronen, was zu unterschiedlichen Massen führt. Wir haben die Kohlenstoff-Isotope besprochen, von denen eines radioaktiv ist. Es gibt auch beim Wasserstoff zwei natürlich vorkommende Isotope, 1H und 2H.

Beim Lithium kommen auf die drei Protonen meistens vier Neutronen (7Li), etwa 7,4 % der Lithium-Kerne enthalten jedoch nur drei Neutronen (6Li).

Wie oben bereits angedeutet, hat dies Auswirkungen auf die Masse der Atome eines natürlich vorkommenden Elements:

Nehmen wir eine Probe von reinstem Kohlenstoff. Sie setzt sich aus sehr vielen 12C-Atomen und sehr wenigen 13C-Atomen zusammen. Unter Berücksichtigung der exakten Häufigkeit der beiden Isotope ergibt sich eine Atommasse von knapp über 12 u, nämlich genau 12,011 u. Beim Lithium errechnet sich aus der Häufigkeitsverteilung der 6Li- (etwa 7 %) und 7Li-Atome (etwa 93 %) eine mittlere Atommasse von 6,94 u.

image Tipp
Die nicht ganzzahligen Atommassen sind in erster Linie die Folge des Vorkommens unterschiedlicher Isotope. Darüber hinaus spielen bei den in Tabellen angegebenen Atommassen noch andere Effekte mit, etwa der „Massendefekt“, der beim Aufbau der Kerne zum Tragen kommt, ferner die Berücksichtigung der Elektronen und der zwar kleine, aber vorhandene Massenunterschied zwischen Proton und Neutron. Diese Effekte werden bei größeren Atomen bedeutender. Das ist ein Grund dafür, dass man heute Atommassen nicht mehr vom Wasserstoff ableitet, sondern vom Kohlenstoff 12C.

1.2.1.3 Nuklide

Unter einem Nuklid versteht man allgemein eine Atomsorte, die durch ihre Ordnungszahl und ihre Massenzahl festgelegt ist. Nur Nuklide, die zu ein und demselben Element gehören (also dieselbe Ordnungszahl besitzen), werden jeweils als „Isotope“ des betreffenden Elements zusammengefasst. Es gibt rund 90 natürlich vorkommende Elemente, und von den meisten gibt es mehrere Isotope. Insgesamt kennt man rund 340 natürlich vorkommende Nuklide.

1.2.2 Die Elektronenhülle

Der Aufbau des Atomkerns aus Protonen und Neutronen ist also ziemlich einfach. Wir setzen die Kerne wie Klumpen aus immer mehr Protonen zusammen, und dazwischen verwenden wir als „Klebstoff“ Neutronen. Bei der Hülle eines Atoms wird es komplizierter. Zunächst stellen wir fest:

image Wichtig zu wissen
Die Hülle eines Atoms besteht nur aus Elektronen e.
Die Anzahl der e entspricht (beim ungeladenen Atom) der Anzahl der Protonen.

Die positiven Ladungen stecken im Kern, die negativen in der Hülle. Wir haben bei ebenso vielen negativen wie positiven Ladungen insgesamt ein ungeladenes Teilchen.

image Wichtig zu wissen
Im elementaren Zustand ist ein Atom insgesamt ungeladen.

Wir müssen also beim Wasserstoff ein Elektron, beim Helium zwei Elektronen, beim Lithium drei, beim Kohlenstoff sechs Elektronen in der Hülle verteilen; beim Blei mit der Ordnungszahl 82 müssen wir sogar 82 Elektronen irgendwie in der Atomhülle unterbringen. Es fragt sich nur, wie.

Könnten wir das winzige Atom mit bloßem Auge betrachten, so würden wir einen ganz winzigen Kern sehen, den noch viel winzigere Elektronen in verschiedenen Abständen umschwirren. Mit der Außenwelt in Kontakt kommen nur die Elektronen, die sich am weitesten vom Kern entfernt befinden. Sie allein sind für die Reaktionsfreudigkeit und damit die chemischen Eigenschaften eines Elements verantwortlich. Die inneren Elektronen sind gut „abgeschirmt“, wenig kontaktfreudig und stabil in der Hülle untergebracht.

image Tipp
Wenn ein Atomkern die Größe einer Kirsche hat und diese Kirsche im Mittelkreis eines Fußballfeldes liegt, dann reicht die Elektronenhülle bis zu den Zuschauertribünen und darüber hinaus.

Wichtige Frage, die sich der Chemiker stellt, lauten: Wie ist die Elektronenhülle aufgebaut, wo befinden sich die Elektronen? Wie viele Außenelektronen hat ein Element?

1.2.2.1 Das Schalenmodell

Dem Atommodell von Niels Bohr zufolge umkreisen die Elektronen den Kern auf Schalen. Das erinnert uns ein wenig an das Sonnensystem mit seinen Planeten. Jede Schale befindet sich in einem bestimmten Abstand zum Kern und kann nur eine bestimmte Anzahl an Elektronen aufnehmen (die kernnächste Schale maximal zwei, die nächste maximal acht).

Je weiter entfernt die Schale ist, desto mehr Energie steckt in ihren Elektronen. Deshalb werden die Schalen von innen, vom Kern her, aufgefüllt. Das beginnt mit den energieärmsten Elektronen, weiter entfernte Elektronen besitzen immer ein bisschen mehr Energie. Die Schalen werden mit K, L, M, N usw. bezeichnet.

Das Schalenmodell ist einfach und anschaulich. Mit seiner Hilfe kann man sich leicht vorstellen, dass eine komplett gefüllte Außenschale ein besonderer Zustand ist oder dass ein Atom z. B. sein einziges Außenelektron abgibt und zu einem insgesamt positiv geladenen Teilchen wird.

image Tipp
Mithilfe der Schalen kann man sich auch vorstellen, wie Elektronen durch die Aufnahme von Energie „angeregt“ werden, nämlich auf eine weiter entfernte, energiereichere Schale hüpfen. Diese angeregten Elektronen springen gerne wieder auf eine energieärmere Schale zurück und geben dabei ihre überschüssige Energie in Form von Lichtstrahlung ab.

Abb. 1.5

C01_image005.jpg

Das Problem bei diesem Modell ist, dass geladene Teilchen, die sich auf einer Kreisbahn befinden, der Physik zufolge eigentlich ständig Energie abstrahlen und irgendwann in den Kern stürzen müssten. Weil das aber offenbar nicht passiert, müssen wir uns die Elektronenhülle etwas komplizierter aufgebaut vorstellen.

1.2.2.2 Das Orbitalmodell

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde klar, dass sich kleinste Teilchen wie Elektronen nicht immer eindeutig als Teilchen beschreiben lassen. Elektronen verhalten sich je nach gewählter Versuchsanordnung wie kleine geladene Masseteilchen oder wie eine Welle, und ihr Aufenthaltsort lässt sich nie mit absoluter Genauigkeit vorhersagen. Entweder kennt man den Ort, an dem das Elektron sitzt, und weiß nicht, wie schnell und wohin es fliegt – oder man kennt den Impuls, dann weiß man aber nicht, wo es genau sitzt. Das Ganze nennt man Quantenmechanik.

Mit komplizierten Berechnungen kann man inzwischen die Verteilung der Elektronen in der Hülle eines Atoms so beschreiben, dass sich viele Eigenschaften der Elektronenhülle erklären lassen und das Modell immer noch halbwegs anschaulich ist.

Der Grundgedanke lautet: Elektronen halten sich in „Orbitalen“ auf. Orbitale sind also Aufenthaltsräume für Elektronen.

image Wichtig zu wissen
Die Quantenmechanik sagt:
Ein Orbital kann gar kein, ein oder maximal zwei Elektronen beherbergen.
Es gibt verschiedene Arten von Orbitalen mit jeweils charakteristischer Form.

Die Schalen, deren Abstand vom Kern die Energie der Elektronen bestimmt, gibt es auch im Orbitalmodell. Innerhalb jeder Schale finden sich eine oder mehrere Arten von Orbitalen. Man könnte sich die Orbitale auch als eine Art von „Unterschalen“ der Hauptschalen vorstellen.

Tabelle 1.1 Der Aufbau der ersten drei Schalen mit ihren Orbitalen.

Schale 1 max. 2 e 1 s-Orbital
Schale 2 max. 8 e 1 s-Orbital plus 3 p-Orbitale
Schale 3 max. 18 e 1 s-Orbital plus 3 p-Orbitale (theoretisch plus 5 d-Orbitale)

Die s-Orbitale stellen wir uns wie eine Kugel vor, in der ein oder zwei s-Elektronen mit höchster Wahrscheinlichkeit zu finden sind.

Die drei p-Orbitale jeder Schale sehen aus wie Hanteln oder doppelte Keulen, die in einem Winkel von 90° im dreidimensionalen Raum wie auf der x-, y- und z-Achse eines Koordinatensystems aufeinandersitzen. Es gibt also drei p-Orbitale, nämlich px, py und pz.

Die (komplizierteren) Formen der fünf d-Orbitale müssen uns an dieser Stelle nicht unbedingt interessieren. Es genügt zu wissen, dass es sie gibt und dass sie insgesamt bis zu zehn Elektronen aufnehmen können.

image Tipp
Die Form des jeweiligen Orbitaltyps ist auf jeder Schale gleich. Die höhere Schale umschließt die darunterliegenden. Damit werden die Schalen immer größer (wie bei einer russischen Matrjoschka-Puppe).

Abb. 1.6

C01_image006.jpg

1.2.2.3 Das Kästchenschema

Kommen wir zu unserem Problem zurück, der Elektronenverteilung innerhalb der Atomhülle. Füllen wir also die Hülle von innen her mit Elektronen auf:

Ein Atom mit einem Proton erhält ein Elektron. Dieses befindet sich im s-Orbital der 1. Schale, auch als 1s bezeichnet. Helium mit zwei Protonen erhält zwei Elektronen, die beide im 1s-Orbital herumfliegen. In Kurzfassung schreibt man „1s2“. Die „1“ steht für die erste Schale, und die hochgestellte „2“ steht für zwei Elektronen. Damit ist die erste Schale voll. Lithium mit drei Protonen erhält drei Elektronen. Das dritte Elektron muss in die zweite Schale, und zwar ins 2s-Orbital, weil auf der ersten Schale nur für zwei Elektronen Platz ist.

Die Quantenmechanik besagt, dass niemals zwei identische Elektronen in einem Orbital vorkommen dürfen; so will es das „Pauli-Prinzip“. Ein Elektronenpaar in demselben Orbital hat die gleiche Energie, muss sich also anderweitig unterscheiden. Dafür sorgt der „Spin“, den man sich als eine Rotation des Elektrons um seine eigene Achse vorstellen kann, und zwar entweder im Uhrzeigersinn oder entgegengesetzt. Wenn wir Elektronen mit Pfeilen darstellen, dann deutet die Pfeilrichtung (nach oben oder nach unten) den Spin an.

Mithilfe von Kästchen lassen sich die Orbitale und ihre Belegung mit Elektronen vereinfacht darstellen. Ein Kästchen steht für ein Orbital; es kann mit maximal zwei Pfeilen gefüllt werden. In der Tabelle wird das Kästchenschema an den Beispielen Lithium und Beryllium mit den Elektronenkonfigurationen 1s2 2s1 bzw. 1s2 2s2 vorgestellt.

Die p-Orbitale der 2. Schale sind zwar vorhanden, aber sie sind unbesetzt.

Tabelle 1.2 Kästchenschema: Elektronenkonfiguration von Lithium und Beryllium.

C01_image007.jpg

Beim Element mit der Ordnungszahl 4 ist mit dem vierten Elektron das 2s- Orbital vollständig gefüllt. Dieses Element – Beryllium – trägt zwei Außenelektronen mit der Elektronenkonfiguration 1s2 2s2.

Damit ist das 2s-Orbital voll und es folgen die p-Orbitale. Alle drei p-Orbitale lassen sich zwar durch ihre räumliche Ausrichtung unterscheiden, ihre Energie ist jedoch identisch. Das hat eine wichtige Konsequenz: Die folgenden drei Elektronen werden zunächst einzeln in das px-, py- bzw. pz-Orbital gesetzt.

image Tipp
Die Besetzung der p-Orbitale mit zuerst einzelnen Elektronen wird als Hund’sche Regel bezeichnet.

Die Elemente mit den OZ 5, 6 und 7 – Bor, Kohlenstoff und Stickstoff – haben neben einem gefüllten 2s-Orbital ein, zwei bzw. drei p-Orbitale, die mit je einem Elektron besetzt sind.

Die Elektronenkonfigurationen lauten:

Bor (B): 1s2 2s2 2p1
Kohlenstoff (C): 1s2 2s2 2p2(genau genommen müsste es heißen 2px1py1)
Stickstoff (N): 1s2 2s2 2p3 (bzw. 2px1py1pz1).

Tabelle 1.3 Kästchenschema: Die Verteilung der Elektronen für die Elemente der OZ 5, 6 und 7.

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Mit dem nächsten Element – Sauerstoff mit 8 Protonen und somit insgesamt 8 Elektronen –gelangen wir zu 6 Außenelektronen, die sich auf der zweiten Schale befinden. Mit dem sechsten Elektron entsteht ein Elektronenpaar in px, und zwei einzelne Elektronen bleiben ungepaart: 1s2 2s2 2px2 py1pz1. Es folgt das Fluor mit 7 Außenelektronen. Das Neon mit der Ordnungszahl 10 und insgesamt 10 Elektronen trägt 8 Außenelektronen. Damit ist die zweite Elektronenschale komplett gefüllt.

Die dritte Schale

Dieses Spiel müssen wir für den Aufbau der dritten Schale wiederholen: Wir füllen zunächst das 3s-Orbital mit dem ersten und zweiten Elektron. Dann füllen wir die p-Orbitale, und zwar zuerst mit Einzelelektronen, dann ergeben sich Elektronenpaare.

Doch was geschieht dann? Waren da nicht d-Orbitale, die in der dritten Schale als Nächstes gefüllt werden müssten?

Im Prinzip ja, aber…

Das 4s-Orbital besitzt eine geringere Energie als die 3d-Orbitale. Punkt. 4s kommt also vor 3d, zuerst wird 4s mit einem, dann mit zwei Elektronen besetzt; die nächsten zehn Elektronen kommen erst danach in die fünf d-Orbitale.

image Tipp
Es ist, als ob wir ein Hotel mit Doppelzimmern nach einer bestimmten Regel mit Gästen belegen. Die der Rezeption (= Atomkern) am nächsten gelegenen Zimmer kommen zuerst dran: der erste Stock, dann der zweite. Sollten Zimmer wie die p-Orbitale auf dem gleichen Stock liegen und zusätzlich gleich weit entfernt sein, werden sie zuerst einzeln und im Anschluss doppelt belegt.
Die 3d-Zimmer liegen zwar im Prinzip auf dem 3. Stock hinter den 3p- Zimmern. Aber sie befinden sich jedoch so weit abgelegen im Hinterhaus, dass es günstiger ist, zuerst die 4s-Zimmer des 4. Stocks zu belegen. Erst dann geht es zu den 3d-Zimmern, und anschließend wieder wie erwartet zu 4p.

Abb. 1.7 Auffüllschema der Orbitale

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Tabelle 1.4 Die Belegung der ersten d-Orbitale: Elektronenverteilung für das Element mit der OZ 21 (Scandium; OZ 20 ist Calcium). Die 3. Schale ist mit acht Elektronen gefüllt, dann erhält das 4s-Orbital zwei Elektronen; das 21. Elektron kommt in das erste von fünf d-Orbitalen.

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Tabelle 1.5 Erst mit dem Elektron Nr. 31 wird wieder ein p-Orbital befüllt. Diese Elektronenkonfiguration entspricht dem Element Gallium; das Element mit der OZ 30 ist Zink.

C01_image010.jpg

Abb. 1.8

C01_image010.jpg
image Tipp
Nach der quantenmechanischen Betrachtungsweise gibt es folgende Zuordnungsregeln:
Die Schalennummer steht für die Hauptquantenzahl (1, 2, 3, 4 usw.). Je nach Schale gibt es unterschiedliche Unterschalen, und zwar auf der
ersten (oder K-) Schale eine (s)
zweiten (oder L-) Schale zwei (s und p)
dritten (oder M-) Schale drei (s und p und d)
vierten (oder N-) Schale vier (s und p und d und f)
In der Quantenmechanik spricht man von der Hauptquantenzahl (entspricht der Schale) und der Nebenquantenzahl (entspricht der Anzahl Unterschalen bzw. dem Orbitaltyp). Die Nebenquantenzahlen lassen sich weiter aufspalten, und daraus ergibt sich die Anzahl an Orbitalen pro Orbitaltyp (die sogenannte Magnetquantenzahl). Es kann auf einer Schale maximal ein s-Orbital, drei p-Orbitale, fünf d-Orbitale und sieben f-Orbitale geben.
Schließlich gibt es die Spinquantenzahl, welche für ein einzelnes Elektron gilt und +1/2 oder −1/2 betragen kann (wobei das Vorzeichen die „Rotationsrichtung“ andeutet). Die beiden Elektronen in einem Orbital müssen sich in der Spinquantenzahl unterscheiden.

Das klingt etwas kompliziert, aber in den allermeisten Fällen genügt es für uns, dass wir auf allen Schalen mit den s- und den p-Orbitalen arbeiten. Damit genügt es, dass wir eine Schale mit maximal acht Elektronen füllen.

image Wichtig zu wissen
Die gefüllte Achterschale ist eine besonders stabile Elektronenkonfiguration.
Man spricht von einem Elektronenoktett oder der Edelgaskonfiguration.

Die Betrachtung der genauen Elektronenverteilung ist keine Spielerei! Aus ihr kann man wichtige Rückschlüsse hinsichtlich des chemischen Verhaltens eines Atoms ziehen:

Ein Atom, das 7 Außenelektronen besitzt und damit nur noch ein Elektron für den stabilen und ersehnten Edelgaszustand braucht, zeigt andere Eigenschaften als ein Atom, das nur ein Außenelektron besitzt.

Aber nicht nur die Anzahl der Außenelektronen ist von Bedeutung. Gepaarte Elektronen verhalten sich friedlicher als ungepaarte. Die ungepaarten wünschen sich ein Elektron als Partner und gehen gerne eine Bindung ein. Es ist hinsichtlich der Reaktionsfreudigkeit ein Unterschied, ob ein Atom drei ungepaarte Elektronen trägt oder nur eines.

In Zusammenhang mit den Außenelektronen wird auch der Begriff „Valenzelektronen“ verwendet. Valenzelektronen sind diejenigen Elektronen der äußersten Schale, die sich gern an Bindungen beteiligen. Das sind natürlich bevorzugt die ungepaarten. Stickstoff mit fünf Außenelektronen (davon drei ungepaarte) würde gerne drei Elektronen aufnehmen; es überrascht deshalb nicht, dass Stickstoff sich mit drei Wasserstoffatomen zum Ammoniak NH3 verbindet. Stickstoff hat also drei Valenzelektronen. Lithium mit einem Außenelektron gibt dieses möglichst ab; es besitzt ein Valenzelektron.

1.3 Das Periodensystem der Elemente (PSE)

In diesem Kapitel…
Man hat schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts erkannt, dass sich manche Elemente chemisch ähnlich verhalten, dass es also so etwas wie Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Elementen gibt. Das war lange vor der Entwicklung eines funktionierenden Atommodells oder der Entdeckung der Kernteilchen und des Elektrons. Der russische Chemiker Mendelejew ordnete die damals bekannten Elemente nach ihrer Atommasse und stellte fest, dass sich Eigenschaften nach jeweils acht Elementen wiederholen. Also war eine „Periode“ acht Elemente lang. Wenn zwischen chemisch verwandten Elementen keine acht bekannten Elemente lagen, dann, so sagte Mendelejew voraus, müssten sich hinter diesen Lücken seines periodischen Systems Elemente verbergen, die einfach noch nicht entdeckt seien. Das war naturwissenschaftliches Denken auf höchstem Niveau: nicht nur Eigenschaften bekannter Elemente zu erklären, sondern sogar Vorhersagen zu treffen, die sich später bewahrheiteten.

Heute erscheint uns die Anordnung der Elemente im Periodensystem (PSE) vollkommen logisch, nachdem wir etwas von Elektronen und Schalen gehört haben und wissen, wie die Atomhülle Schritt für Schritt mit Elektronen aufgefüllt wird. Demnach haben alle Elemente mit genau einem Außenelektron ähnliche Eigenschaften, ebenso die mit zwei Außenelektronen usw. Wir schreiben solche Elemente untereinander und bilden nach der Anzahl der Außenelektronen Spalten – so, wie es Mendelejew vorgesehen hat.

Tabelle 1.6 Alte und neue Zählweise für die Spalten des Periodensystems.

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Die einzelnen Gruppen besitzen neben ihren Nummern Namen, von denen man sich einige merken sollte: In der ersten Gruppe finden sich die Alkalimetalle, in der zweiten die Erdalkalimetalle, in der sechsten bzw. 16. die Erzbildner oder Chalkogene und in der siebten bzw. 17. die Salzbildner oder Halogene. Die Elemente mit komplett gefüllten Elektronenschalen heißen Edelgase; sie stehen in der rechten äußeren Spalte des PSE.

Auf der ersten Schale haben nur zwei Elektronen Platz. Auf den folgenden Schalen befinden sich im s- und in den p-Orbitalen maximal acht Elektronen. Mit jeder Schale beginnt im PSE eine neue Zeile, in der sich die Eigenschaften der vorherigen Schale periodisch wiederholen. Anders gesagt: Jede Zeile steht für eine Schale, die „Periode“ genannt wird.

Die Elemente mit den aufzufüllenden d-Orbitalen hat man früher als „Nebengruppen-Elemente“ bezeichnet und ihren Gruppen den Buchstaben „b“ angehängt.

Das Kästchenschema in Tabelle 1.4 kann den Aufbau des PSE und die Aufteilung in s-, p- und d-Elemente anschaulich erklären. Insbesondere kann man erkennen, warum die d-Elemente erst in der 4. Zeile (Periode) auftauchen: weil nämlich die 3d-Orbitale nach dem 4s-Orbital befüllt werden. So ist zu erklären, dass sowohl die zweite als auch die dritte Periode nur acht Elemente beherbergen.

Heute werden die „d-Elemente“ als „Übergangselemente“ bezeichnet und vollwertig ins PSE integriert. Die Zählweise der Gruppen im PSE beginnt man mit den Spalten (= Gruppen) 1 und 2, dann werden, falls nötig, die d-Gruppen mit den Nummern 3 bis 12 eingeschoben, bis dann die Nummern 13 bis 18 folgen (die ehemaligen Hauptgruppen 3 bis 8).

image Tipp
Die neuen Gruppen 13 bis 18 werden durch Abziehen von 10 zu den alten Hauptgruppen 3 bis 8 (geschrieben III… VIII) gebildet.
Die Zahl 10 ergibt sich aus den maximal möglichen 10 Elektronen in den d-Orbitalen, was zu den 10 Nebengruppen führt.
Die 10 „Nebengruppen“ reichen nicht mehr aus, wenn nach den d-Orbitalen irgendwann die f-Orbitale zu befüllen sind. Für die f-Elemente, die erst in der 6. Periode auftauchen, hat man aus Platzgründen keine „Neben-Nebengruppen“ bzw. Spalten im PSE eingerichtet, sondern man schreibt sie einfach darunter. Sie erhalten auch keine Gruppennummer. Man bezeichnet sie als „innere Übergangselemente“ oder als „Lanthan(o)ide“ und „Actin(o)ide“.
image Wichtig zu wissen
Das PSE gibt uns auf einen Blick Auskunft darüber, wie viele Außenelektronen ein Element hat.
Die Elemente einer Gruppe (= Spalte) besitzen alle eine identische (Außen-)Elektronenkonfiguration.
Die Perioden (= Zeilen) stehen für die Elektronenschalen, wobei die innerste Schale 1 immer oben steht.

Tabelle 1.7 Beispiele für die Stellung der Elemente im PSE.

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Aus der (Außen-)Elektronenkonfiguration und der Größe (Anzahl der Schalen) eines Atoms kann man wichtige Schlüsse auf das chemische Verhalten und die Bereitschaft zu chemischen Bindungen ziehen. Man sollte zumindest mit den Gruppen 1 und 2 und 13 bis 18 gut umgehen können. Bei ihnen sind die d-Orbitale entweder ganz leer oder komplett befüllt. Man muss sich um die d-Elektronen- Konfiguration also keine Gedanken machen.

1.3.1 Ionisierungsenergie

Stellen wir uns vor, wir haben ein einzelnes Atom eines Elements mit allen seinen Elektronen. Jetzt versuchen wir, aus der Hülle ein Elektron wegzuschießen. Dabei entsteht ein positiv geladenes Ion, ein Kation. Das Wegschießen kostet natürlich Energie, die in diesem Fall Ionisierungsenergie genannt wird.

Die Ionisierungsenergie ist grundsätzlich in den links gelegenen Gruppen des PSE niedriger als in den rechts gelegenen. Bei den Atomen mit voller Elektronenschale, den Edelgasen, ist sie am höchsten. Bei ihnen gelingt es nur mit sehr großem Aufwand, ein Elektron zu entfernen.

Nicht nur die Stellung im PSE links oder rechts, sondern auch die Anzahl der Schalen und damit die Größe eines Atoms machen sich dabei bemerkbar. Je größer der Abstand der Außenelektronen vom positiv geladenen Kern ist, desto leichter lässt sich ein Elektron entfernen, desto geringer ist also die Ionisierungsenergie.

image Wichtig zu wissen
Im PSE links und/oder unten stehende Elemente geben relativ leicht Elektronen ab.

1.3.2 Elektronenaffinität

Umgekehrt können wir einem Atom ein Elektron „auf die Hülle drücken“, damit ein Anion entsteht. In diesem Fall wird Energie frei, was sich in einem negativen Vorzeichen ausdrückt. Je höher die Elektronenaffinität, desto stärker negativ ist die Zahl. Die Situation ist folglich umgekehrt wie bei der Ionisierungsenergie.

image Wichtig zu wissen
Die Gruppen 1 und 2 haben eine niedrige, die Gruppen 6 und 7 eine hohe Elektronenaffinität.

Sowohl die Ionisierungsenergie als auch die Elektronenaffinität besitzen als Zahlenwert keine große Bedeutung. Wir sollten uns aber klarmachen, dass die Leichtigkeit der Abgabe bzw. Aufnahme von Elektronen von der Stellung im PSE abhängig ist.

Tabelle 1.8 Beispiele für Elektronenaffinität und Ionisierungsenergie.

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image Tipp
Man könnte sich nun fragen, warum ein Atom überhaupt Elektronen abgibt oder aufnimmt. Schließlich können solche Vorgänge Energie kosten. Das ist richtig. Wir müssen aber den Vorgang als ersten Schritt in einem Prozess betrachten. Dieser erste Schritt ist vielleicht mehr oder weniger aufwendig; insgesamt kann die Sache aber rentabel werden, wenn nämlich mit den nächsten Schritten mehr Energie gewonnen wird, als zunächst aufgewendet wird. Damit beschäftigen wir uns in Kapitel 3.

1.3.3 Metalle und Nichtmetalle

Der Mensch kategorisiert und teilt in Gruppen ein. Der Chemiker tut das ebenso und teilt die Elemente im PSE in Metalle und Nichtmetalle ein. Elemente, die gerne Elektronen abgeben, werden Metalle genannt, und solche, die Elektronen eher aufnehmen, sind Nichtmetalle.

Der Chemiker spricht auch vom metallischen oder nichtmetallischen Charakter eines Elements. Dabei meint er das chemische Verhalten, das sich aus der Elektronenstruktur ergibt. Metalle zeigen eine niedrige Ionisierungsenergie und eine geringe Elektronenaffinität. Nichtmetalle zeigen eine hohe Ionisierungsenergie und eine hohe Elektronenaffinität.

image Wichtig zu wissen
Die Metalle stehen links bzw. unten im PSE. Sie geben gerne Elektronen ab.
Die Nichtmetalle stehen rechts bzw. oben im PSE. Sie nehmen gerne Elektronen auf.

Insgesamt sind die Metalle deutlich in der Überzahl. Bei einer Einteilung in nur zwei Gruppen bleibt es nicht aus, dass man sich manchmal nicht entscheiden kann, was insbesondere für die Halbmetalle gilt. Man kann durch die Halbmetalle Bor (B), Silicium (Si), Arsen (As) und Tellur (Te) eine schräge Linie von links oben nach rechts unten ziehen, welche die Grenze zwischen Metallen und Nichtmetallen bildet.

image Tipp
Einige Halbmetalle besitzen als sogenannte Halbleiter eine große Bedeutung in der Technik.

Tabelle 1.9 Halbmetalle; links von ihnen sind die Metalle im PSE.

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1.3.4 Elektronegativität

In Verbindungen lässt sich beobachten, dass Elemente Elektronen mehr oder weniger stark zu sich ziehen. Das ist eine Charaktereigenschaft eines jeden Elements. Der Chemiker Pauling hat diese Eigenschaft Elektronegativität (EN) genannt und jedem Element in Form einer dimensionslosen Zahl zugeordnet. Das elektronegativste Element ist das Fluor (rechts oben), es erhält die Zahl 4,1 (manchmal auch 4,0); dann kommt der Sauerstoff mit 3,5. Diese Rangliste kann man fortführen bis zur ersten Gruppe. Lithium hat die EN 1,0 und Cäsium 0,9.

image Wichtig zu wissen
Metalle haben durchweg EN-Werte unter 1,7, meistens unter 1,5.
Die EN-Werte von Nichtmetallen liegen bei 2,2 und darüber.

Es lohnt sich, die Reihenfolge der Elektronegativitäten folgender Nichtmetalle im Kopf zu haben:

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1.4 Radioaktivität

In diesem Kapitel…
Die Chemie beschäftigt sich mit Stoffumwandlungen, die auf der Änderung der Bindungsverhältnisse der beteiligten Atome beruhen. Sie betreffen somit die Elektronenhülle. Eine Veränderung der Atomkerne ist mit chemischen Mitteln nicht möglich. Ein Chemiker kann aus einem anderen Element kein Gold herstellen. Aber einem Kernphysiker könnte das gelingen. In der Kernphysik untersucht man den Aufbau und die Umwandlung von Atomkernen. Dabei kann Strahlung entstehen. Das Thema Radioaktivität ist ein Teilbereich der Physik, es wird manchmal auch als „Kernchemie“ bezeichnet.

1.4.1 Natürliche Radioaktivität

Alle Elemente mit einer Ordnungszahl größer als 83 (Bi, Bismut) besitzen instabile Atomkerne. Diese großen Kerne zerfallen unter Abgabe von Strahlung.

image Tipp
Uran (92U), Radium (88Ra) oder das Edelgas Radon (86Rn) sind Beispiele für schwere Atomkerne, die natürlich vorkommende Strahlungsquellen darstellen. Es gibt auch einige natürlich vorkommende leichte Kerne, die instabil sind, wie z. B. 40K oder 14C.

Radioaktive Nuklide werden oft mit einem „*“ gekennzeichnet, z. B. 14C*. Folgende Strahlungsarten werden unterschieden:

Beispiel: image

238U ist ein sogenannter α-Strahler.

Beispiel: image

14C ist demnach ein ß-Strahler.

γ-Strahlung ähnelt der bekannten Röntgenstrahlung.

Eine Einheit für radioaktiven Zerfall lautet Becquerel. 1 Bq steht für einen Kernzerfall pro Sekunde.

Die Strahlenbelastung eines Menschen, die sich aus der Art der Strahlung und der Empfindlichkeit verschiedener Gewebe und Organe ergibt, wird in Sievert (Sv) angegeben.

image Tipp
Radioaktive Strahlung ist – im Gegensatz zu normaler Lichtstrahlung – eine ionisierende Strahlung. Sie kann aufgrund ihres Energieinhalts Elektronen aus der Hülle von Atomen schlagen und Ionen entstehen lassen. Das führt in biologischem Material zu Schäden, die auch das Erbgut betreffen können. Ein geschädigtes Erbgut kann kanzerogen (krebserzeugend) und fruchtschädigend wirken.

1.4.2 Die Halbwertszeit

Eine wichtige Kenngröße für den radioaktiven Zerfall ist die Halbwertszeit (HWZ). Sie wird in Sekunden, Tagen oder Jahren angegeben. Innerhalb einer HWZ geht die Strahlungsintensität um genau die Hälfte zurück. Nach zwei HWZ strahlt radioaktives Material mit 25 % seines Ausgangswertes, nach drei mit 12,5 % usw. Die HWZ eines Nuklids kann bei weniger als einer Sekunde, aber auch bei mehr als 100 000 Jahren liegen.

1.4.3 Zerfallsreihen

Unter den 92 natürlich vorkommenden Elementen gibt es 17, die radioaktive Nuklide in ihrem natürlichen Isotopengemisch aufweisen.

image Tipp
Die Halbwertszeiten müssen bei den natürlich vorkommenden Nukliden sehr hoch sein, sonst wären sie seit ihrer Entstehung vor mehreren Milliarden Jahren inzwischen bereits zerfallen; oder aber es entstehen durch natürliche Prozesse immer wieder neue radioaktive Nuklide, wie es beim 14C der Fall ist, das in der oberen Atmosphäre gebildet wird.

Bei leichteren Elementen dominiert der Zerfall durch Abgang von β-Strahlen. Bei sehr schweren Nukliden erfolgen meist mehrere Zerfallsreaktionen mit α- oder β-Strahlung nacheinander. Man spricht von einer Zerfallsreihe. Es sind drei natürliche Zerfallsreihen bekannt, die alle bei einem stabilen Blei-Isotop enden, nämlich image

image Tipp
image zerfällt beispielsweise zu image Das bedeutet, dass insgesamt acht Helium-Kerne und sechs Elektronen nacheinander emittiert werden.

1.4.4 Kernumwandlungen

Künstlich wurde das erste Mal im Jahr 1911 ein Atomkern umgewandelt. Beim Beschuss von Stickstoff mit α-Teilchen entstand ein Sauerstoff-Isotop.

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Das bedeutet: Atomkerne können – zumindest theoretisch – andere Kerne oder Kernteilchen aufnehmen und sich in ein anderes Element umwandeln.

image Tipp
Ein solcher Prozess wird Kernfusion genannt. Er stellt das energieliefernde Prinzip in der Sonne dar. Protonen verschmelzen bei sehr hohen Temperaturen in mehreren Stufen zu Heliumkernen. Dabei wird sehr viel Energie frei.

1.4.5 Kernspaltung

Die durch die Aufnahme anderer Kernteilchen entstandenen Kerne sind oft nicht stabil und zerfallen unter Abgabe von radioaktiver Strahlung. Bei der künstlichen Kernspaltung beschießt man schwere Atomkerne mit Neutronen:

Abb. 1.9

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Als spaltbares Material dient z. B. 235Uran. Der durch Beschuss mit Neutronen entstehende 236U-Kern kann in unterschiedliche Kerne X und Y zerfallen. Interessant an diesem Vorgang ist, dass dabei nicht nur eine große Menge an Energie freigesetzt wird. Es entstehen auch weitere Neutronen, die weitere Kernzerfälle anstoßen können. Damit ist – eine ausreichende „kritische Masse“ vorausgesetzt – eine Kettenreaktion möglich. Auf diese Weise funktionieren Atombomben oder Kernreaktoren.

1.4.6 Künstliche Nuklide

Durch den Beschuss von Atomkernen mit α-Teilchen oder anderen Kernen gelangt man zu Nukliden bzw. Isotopen, die in der Natur nicht vorkommen. Ebenso ist es möglich, Kerne mit Ordnungszahlen über 92, die sogenannten Transurane, herzustellen. Zwischen 1940 und 1974 wurden auf diese Weise die Elemente Nummer 93 bis 106 „entdeckt“ bzw. hergestellt. Aktuell liegt der Rekord bei einem Element mit der Ordnungszahl 118. Das Element ist selbstverständlich radioaktiv und zerfällt in weniger als einer Tausendstel Sekunde.

image Noch einmal in Kürze

2

Reaktionsgleichungen und Stöchiometrie

In diesem Kapitel …
„Chemie ist’s dann, wenn’s knallt und kracht.“ Die Chemie beschäftigt sich mit stofflichen Veränderungen, d. h. mit der Umwandlung von Substanzen in neue Substanzen. Dabei geht es – ähnlich wie beim Kochen – um Zutaten und Mengen: die Art der Ausgangsstoffe und wie viel man wovon einsetzen muss. Und natürlich will man wissen, welches Ergebnis man zu erwarten hat, welche Produkte entstehen und wiederum in welchen Mengen. Es sollen also qualitative und quantitative Fragen beantwortet werden.
Den Schlüssel zur Antwort auf diese Fragen liefert uns der Atombau. Nachdem wir wissen, dass ein Element durch die Anzahl der Protonen im Kern bestimmt ist und dass sich aus dem natürlichen Isotopengemisch die Atommasse ergibt, sollten wir in der Lage sein, mit den umgesetzten Mengen mathematisch exakt zu verfahren. Dieses chemische Rechnen bezeichnet man als „Stöchiometrie“.

2.1 Die Reaktionsgleichung

Chemische Reaktionen werden mithilfe einer Reaktionsgleichung beschrieben. An die Stelle des C02_image001.gif