Cover: Überzeugend verhandeln by Andres Lares, Jeff Cochran, Shaun Digan

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Die Kunst, überzeugend zu verhandeln

Warum haben Sie dieses Buch gekauft?

Wenn es Ihnen wie den Menschen und Organisationen ergeht, die uns in den letzten Jahrzehnten um fachkundige Unterstützung gebeten haben, haben Sie dieses Buch vermutlich gekauft, um Kollegen zu einer Umsatzsteigerung anzuspornen, bei Vorgesetzten eine Erhöhung Ihres Budgets zu erreichen, Ihre Mitarbeiter zu motivieren oder Ihre Kommunikation effektiver zu gestalten. Vielleicht sind Sie aber auch frustriert, weil es Ihnen nicht gelungen ist, einen großen Kunden an Land zu ziehen, weil Sie bei der Beförderung übergangen wurden oder Teamkollegen nicht dazu bringen können, Ihren Projekten höhere Priorität einzuräumen. Sie wissen, wie wichtig es ist, die eigenen Ziele durchzusetzen, doch bisher war Ihnen nicht klar, dass der Erfolg in diesem Bereich begrenzt ist, wenn klar definierte Vorgehensweisen fehlen. Bleiben Sie bis zum Ende des Buches am Ball, und wir versprechen, ja, garantieren Ihnen sogar, dass Sie Ihre Überzeugungskraft auf spektakuläre Weise verbessern. Und im Gegensatz zu anderen Büchern, die sich mit diesem Thema befassen, ist Ihr neu entwickelter Verhandlungsstil nicht darauf zurückzuführen, dass Sie ein paar erfolgversprechende Taktiken in Ihrem Gedächtnis abspeichern, sondern verstanden haben, warum und wie das Gehirn arbeitet. Dieses Wissen befähigt Sie, Ihr Leistungspotenzial in jeder Verhandlungssituation, der Sie sich künftig gegenübersehen könnten, maximal auszuschöpfen.

Menschen haben sich schon seit Jahrtausenden mit der Kunst befasst, überzeugend zu verhandeln. Angefangen von namhaften Philosophen der Antike wie Platon, Aristoteles und Cicero bis hin zu Vordenkern der heutigen Zeit wie Carnegie, Cialdini und Shapiro, hat sie die Menschheit seit Jahrhunderten fasziniert. Obwohl unser Unwissen vermutlich größer ist als unser Wissen, ist es uns gelungen, einen beeindruckenden Fundus an Erkenntnissen über die Macht eines Prozesses zusammenzutragen, der als Grundlage des Verhandlungserfolgs gilt. Diese Erkenntnisse stammen von Philosophen, Psychologen, Wirtschaftswissenschaftlern, aus der Medizin, Soziologie und anderen Bereichen, die von dem ständigen Wunsch angetrieben werden, die Beweggründe menschlichen Verhaltens besser zu verstehen.

Um unser Versprechen einzulösen, das heißt, Ihre Überzeugungs- und Verhandlungsstrategien zu optimieren, haben wir die wichtigsten wissenschaftlich fundierten Forschungsergebnisse der letzten beiden Jahrhunderte zusammengefasst, durch unsere eigenen umfassenden Studien und Erfahrungen ergänzt und damit ein tragfähiges Fundament für praxisorientierte Prozesse, Tools und Routinen geschaffen, deren Nutzung bei entsprechender Übung zur Gewohnheit werden. Dieses Fundament stützt sich auf drei Säulen:

  1. die mehr als drei Jahrzehnte umfassenden fachspezifischen Recherchen der drei Autoren,
  2. eine Pilot- und Forschungsstudie der Autoren mit mehr als tausend Spitzenführungskräften aus aller Welt, die unsere Verhandlungs- und Überzeugungstechniken in ihrem Alltag als Top-Entscheider erprobt haben, und
  3. fortwährende Umsetzung unserer Modelle, Taktiken und Tools im Zuge von Schulungen über verschiedene akademische Institutionen und in unserem Trainingsunternehmen Shapiro Negotiations Institute (SNI).

Angesichts dessen enthält dieses Buch, wie Sie bald feststellen werden, eine ungeheure Menge an Informationen. Deshalb empfehlen wir, es kapitelweise zu lesen und bei Bedarf jederzeit darauf zurückzugreifen. Die einzelnen Kapitel stellen eine abgeschlossene Einheit dar, ein kurzes Buch für sich. Die Lektüre ist spannend, ist aber zugleich eine Herausforderung. Deshalb haben wir am Ende jedes Kapitels und darüber hinaus noch einmal am Ende des Buches eine Zusammenfassung eingefügt, mit der Sie sich rasch einen Überblick verschaffen können.

Bevor wir die Einführung abschließen, möchten wir noch einen wichtigen Punkt klären: Was ist unter dem Begriff »überzeugend verhandeln« zu verstehen? Damit ist die Fähigkeit gemeint, die eigenen Ziele erfolgreich durchzusetzen, einen Sinneswandel bei den Verhandlungspartnern zu erzeugen und eine Situation zu schaffen, in der alle Beteiligten gewinnen. Die Begriffe überzeugend und erfolgreich sind nicht völlig synonym, aber für uns austauschbar, wenn damit diese Definition gemeint ist.

Nun wünschen wir Ihnen ohne weitere Umschweife viel Spaß bei der Lektüre und hoffen, dass sie Ihnen als Orientierungshilfe bei der Optimierung Ihres Kommunikations-, Verhandlungs- und Überzeugungsstils gute Dienste leistet.

Die Ethik der Einflussnahme

Sie verhandeln mit einem Terroristen, und die eine einzige Möglichkeit, ihn davon abzuhalten, den Zünder einer Bombe zu betätigen, wäre ein Täuschungsmanöver. Greifen Sie zu einer solchen Strategie?

Hoffentlich werden Sie niemals mit einer so extremen Situation konfrontiert, doch das ist ein Beispiel für viele harte Fragen, mit denen wir uns bei Verhandlungsprozessen möglicherweise auseinandersetzen müssen. Heiligt der Zweck die Mittel? Welche Rolle spielt die Absicht, die unser Handeln bestimmt? Wirkt sich unsere Entscheidung auf andere Personen aus? Diesen und anderen angemessenen Fragen müssen wir nachgehen, wenn wir uns die ethischen Grundlagen des überzeigenden Verhandelns bewusst machen.

Mit Hilfe dieses Buches werden Sie Ihre Fähigkeit verbessern, andere zu überzeugen und souverän zu verhandeln, doch mit dieser Kompetenz geht Verantwortung einher. Wir hoffen und fordern Sie auf, die darin enthaltenen Informationen mit positiven Absichten zu nutzen, aufrichtig auf eine Win-win-Situation hinzuarbeiten und allen Beteiligten mit Respekt zu begegnen. Zwischen »White Hat«- und »Black Hat«-Anwendungen der beschriebenen Werkzeuge befindet sich eine feine Trennlinie, aber wir vertrauen auf Ihre Fähigkeit, zwischen »rechtmäßig« und »unrechtmäßig« zu unterscheiden. Es handelt sich um eine dynamische Entscheidung, die es während der Lektüre zu bedenken und in jeder Verhandlungssituation zu überdenken gilt. Wir können Ihnen nicht sagen, wo Sie die ethische rote Linie ziehen sollten, doch wenn Sie achtsam sind und diesen Aspekt berücksichtigen, werden Sie das Wissen, die Tools und die Taktiken in diesem Buch mit höherer Wahrscheinlichkeit in der richtigen Weise nutzen.

Die grundlegenden Aspekte der ethischen Prinzipien

Die fünf grundlegenden Aspekte der ethischen Prinzipien der Psychologie1 stellen eine einfache Methode dar, die Sie nutzen können, um zu überprüfen, ob die praktische Umsetzung der in diesem Buch vorgestellten Konzepte ethisch vertretbar ist.

  1. Wohlwollen: Gehen Sie an das Thema »Überzeugend verhandeln« mit der festen Absicht heran, niemandem zu schaden, sondern eine Lösung anzustreben, bei der alle Beteiligten Vorteile erzielen. Das erfordert Achtsamkeit gegenüber den Wünschen und Bedürfnissen anderer und die Fähigkeit, sie gegenüber Ihren eigenen Motiven und Interessen abzuwiegen.
  2. Verantwortung: Betrachten Sie es als innere Verpflichtung, loyal, gewissenhaft und zuverlässig zu sein. Halten Sie sich an Vereinbarungen und akzeptieren Sie Ihre eigene Verantwortung für die Ergebnisse.
  3. Integrität: Achten Sie bei Ihren Präsentationen und Argumenten auf Faktengenauigkeit, Offenheit und Aufrichtigkeit. Sie sollten weder lügen noch betrügen oder zu Täu-schungsmanövern greifen, um eigennützige Interessen zu verfolgen, und bestrebt sein, Fehlauffassungen zu korrigieren, um einem Vertrauensverlust vorzubeugen.
  4. Gerechtigkeit: Damit ist das Gefühl der Fairness hinter Ihrem Ergebnis oder dem beabsichtigten Ergebnis gemeint. Bei Ihren Bemühungen, überzeugend zu verhandeln, sollten Sie stets nach einer Win-win-Situation Ausschau halten, in der alle Beteiligten gewinnen und keiner verliert.
  5. Respekt: Alle Menschen haben ein Anrecht auf Privatsphäre, Vertraulichkeit und Selbstbestimmung. Das bedeutet, andere nicht zu übervorteilen und ihnen zu gestatten, eigene Entscheidungen zu treffen, ohne sie zu manipulieren oder Druck auszuüben.

Der Verhandlungs- und Überzeugungsprozess

Wie bereits erwähnt, haben sich Menschen schon seit langer Zeit mit dem Thema »Überzeugend verhandeln« befasst. Ungefähr 350 v. Chr. führte Aristoteles, einer der berühmtesten und einflussreichsten Philosophen der Menschheitsgeschichte, die Konzepte Ethos, Pathos und Logos ein, das sogenannte rhetorische Dreieck, das als Grundlage vieler noch heute verwendeter Modelle dient.

  • Ethos bezieht sich auf die Glaubwürdigkeit und den Charakter der Person, die spricht.
  • Pathos bezieht sich auf den emotionalen Zustand der Personen, die zuhören.
  • Logos bezieht sich auf den Gebrauch von rationalen und vernunftgeprägten Argumenten, die das Thema unterstützen sollen.

Im Verlauf der Jahrtausende haben Philosophen, Geschäftsleute, Marketingfachleute, Entrepreneure, Behörden, Verhandlungsführer, Politiker und viele andere Experten und Organisationen diese Konzepte genutzt, um ihre jeweilige Zielgruppe zu überzeugen. Das rhetorische Dreieck in Abbildung 1.1. findet noch heute Eingang in vielen Büros, Lehrbüchern und Websites.

Abbildung 1.1

Seit Anfang der 2000er Jahre wurde dieses Konzept vom Shapiro Negotiations Institute (SNI) erforscht und in Schulungen weitervermittelt. 2005 entwickelte SNI ein eigenes Modell, das auf diesen Prinzipien basiert. Seit der ersten Iteration haben sich zahlreiche weitere Aspekte des Modells als relevant erwiesen. Infolge unserer jahrzehntelangen Erfahrungen, des wachsenden Fundus wissenschaftlicher Studien und unserer eigenen Recherchen konnten wir Tools und Techniken nachschärfen, neue Übungen entwickeln, unsere Methoden und unser Modell feinschleifen und das geballte Wissen nutzen, um Menschen und Organisationen weltweit zu beraten. All das hat meinen Geschäftspartner Jeff, meinen Freund und Forschungskollegen Shaun und mich bewogen, dieses Buch zu schreiben.

Wir gelangten zu der Entscheidung, sowohl unser Verhandlungs- und Überzeugungsmodell als auch unser Influence Without Authority™-Trainingsprogramm auf den Konzepten des Aristoteles aufzubauen, weil sie wirkmächtig, leicht verständlich und problemlos umsetzbar sind. Wir fühlten uns jedoch genötigt, sein Modell aus zwei Gründen zu aktualisieren:

  1. Die Welt und unser Weltverständnis haben sich gewandelt. Zu der Zeit, als Aristoteles es einführte, erlebte Alexander der Große seine Blütezeit. Er führte ständig Eroberungsfeldzüge, und wer sich im wehrfähigen Alter befand, wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Dienst in der Armee eingezogen. Wenn man gerade mal nicht in Kriegshandlungen verwickelt war, bot sich die Möglichkeit, bei sogenannten Symposien Zerstreuung zu suchen, Trinkgelagen, die sich über mehrere Tage erstreckten. Oder man besuchte Gerichtsverhandlungen, die in aller Öffentlichkeit stattfanden und in der Regel mit der Hinrichtung der verurteilten Straftäter endeten. Die eigene Identität wurde durch die Geschlechtszugehörigkeit und den sozioökonomischen Status definiert. War man arm, besaß man weder ein Wahlrecht noch Zugang zu Bildung. Als Frau hatte man höchstwahrscheinlich keinerlei Kontrolle über das eigene Leben, das vom Vater, Bruder, Ehemann oder Sohn bestimmt wurde. Seit dieser Zeit haben wir uns erheblich weiterentwickelt, was unsere Interaktionsmöglichkeiten und unser Wissen um die wirksamsten Kommunikations-, Verhandlungs- und Überzeu-gungsstrategien betrifft.
  2. Die philosophischen Schriften des Aristoteles bedurften einer Anpassung, um sich in einen praktisch nutzbaren Prozess umwandeln zu lassen. Aristoteles ging nicht auf die Frage ein, unter welchen Umständen Strategien wie Ethos, Pathos und Logos umgesetzt werden sollten. Wann sind sie angemessen? Gilt es dabei eine bestimmte Reihenfolge zu beachten? Wie baue ich Glaubwürdigkeit auf? Welche Gefühle spreche ich an? Wir gelangten zu der Schlussfolgerung: Diese Fragen sollten in einem Modell beantwortet werden, das Menschen und Organisationen umsetzen können, um ihre Überzeugungsfähigkeiten und ihre Leistungen dauerhaft und wiederholbar zu verbessern.

Abbildung 1.2 veranschaulicht den vierstufigen Verhandlungs- und Überzeugungsprozess, der auf fünfzehn Jahren Forschung, Analyse und Erfahrung basiert.

1943 veröffentlichte der US-amerikanische Psychologe Dr. Abraham Maslow seine berühmte, kontrovers diskutierte Bedürfnispyramide. Sie beschrieb, wie Menschen zuerst durch ihre Grund- oder Existenzbedürfnisse motiviert werden und sich, sofern diese weitgehend bedient sind, Stufe um Stufe zur Spitze der Bedürfnishierarchie hocharbeiten. Wir benutzen eine ähnliche Pyramidenform, um die hierarchische Struktur des Verhandlungs- und Überzeugungsprozesses darzustellen. Auch hier baut eine Stufe auf der anderen auf. In unserem Fall ist der erste Schritt, um jemanden zu überzeugen, die Entwicklung der eigenen Glaubwürdigkeit. Ohne sie werden Ihre Verhandlungspartner weder die Dialogbereitschaft noch ausreichend Interesse an Ihren Argumenten oder Aktivitäten aufbringen, um sich überzeugen zu lassen. Der zweite Schritt, mit dem Sie die Gefühle der Gesprächspartner einbeziehen, bietet Ihnen die Möglichkeit, positiv auf ihre Denk- oder Verhaltensweisen einzuwirken. Zugegebenermaßen ein schwieriges Unterfangen, das Fingerspitzengefühl erfordert, aber wir zeigen Ihnen, wie es Ihnen zur Zufriedenheit aller Beteiligten gelingt. Und an dritter Stelle, und erst dann, spielt die Logik eine Rolle im Überzeu-gungsprozess. Unsere Forschungsergebnisse und Erfahrungen haben gezeigt, dass die Wahl des Zeitpunkts und die Art und Weise, wie rationale Argumente präsentiert werden, weit verbreitete Fehler sind, die das Scheitern von Verhandlungen zur Folge haben. Und die vierte Stufe, die das Handeln erleichtert, war nicht in Aristoteles Schriften enthalten, sondern ein Produkt unserer zuvor erwähnten umfangreichen Recherchen und iterativen Entwicklungen. Dieser zusätzliche Schritt ermöglicht Ihnen, die Früchte Ihrer Überzeugungsarbeit zu genießen.

Abbildung 1.2

In unserem Buch kommen einige dieser Prinzipien zum Einsatz, um Sie davon zu überzeugen, dass Sie gut beraten sind, diesen Prozess in die Praxis umzusetzen. Unsere Hypothesen wurden durch zahlreiche Quellen und unsere eigenen Forschungsergebnisse untermauert – als Nachweis für unsere Expertise in diesem Bereich. Geschichten und Fallbeispiele dienen als Hebel, um Sie emotional einzubinden und Ihnen ein Gefühl für die praxisorientierte Beschaffenheit des Prozesses zu vermitteln. Wir haben unsere Belege prägnant und überzeugend präsentiert, damit Sie sehen, dass unsere Strategien erfolgreich und problemlos umsetzbar sind. Und zum Schluss ermöglichen wir Ihnen mit Hilfe der Zusammenfassungen und anderer Tools aus unserem Instrumentenkasten, schnell die gewünschten Ergebnisse zu erzielen.

Notiz

  1. 1.  American Psychological Association. Ethical Principles of Psychologists and Code of Conduct. Abgerufen von https://www.apa.org/ethics/code/ am 10. 12. 2020.