Baugruben und Tunnel in offener Bauweise

Maschineller Tunnelbau

Baustoffe und Bauteile

Forschung und Entwicklung

Instandsetzung und Nachrüstung

Vertragswesen und betriebswirtschaftliche Aspekte

Praxisbeispiele

Cover Page

Taschenbuch für den
Tunnelbau 2016

Kompendium der Tunnelbautechnologie Planungshilfe für den Tunnelbau

40. Jahrgang

Herausgegeben von der DGGT · Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e.V.

unter Mitwirkung von

Dr. rer. nat. K. Laackmann (Federführung)

Prof. Dr.-Ing. H. Balthaus

Dipl.-Ing. O. Braach

Dipl.-Ing. M. Breidenstein

Ltd. Bazdirektor Dipl.-Ing. R. Frenzl

Dipl.-Ing. W.-D. Friebel

Dipl.-Ing. G. Glatzle

Ministerialrat Dipl.-Ing. K. Goj

Prof. Dr.-Ing. habil. A. Hettler

Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. B. Maidl

Dipl.-Ing. M. Meissner, M.BC.

Dipl.-Ing. E. Scherer

Dipl.-Ing. S. Schwaiger

Dipl.-Ing. D. Stephan

Prof. Dr.-Ing. M. Thewes

Dr.-Ing. G. Wehrmeyer

Dr.-Ing. B. Wittke-Schmitt

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Vorwort zum vierzigsten Jahrgang

Das Taschenbuch für den Tunnelbau greift seit nunmehr vier Jahrzehnten aktuelle Entwicklungen und Problemstellungen im Untertagebau auf, präsentiert innovative Lösungen und dokumentiert dabei den jeweils erreichten Stand der Technik. Es hat sich in seiner Gesamtheit zu einem praxisnahen Kompendium der Tunnelbautechnik entwickelt, auf das Auftraggeber, Planer und Bauausführende gerne zurückgreifen. Auch wenn das äußere Erscheinungsbild hinsichtlich Größe und Layout sich seit der ersten Ausgabe im Jahr 1976 nicht oder nur kaum verändert hat, entwickelten sich die Inhalte entsprechend den komplexer werdenden Aufgabenstellungen und den steigenden Bedürfnissen der am Tunnelbau Beteiligten weiter, was sich in der Anzahl der Rubriken und auch in der Zusammensetzung des Beirats widerspiegelt.

Im Mittelpunkt des Taschenbuchs für den Tunnelbau steht eine Reihe von Themen, die sich mit den Eigenschaften von Boden und Fels und deren Verhalten bei Belastung, mit der Dimensionierung und Gestaltung von untertägigen Bauwerken, mit Baumethoden in offener und geschlossener Bauweise, mit Maschinen und Geräten sowie Baustoffen und Bauteilen für den Tunnelbau befassen. Diese Themen wurden im Laufe der Zeit durch weitere Rubriken ergänzt, die z. B. den Tunnelbetrieb und die Sicherheit, das Vertragswesen und betriebswirtschaftliche Aspekte behandeln oder über aktuelle Forschungs- und Entwicklungsprojekte berichten.

Herausgeber und Verlag werden bei Einwerbung und Auswahl der Beiträge von Beginn an durch einen aktiven Beirat unterstützt. In den Anfangsjahren des Taschenbuchs für den Tunnelbau bestand dieser noch aus wenigen Hochschullehrern, die teilweise auch als beratende Ingenieure tätig waren. Heute ist der Beirat breiter aufgestellt und vertritt Bauherren, Bauindustrie, beratende Ingenieure, Maschinenhersteller und Zulieferer sowie Hochschule und Wissenschaft.

Die Beiträge in der Ausgabe 2016 behandeln die Themenbereiche Baugruben und Tunnel in offener Bauweise, maschineller Tunnelbau, Baustoffe und Bauteile, Forschung und Entwicklung, Instandsetzung und Nachrüstung, Vertragswesen und betriebswirtschaftliche Aspekte sowie Praxisbeispiele.

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(Dr.-Ing. B. Wittke-Schmitt)

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(Dr. rer. nat. K. Laackmann)

I.
Eurocodebasierter Leitfaden für rechnerische Brandschutznachweise für Tunnel in offener Bauweise

In den zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen für Ingenieurbauwerke (ZTV-ING) [1], dem geltenden Regelwerk für Straßentunnel im Zuge von Bundesfernstraßen, ist das derzeitige rechnerische Nachweisverfahren zum baulichen Brandschutz für Rechteckrahmenquerschnitte im Teil 5 Abschnitt 2 über ein vereinfachtes Nachweisverfahren mit Ansatz eines Temperaturgradienten von 50 K in Wand und Decke geregelt. Alternativ kann nach ZTV-ING ein genauerer rechnerischer Nachweis durchgeführt werden, der jedoch in der Praxis kaum angewendet wird, da hierzu bisher keine eindeutigen Regelungen zur Durchführung vorliegen.

Mit dem Forschungsvorhaben „Rechnerischer Nachweis des baulichen Brandschutzes für Tunnel in offener Bauweise“ [2] wurden „genauere rechnerische Nachweise“ für typische Rechteckrahmenquerschnitte von Straßentunneln auf Basis des „Allgemeinen Rechenverfahrens“ nach DIN EN 1992-1-2 (Eurocode 2) [3] durchgeführt. Als ein Ergebnis dieses Forschungsvorhabens wurde festgehalten, dass das Berechnungsverfahren für den genaueren rechnerischen Nachweis in der Praxis noch nicht ausreichend erprobt ist.

Zur Verifizierung des genaueren rechnerischen Nachweises des baulichen Brandschutzes für Tunnel in offener Bauweise wurde in dem gegenständlichen Forschungsvorhaben eine Erprobung des Nachweisverfahrens an einem aktuellen Ausführungsbeispiel durchgeführt. Weiter ist der in dem Forschungsvorhaben erstellte Leitfaden mit Musterstatik auf die zum 01.05.2013 vollzogene Einführung der Normengeneration des Eurocodes aktualisiert worden.

Auf der Grundlage der Berechnungsergebnisse des genaueren rechnerischen Nachweisverfahrens wurde zudem ein vereinfachtes Berechnungsverfahren für den Brandfall mit Vorgabe eines von der Bauteildicke abhängigen linearen äquivalenten Ersatztemperaturgradienten entwickelt.

Euro Code-Based Guidelines for structural fire protection on open cut tunnels

In the ZTV-ING Part 5, Section 2 the current calculation method for structural fire protection for road tunnels (open cut method) is based on a simplified calculation method with the approach of a temperature gradient of 50 K. Under certain circumstances, an advanced calculation method has to be carried out. This method is not often used in practice, because there are no clear regulations on the procedure, yet.

In the research project „calculation method for structural fire protection for road tunnels (open cut method)” (BASt Book B94) [2] an “advanced calculation method” has been applied for common rectangular cross sections of frames by applying DIN EN 1992-1-2 (eurocode 2) [3]. As a result of the project it was detected, that those more accurate calculation methods are not sufficiently tested in practice.

Therefore for the verification of the “advanced calculation method” for constructional fire protection for road tunnels (open cut method), the calculation method was used and tested at a current design project. Furthermore the guide line of the research project, including sample static, had to be updated to the new released standards of the euro code.

An independent comparative calculation was used to check, respectively to validate the results of the sample calculation (since 01/05/2013).

Based on the results of the advanced calculation method a simplified calculation method with a linear equivalent temperature gradient, dependent on the thickness of the lining was developed.

1 Einleitung

In den Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING) [1], dem Regelwerk für Bundesfernstraßentunnel, ist das rechnerische Nachweisverfahren zum baulichen Brandschutz für Rechteckrahmenquerschnitte geregelt. Demnach darf unter bestimmten Voraussetzungen – diese werden von den üblichen Rechteckrahmenquerschnitten i. d. R. erfüllt – der Nachweis des baulichen Brandschutzes vereinfacht über den Ansatz eines Temperaturgradienten von 50 K in Wand und Decke geführt werden.

Falls die Voraussetzungen nicht erfüllt werden bzw. falls aus dem vereinfachten Nachweis eine deutlich erhöhte Bewehrung gegenüber der Kaltbemessung resultiert, ist nach ZTV-ING ein genauerer rechnerischer Nachweis zu führen. Weitere Angaben zum genaueren rechnerischen Nachweis sind in den ZTV-ING nicht enthalten.

In der Praxis führt dies bisher dazu, dass in den Standsicherheitsnachweisen von Rechteckrahmenquerschnitten überwiegend der vereinfachte Brandschutznachweis nach ZTV-ING mit Ansatz eines Temperaturgradienten von 50 K angewendet wird. Der vereinfachte Brandschutznachweis kann bemessungsrelevant werden und bestimmt dann den erforderlichen Bewehrungsgehalt. Dies kann teilweise unwirtschaftliche Bewehrungsgehalte, insbesondere bei größeren Bauteildicken, zur Folge haben.

Mit dem Forschungsvorhaben FE 15.0502/2010/FRB, Rechnerischer Nachweis des baulichen Brandschutzes für Tunnel in offener Bauweise [2], wurden genauere rechnerische Nachweise für typische Rechteckrahmenquerschnitte von Straßentunneln durchgeführt. Die Nachweise basieren auf dem allgemeinen Rechenverfahren nach DIN EN 1992-1-2 [3]. Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens wurde eine Musterstatik als Leitfaden für die Anwendung des genaueren rechnerischen Nachweises erstellt. Weiter wurde der vereinfachte Nachweis weiterentwickelt, indem eine Abhängigkeit des Temperaturgradienten von der Bauteildicke definiert wurde.

Als ein Ergebnis des Forschungsvorhabens wurde festgehalten, dass das Berechnungsverfahren für den genaueren rechnerischen Nachweis in der Praxis noch nicht ausreichend erprobt ist und in Abhängigkeit der Berechnungsrandbedingungen und -algorithmen eine relativ große Streuung der Berechnungsergebnisse resultieren kann.

Zur Erprobung und Verifizierung des genaueren rechnerischen Nachweises des baulichen Brandschutzes für Tunnel in offener Bauweise auf Basis des allgemeinen Rechenverfahrens nach DIN EN 1992-1-2 [3] wurde das Forschungsvorhaben FE 15.0582/2013/FRB [4] durchgeführt. Der Leitfaden mit Musterstatik ist auf die zum 01.05.2013 vollzogene Einführung der Normengeneration des Eurocodes aktualisiert worden. Vergleichend sind rechnerische Brandschutznachweise mit dem vereinfachten Ansatz des Temperaturgradienten von 50 K und dem weiterentwickelten, vereinfachten Ansatz mit bauteildickenabhängigen Temperaturgradienten durchgeführt worden. Weiter wurde eine Erprobung des Nachweisverfahrens an einem aktuellen Ausführungsbeispiel durchgeführt.

2 Rechnerische Brandschutznachweise

Für die rechnerischen Brandschutznachweise für Tunnel in offener Bauweise (Rechteckrahmen) wurden im Forschungsvorhaben [4] drei verschiedene Verfahren angewendet.

Vereinfachter rechnerischer Brandschutznachweis nach ZTV-ING [1]

Für ein- und zweizellige Rahmen mit Bauteildicken von 0,8 bis 1,6 m und Stützweiten bis 16 m kann ein vereinfachter rechnerischer Nachweis des Brandschutzes in der außergewöhnlichen Bemessungssituation über den Ansatz eines Temperaturgradienten von 50 K in Wand und Decke bei Ansatz der vollen Steifigkeit des Betonquerschnitts (Zustand I) geführt werden. Hinsichtlich der Anwendung des vereinfachten Verfahrens ist in den ZTV-ING folgende Einschränkung enthalten: „Resultiert aus dem vereinfachten Nachweis ein „wesentlich höherer“ Bewehrungsgrad und/oder liegen Abweichungen der Systemvoraussetzungen (d.h. Querschnittsdicken >1,6 bzw. <0,8 m und Stützweiten >16 m) vor, ist ein genauerer rechnerischer Nachweis durchzuführen.“ Die ZTV-ING enthalten im Weiteren aber keine eindeutigen bzw. standardisierten Vorgaben für genauere rechnerische Nachweise. Weiterhin ist keine quantitative Definition für einen wesentlich höheren Bewehrungsgrad vorhanden.

Genauerer rechnerischer Brandschutznachweis nach DIN EN 1992-1-2 [3]

Die DIN EN 1992-1-2 enthält drei verschiedene Nachweisverfahren für den baulichen Brandschutz:

Das allgemeine Rechenverfahren (Stufe 3) stellt das detaillierteste der drei Nachweisverfahren dar. Für Tunnelbauwerke ist aufgrund der von der Einheitstemperaturkurve abweichenden Brandeinwirkung, der statischen Unbestimmtheit mit entsprechender Ausbildung von Zwängungen sowie dem nichtlinearen Trag- und Systemverhalten infolge der Bauwerk-Boden-Interaktion das allgemeine Rechenverfahren der zielführende rechnerische Brandschutznachweis.

Beim allgemeinen Rechenverfahren wird vorab im Rahmen einer thermischen Analyse die Temperaturverteilung im Bauteil aufgrund der maßgebenden Brandkurven berechnet. In den ZTV-ING Teil 5 Abschnitt 1 Nr. 10 [1] ist die Brandkurve für das Nachweisverfahren angegeben. Die verlängerte Brandkurve ist bei Bauwerken mit höheren Anforderungen an den baulichen Brandschutz, z. B. bei Tunneln unter Gewässern anzuwenden. Die beiden Brandkurven sind in Bild 1 dargestellt.

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Bild 1. Brandkurven

Die Ergebnisse der thermischen Analyse unter Einwirkung der ZTV-ING-Kurve sind in dem nachfolgenden Diagramm beispielhaft für eine Bauteildicke von 55 cm dargestellt (Bild 2). Jede Linie im Diagramm gibt die Temperatur zu einem bestimmten Zeitpunkt im Bauteil an.

Bei der anschließenden mechanischen Analyse werden die resultierenden Zwängungen aus der Temperaturverteilung der thermischen Analyse mit den maßgebenden Gebrauchslastfällen (Kaltbemessung) überlagert und daraus die maßgebenden Schnittgrößen berechnet. Die Zwangsschnittgrößen im Brandfall entstehen aus der (verhinderten) thermischen Dehnung in Abhängigkeit der Temperaturverteilung im Beton. Die Brandeinwirkung ist in der Wand und der Decke anzusetzen. Die Sohle ist vor der Brandeinwirkung durch den Sohlaufbau geschützt.

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Bild 2. Temperaturverteilung für Beton unter Einwirkung der ZTV-ING-Kurve für Bauteildicke 55 cm

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Bild 3. Thermische Dehnung von Beton [3]

Bild 3 zeigt die Zunahme der Betondehnung in Abhängigkeit der Temperatur, wobei Kurve 1 den Verlauf mit quarzhaltigem Zuschlag und Kurve 2 mit kalksteinhaltigem Zuschlag darstellt.

Bei der mechanischen Analyse werden die Dehnungen aus der nichtlinearen Temperaturverteilung der thermischen Analyse mit den mechanischen Einwirkungen überlagert und daraus die maßgebenden Schnittgrößen unter Berücksichtigung der temperaturabhängigen Materialeigenschaften nach DIN EN 1992-1-2 [3] berechnet. Unter der Annahme des Ebenbleibens der Querschnitte ergeben sich die spannungserzeugenden Dehnungen in den Ebenen bzw. Schichten bei einer einachsigen Biegung bezogen auf die Dehnungsnulllinie zu:

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mit

ε0 Axialdehnung,
z Abstand zur Systemlinie,
kz Krümmung,
εfi(Θ) Dehnung aus Temperatur auf Grundlage von Bild 3.

Für den Querschnitt ist eine Schichtenunterteilung vorzunehmen. Jeder Schicht kann in der zeitabhängigen Berechnung in Abhängigkeit der bis zum betreffenden Zeitpunkt aufgetretenen maximalen Temperatur die entsprechende nichtlineare Betonarbeitslinie zugeordnet werden. Die Materialeigenschaften sind nach DIN EN 1992-1-2 [3] mit charakteristischen Kennwerten, d.h. mit einer Teilsicherheit γM = 1,0 zu berücksichtigen. In der zeitabhängigen Berechnung sind die Betonmaterialeigenschaften aus dem vorherigen Zeitschritt als Ausgangswerte für den neuen Zeitschritt zu berücksichtigen. Bei Beton und kaltverformtem Betonstahl handelt es sich um irreversible Materialänderungen, wogegen bei warmgewalztem Betonstahl die temperaturabhängigen Festigkeitsreduzierungen reversibel sind, d. h., die Bewehrung hat nach der Abkühlung wieder die vollen Festigkeiten.

Die Schnittgrößenermittlung erfolgt iterativ im Zustand II (Steifigkeitsermittlung unter Berücksichtigung des gerissenen Querschnitts) unter Variation der Randdehnungen und Berücksichtigung der vorhandenen Bewehrung im Rahmen einer außergewöhnlichen Bemessungssituation nach DIN EN 1990 [5]. Die Gleichgewichts- und Verträglichkeitsbedingungen sind erfüllt, wenn die inneren und äußeren Schnittgrößen unter Einhaltung der nach DIN EN 1992-1-2 [3] temperaturabhängigen, maximal zulässigen Beton- und Stahldehnungen übereinstimmen.

Es hat sich gezeigt, dass der genaue rechnerische Nachweis des Brandfalls in Form des allgemeinen Rechenverfahrens nach DIN EN 1992-1-2 [3] ein komplexes Berechnungsverfahren ist.

Weiterentwickelter, vereinfachter rechnerischer Nachweis

Mit dem im Forschungsvorhaben [2] weiterentwickelten, vereinfachten Berechnungsverfahren sind Berechnungen für den Brandfall mit üblichen Stabwerksprogrammen im Zustand I (ungerissener Zustand) möglich. In Ergänzung zum bisherigen vereinfachten Brandschutznachweis nach ZTV-ING (Ansatz eines linearen Temperaturgradienten von 50 K) wird bei diesem Verfahren die Bauteildicke berücksichtigt.

Den Einfluss der Bauteildicke zur Ermittlung des Zwangsbiegemoments aus der Temperatur zeigt die nachfolgende Gleichung:

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Dies bedeutet, bei Annahme einer vollständigen Zwängung, eine proportionale Abhängigkeit des Zwangsbiegemoments zum Quadrat der Bauteildicke d.

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Bild 4. Zwangsnormalkraft NΔT aus behinderter Dehnung durch Temperaturbeanspruchung

Die Ergebnisse der durchgeführten thermischen Analysen und die Erkenntnisse aus Brandversuchen zeigen, dass sich die Temperatureindringung im Bauteil bei einer Brandeinwirkung gemäß ZTV-ING-Kurve auf eine Tiefe von ca. 30 cm beschränkt. Eine Erhöhung der Bauteildicke führt damit lediglich zu einer Erhöhung des Zwangsbiegemoments im Verhältnis zum entsprechend vergrößerten Hebelarm zur Systemlinie.

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Es liegt damit theoretisch nur eine lineare Erhöhung des Temperaturzwangsbiegemoments zur Bauteildicke vor.

Im Forschungsvorhaben [2] sind unter Variation der statischen Systeme (d. h. Tunnelquerschnitte) und der Auflasten unter Einwirkung der ZTV-ING-Kurve bauteildickenabhängige, äquivalente Temperaturgradienten ermittelt worden. Die Ermittlung erfolgte dabei basierend auf einem Abgleich mit den Ergebnissen aus dem genaueren rechnerischen Nachweis.

Der weiterentwickelte, vereinfachte Nachweis basiert auf der Verwendung eines Betons mit PP-Fasern, d. h., es wurde von vernachlässigbaren Betonabplatzungen und damit vernachlässigbarer Beeinträchtigung der Materialeigenschaften (insbesondere der luftseitigen Biegebewehrung) während des Brands und nach dem Brand ausgegangen.

In Bild 7 (vgl. Abschnitt 3) sind die abgeleiteten, bauteildickenabhängigen äquivalenten Temperaturgradienten dargestellt.

In dem Forschungsvorhaben [2] wurde weiter abgeleitet, dass keine gesonderte Temperaturänderung ΔTN für die Normalkraft berücksichtigt werden muss, da bei einem Rechteckquerschnitt mit üblichen Bettungsbedingungen die Zwangsnormalkraft aus dem Brand nicht bemessungsrelevant ist bzw. die Zwangsnormalkraft sich günstig auf die Bemessung auswirkt und eine Vernachlässigung ein konservativer Ansatz ist.

3 Untersuchungsergebnisse

Der im Forschungsvorhaben [4] untersuchte zweizellige Tunnelquerschnitt (RQ 26 t) entspricht dem Querschnitt aus dem Forschungsvorhaben [2] und ist nachfolgend in Bild 5 dargestellt.

Für den Querschnitt wurde der genauere rechnerische Nachweis des Brandfalls auf Grundlage der DIN EN 1992-1-2 [3] in Form des allgemeinen Rechenverfahrens durchgeführt.

Als statisches System wird ein ebenes Stabwerksmodell mit elastisch gebetteter Sohle/Außenwänden gewählt. Die Berechnungen wurden mit der Software TALPA (Stabelemente Fiber Beam) [6], basierend auf der Finite-Elemente-Methode, durchgeführt.

Für die rechnerischen Nachweise des baulichen Brandschutzes wird ein Beton mit Polypropylenfasern berücksichtigt. Der Einfluss von nicht auszuschließenden Betonabplatzungen, die auf Grundlage der Auswertung von Großbrandversuchen, z. B. in [7], auch bei Einsatz von PP-Fasern bei 3 cm liegen können, wurde im Forschungsvorhaben [4] untersucht und kann als vernachlässigbar angesehen werden. Bei Nachrechnungen von bestehenden Tunnelbauwerken aus Beton ohne PP-Fasern oder sonstigen konstruktiven Brandschutzmaßnahmen sind Abplatzungen bis zur luftseitigen Bewehrung in Decke und Wänden anzunehmen.

Die rechnerischen Nachweise für den Brandfall konnten mit der vorhandenen Bewehrung aus der Kaltberechnung (ULS/SLS) ohne das Erfordernis einer Zusatzbewehrung für den Zeitraum von t = 0 bis t = 1.500 min nach Brandbeginn im Rahmen der außergewöhnlichen Bemessungssituation für die Einwirkung der ZTV-ING-Kurve geführt werden. Der Zeitpunkt t = 1.500 min stellt den wieder erkalteten Zustand dar.

Aus einer Brandeinwirkung resultiert in der Tunnelzelle ein negatives Zwangsbiegemoment (Zugbeanspruchung erdseitig). Bild 6 zeigt den zeitabhängigen Verlauf des Stützbiegemoments in der Decke im Bereich der Mittelwand. Zu einem Zeitpunkt von ca. 90 bis 100 min nach Brandbeginn entsteht das maximale Zwangsbiegemoment.

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Bild 5. Tunnelquerschnitt (RQ 26 t)

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Bild 6. Zeitlicher Verlauf des Stützbiegemoments im Tunnelquerschnitt (RQ 26 t) bei Einwirkung der ZTV-ING-Kurve

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Bild 7. Äquivalenter Temperaturgradient

Modifizierung des weiterentwickelten, vereinfachten rechnerischen Nachweises im Brandfall

Ein Vergleich der Schnittgrößen mit dem Forschungsvorhaben in [2] hat gezeigt, dass die Schnittgrößen im Brandfall mit einer aktualisierten Bemessungssoftware teilweise höher sind. Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens wurden durch unabhängige Vergleichsrechnungen bestätigt. Der weiterentwickelte, vereinfachte rechnerische Nachweis mit bauteildickenabhängigen Temperaturgradienten wurde dementsprechend modifiziert und um 5 K angehoben.

Bild 7 zeigt den bauteildickenabhängigen Verlauf des ermittelten Temperaturgradienten.

4 Folgerungen für die Praxis

Auf der Grundlage der Berechnungsergebnisse des genaueren rechnerischen Nachweisverfahrens wurde ein praxisgerechtes Berechnungsverfahren für den Brandfall mit Vorgabe eines von der Bauteildicke abhängigem, linearen äquivalenten Ersatztemperaturgradienten entwickelt. Unter den Randbedingungen der Verwendung eines Konstruktionsbetons mit PP-Fasern (entsprechend den Vorgaben der ZTV-ING) und der Einwirkung der ZTV-ING-Brandkurve kann demnach für ein- und mehrzellige Rahmen mit Bauteildicken größer 0,6 m ein vereinfachter rechnerischer Nachweis des Lastfalls Brand über einen Ersatztemperaturgradienten geführt werden. Dabei ist ein bauteildickenabhängiger linearer Temperaturgradient in Wand und Decke bei voller Steifigkeit des Betonquerschnitts im Zustand I anzusetzen und der Nachweis der Tragfähigkeit für die außergewöhnliche Bemessungssituation gemäß DIN EN 1990 [5] zu führen. Bei einer Bauteildicke von 60 cm ist ein linearer Temperaturgradient von 55 K und bei einer Bauteildicke von 150 cm ein linearer Temperaturgradient von 25 K anzusetzen. Für Bauteildicken zwischen 60 und 150 cm ist linear zu interpolieren.

Durch den Nachweis der Tragfähigkeit für den Brandfall über den Ansatz eines bauteildickenabhängigen Temperaturgradienten wird ein ausreichender Bewehrungsgehalt auf der außen liegenden Seite sichergestellt. Es können somit hohe Betonstahldehnungen (>25 ‰) mit Ausbildung von klaffenden Einzelrissen vermieden werden. Weiter wird über diesen Nachweis sichergestellt, dass ein ausreichender Anteil der außen liegenden Rahmeneckbewehrung in das Feld geführt wird, um die im Brandfall vergrößerten Stützmomente abzudecken.

Bei Abweichungen zu diesen Annahmen ist ein genauerer rechnerischer Nachweis des Brandfalls in Form des allgemeinen Rechenverfahrens nach DIN EN 1992-1-2 [3] durchzuführen. Hierzu ist eine Musterstatik mit Leitfaden [4] verfasst worden. Das Dokument zeigt die Methodik für die Durchführung des genaueren rechnerischen Nachweises des Brandfalls auf und kann, wie der gesamte Forschungsbericht, kostenfrei auf der Homepage der BASt heruntergeladen werden.

Literatur

[1]   Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt): ZTV-ING: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten – Teil 5: Tunnelbau, Abschnitt 2: Offene Bauweise. Ausgabe 2014-12.

[2]   Peter, C., Knief, J., Schreyer, J., Piazzolla, A.: Rechnerischer Nachweis des baulichen Brandschutzes für Tunnel in offener Bauweise. Schlussbericht zum FE-Projekt FE 15.0502/2010/ERB, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Unterreihe Brücken- und Ingenieurbau, Heft B 94. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW GmbH, 2012.

[3]   DIN EN 1992-1-2: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken – Teil 1-2: Allgemeine Regeln – Tragwerksbemessung für den Brandfall, Dezember 2010

[4]   Peter, C., Nasseri, A.: Erprobung des rechnerischen Brandschutznachweises für Tunnel in offener Bauweise. Schlussbericht zum FE-Projekt FE 15.0582/2013/ERB, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Unterreihe Brücken- und Ingenieurbau, Veröffentlichung geplant. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW GmbH, 2015.

[5]   DIN EN 1990:2010-12/NA+A1:2012-08, Eurocode 0: Grundlagen der Tragwerksplanung. Berlin: Beuth Verlag.

[6]   Handbuch SOFiSTiK AG: TALPA Statik ebener und axialsymetrischer Systeme in der Geomechanik. Version 14.05, www.sofistik.de, 2014.

[7]   Dehn, F., et al.: Brand- und Abplatzverhalten von Faserbeton in Straßentunneln. Schlussbericht zum FE-Projekt FE 15.448/2007/ERB, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Unterreihe Brücken- und Ingenieurbau, Heft B 73. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW GmbH, 2010.