Cover: Wiley-Schnellkurs by David R. Klein

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Einführung

Braucht man für die Organische Chemie lediglich ein gutes Gedächtnis?

Ist die Organische Chemie eigentlich tatsächlich so schwer, wie viele sagen? Die Antwort lautet: ja und nein. Ja, weil Sie vermutlich deutlich mehr Zeit für die Organische Chemie einplanen müssen als für einen Kurs über Korbflechten. Und nein, weil diejenigen, die meinen, Organische Chemie sei so schwer, eigentlich nur ineffizient lernen. Wenn Sie einmal herumfragen, werden Sie sehen, dass die meisten Studenten Organische Chemie lernen, als ginge es um eine Art Kingsize-Memory-Spiel. Aber das ist ein Fehler! Gerade Studenten höherer Semester, die die Organische Chemie bereits hinter sich haben, verbreiten oft das (falsche!) Gerücht, die Organische Chemie sei das mit Abstand schwerste Fach im Studium – wahrscheinlich, weil sie glauben, sie könnten damit ihre eigenen schlechten Noten rechtfertigen und würden sich dann besser fühlen.

Aber wenn es nicht um stures Auswendiglernen geht, was ist dann das Geheimnis? Um diese Frage zu beantworten, lassen Sie uns die Organische Chemie mit einem Film vergleichen. Stellen Sie sich einen Film vor, in dem sich die Handlung von Sekunde zu Sekunde ändert.Wenn Sie in einem Kino einen solchen Film anschauen würden, könnten Sie es sich nicht leisten, auch nur einen Moment lang unachtsam zu sein, da Sie ansonsten den roten Faden verlieren würden. Also zwingen Sie sich, den Film komplett bis zum Ende zu schauen, bevor Sie sich trauen, auf die Toilette zu gehen. Na, kommt Ihnen das vertraut vor?

Die Organische Chemie hat viel mit einem solchen Film gemein. Gut, es handelt sich um eine ziemlich lange Geschichte, und die ganze Geschichte ergibt nur dann Sinn, wenn Sie genau aufpassen. Ständig entwickelt sich die Handlung weiter, und nach und nach passen dann alle Teile zusammen. Wenn Sie dem Ganzen aber nicht genügend Aufmerksamkeit schenken, werden Sie ziemlich bald hoffnungslos überfordert sein.

Okay, es handelt sich also um einen langen Film. Aber es geht trotzdem nicht ums Auswendiglernen? – Natürlich müssen Sie sich manche Dinge einfach einprägen. Einige wichtige Punkte der Terminologie müssen Sie ebenso beherrschen wie bestimmte Konzepte, die ebenfalls ein gewisses Maß an Gedächtnisleistung erfordern. Aber für die Organische Chemie muss die bloße Erinnerungsfähigkeit wirklich nicht übermäßig stark ausgeprägt sein. Wenn ich Ihnen eine Liste mit 100 vermeintlich wahllosen Ziffern gäbe und Sie bäte, diese Zahlenkolonne für eine Prüfung auswendig zu lernen, würde Sie das wohl ein wenig verärgern. Gleichzeitig könnten Sie mir aber ganz sicher jederzeit 10 Telefonnummern nennen. Jede dieser Nummern hat etwa 10 Stellen (einschließlich der Vorwahl). Wahrscheinlich haben Sie sich nie irgendwann hingesetzt und diese 10 Telefonnummern auswendig gelernt. Stattdessen haben Sie sich diese Nummern (und damit eben auch alle einzelnen Ziffern in einer genau definierten Reihenfolge) langsam durch wiederholtes Wählen eingeprägt – bis Sie die Nummern endlich verinnerlicht hatten. Schauen wir, wie sich diese Erkenntnis auf unsere Filmanalogie übertragen lässt.

Sie kennen wahrscheinlich mindestens eine Person, die sich einen Film mehr als fünfmal angesehen hat und praktisch jede Szene mitsprechen kann. Wie, glauben Sie, ist das möglich? Auf jeden Fall funktioniert das nicht, indem man versucht, sich den Film aktiv einzuprägen. Wenn Sie einen Film zum ersten Mal sehen, lernen Sie zunächst die Handlung kennen. Nach dem zweiten Anschauen verstehen Sie, warum einzelne Szenen nötig sind, um die Handlung aufzubauen. Nach dem dritten Mal begreifen Sie, wie der Dialog die einzelnen Szenen entwickelt. Nach dem vierten Mal können Sie zumindest einzelne Dialogfetzen mitsprechen. Und zu keinem Zeitpunkt haben Sie dabei versucht, die Szenen aktiv auswendig zu lernen. Sie kennen die einzelnen Szenen deshalb auswendig, weil Sie in der großen Handlung einfach Sinn ergeben. Wenn ich Ihnen nun ein Drehbuch in die Hand drücken und Sie bitten würde, mir nach 10 Stunden so viele Einzelheiten wie möglich zu nennen, würden Sie vermutlich nicht sehr erfolgreich sein. Wenn ich Sie aber stattdessen für 10 Stunden in einen Raum setzen und ein und denselben Film fünfmal hintereinander abspielen würde, wüssten Sie mit Sicherheit nahezu die gesamte Handlung des Films, und das, ohne sie aktiv auswendig gelernt zu haben. Sie könnten mir dann jeden einzelnen Namen nennen, die Reihenfolge der Szenen, sie könnten fast jeden Dialog nacherzählen und so weiter.

In der Organischen Chemie ist es ganz genau so: Es geht nicht ums Auswendiglernen. Viel wichtiger ist es, den Sinn der Handlung, der einzelnen Szenen und der individuellen Konzepte zu begreifen, die in ihrer Gesamtheit unsere Geschichte erzählen. Natürlich müssen Sie trotzdem die Terminologie beherrschen, aber mit genügend Übung wird sie Ihnen bald in Fleisch und Blut übergehen.Im Folgenden gebe ich Ihnen nun eine kurze Vorschau auf das, was Sie erwartet.

Die Handlung

In diesem Teil unserer Geschichte wird immer wieder angedeutet, dass es langfristig um verschiedene Reaktionen gehen wird. Deswegen lernen wir zunächst die Eigenschaften von Molekülen kennen, die uns dabei helfen, diese Reaktionen beizeiten auch zu verstehen. Wir beginnen bei den Atomen, den Bausteinen der Moleküle, und schauen uns an, was passiert, wenn sie sich miteinander verbinden. Dann betrachten wir spezielle Bindungen zwischen bestimmten Atomen und sehen, wie die Natur der verschiedenen Bindungen Form und Stabilität eines Moleküls beeinflusst. Ab diesem Punkt brauchen wir ein Vokabular, um über Moleküle zu sprechen; wir lernen auch, wie Moleküle gezeichnet und benannt werden. Wir sehen, wie sich Moleküle im Raum bewegen, und erforschen die Beziehungen zwischen ähnlichen Molekülen. Ab diesem Punkt kennen wir die wichtigen Eigenschaften der Moleküle und können unser Wissen einsetzen, um Reaktionen zu verstehen.

Reaktionen sind dann Thema im Wiley-Schnellkurs Organische Chemie II. Wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat und Sie sich irgendwann mit Reaktionen auseinandersetzen müssen, wird Ihnen dieser Band bestimmt weiterhelfen.

Wie Sie dieses Buch benutzen können

Ich gehe davon aus, dass Sie eine Chemie-Vorlesung hören oder schon ein wenig Ahnung von Chemie haben. Dieses Buch soll Ihnen dabei helfen, effektiver zu lernen, damit Sie Ihre Zeit nicht sinnlos verschwenden. Es soll Ihnen nicht ohne Vorkenntnisse die Grundlagen der Organischen Chemie vermitteln und zeigt Ihnen die wichtigsten Szenen im großen Handlungsbogen »Organische Chemie«. Dazu erläutert dieses Buch Ihnen die entscheidenden Prinzipien und erklärt, inwiefern sie für den Rest des Kurses von Bedeutung sind. In jedem Abschnitt werden Ihnen Werkzeuge mit auf den Weg gegeben, mit denen Sie Ihr Skript und Ihre Vorlesungen besser verstehen können. Außerdem erwarten Sie zahlreiche Möglichkeiten, alle grundlegenden Fähigkeiten zu trainieren, die Sie zur Lösung von Prüfungsaufgaben benötigen. Anders ausgedrückt: Sie werden die Sprache der Organischen Chemie erlernen. Dieses Buch kann jedoch nicht Ihr Lehrbuch ersetzen. Es vermittelt Ihnen vielmehr die grundlegenden Konzepte, die Ihnen dabei helfen sollen, erfolgreich(er) zu lernen und Ihre Übungen zu meistern. Und um dieses Buch am effektivsten verwenden zu können, sollten Sie wissen, wie Sie mit diesem Kurs am besten lernen.

Wie Sie am besten lernen

Unser Schnellkurs umfasst zwei voneinander getrennte Aspekte:

1. Prinzipien verstehen

2. Aufgaben lösen

Obwohl sich diese beiden Aspekte komplett voneinander unterscheiden, werden Ihre Dozenten Ihr Verständnis der grundlegenden Prinzipien dadurch überprüfen, dass sie Sie Aufgaben lösen lassen. Daher müssen Sie beide Aspekte des Kurses meistern. Die Prinzipien finden Sie zwar vermutlich in Ihrem Skript, aber wie Aufgaben gelöst werden können, müssen Sie für sich selbst herausfinden. Die meisten Studierenden tun sich dabei sehr schwer. In diesem Buch lernen Sie einige Schritt-für-Schritt-Abläufe kennen, mit denen sich Aufgaben analysieren lassen. Dabei sollten Sie sich Folgendes möglichst rasch angewöhnen: Stellen Sie die richtigen Fragen.

Wenn Sie bei Bauchschmerzen einen Arzt aufsuchen, stellt dieser Ihnen mit Sicherheit viele Fragen: Wie lange haben Sie schon Schmerzen? Wo befindet sich der Schmerz genau? Kommt und geht der Schmerz oder ist er immer da? Was haben Sie zuletzt gegessen?Und so weiter. Dabei zeigt der Arzt zwei sehr wichtige und grundverschiedene Fähigkeiten. Zum einen hat er gelernt, die richtigen Fragen zu stellen. Und zum anderen wendet er die Erkenntnisse an, die er aus Ihren Antworten erhalten hat, um zur richtigen Diagnose zu gelangen. Bitte beachten: der erste Schritt besteht immer darin, die richtigen Fragen zu stellen.

Stellen wir uns nun vor, dass Sie ein Fast-Food-Restaurant Ihrer Wahl verklagen wollen, weil Sie sich heißen Kaffee über den Schoß gegossen haben. Sie gehen also zu einer Anwältin, die Ihnen eine Reihe von Fragen stellt, und diese ermöglichen ihr dann, ihr Fachwissen auf Ihren speziellen Fall anzuwenden. Wieder fängt es also zunächst damit an, dass Fragen gestellt werden.

Tatsächlich besteht in fast jedem Beruf die erste Strategie, um ein Problem zu diagnostizieren, im Ermitteln der passenden Fragestellungen. Sagen wir nun, Sie würden ernsthaft in Erwägung ziehen, selbst Arzt zu werden. In diesem Fall erheben sich eine Reihe schwieriger, grundsätzlicher Fragen, die Sie sich unbedingt beantworten sollten. Letztendlich läuft es immer auf das Gleiche hinaus: Man muss lernen, die richtigen Fragen zu stellen.

Das Gleiche trifft auch auf das Lösen von Vorlesungsübungen zu. Unglücklicherweise wird dabei von Ihnen verlangt, dass Sie damit allein fertig werden. In unserem Buch wollen wir uns daher einige allgemeine Aufgabentypen näher anschauen; daran können Sie lernen, welche Fragen Sie in welchem Zusammenhang stellen müssen. Und gleichzeitig werden Sie – was noch wichtiger ist – Fähigkeiten entwickeln, mit deren Hilfe Sie herauszufinden können, welche Fragen Sie bei einem Problem stellen müssen, mit dem Sie bisher noch nie zu tun hatten.

Viele Studenten verlieren in einer Prüfung vor Nervosität fast den Kopf, wenn ihnen eine Aufgabe gestellt wird, die sie nicht lösen können. Wenn Sie hören könnten, was für Gedanken durch die Köpfe solcher Studenten schießen, würden Sie wahrscheinlich Folgendes vernehmen: »Ich schaff' das nicht … Ich werde bestimmt durchfallen.« Diese Gedanken sind jedoch kontraproduktiv und kosten nur wertvolle Zeit. Wenn alle Stricke reißen, sollten Sie daran denken, dass es immer eine Frage gibt, die Sie sich vorlegen können: »Welche Überlegung sollte ich als Nächstes anstellen?«.

Der einzige Weg zur Meisterschaft im Lösen von Aufgaben besteht darin, jeden Tag zu üben, immer und immer wieder. Wie Sie selbst ganz eigenständig Aufgaben lösen können, werden Sie niemals allein aus Büchern lernen. Sie müssen es selbst versuchen; Sie müssen auch Fehler begehen und dann einen neuen Anlauf wagen. Lernen Sie aus Ihren Fehlern! Reagieren Sie ruhig frustriert, wenn Sie eine Aufgabe nicht lösen können. Das gehört zum Lernprozess dazu. Wann immer Sie eine Aufgabe in diesem Buch finden, nehmen Sie einen Stift in die Hand und versuchen Sie sich daran. Überspringen Sie bloß nicht die Übungen! Diese Aufgaben sind ja gerade dazu gedacht, jene Fähigkeiten zu trainieren, die Sie brauchen, um Übungen später selbstständig lösen zu können.

Sie könnten keinen größeren Fehler begehen, als lediglich die Lösungen der Übungen zu lesen und dann zu glauben, Sie wüssten nun, wie man solche Aufgaben löst. So funktioniert das nicht. Wenn Sie es auf die Note 1 anlegen, müssen Sie ein wenig schwitzen (ohne Fleiß kein Preis). Das bedeutet nicht, dass Sie Tag und Nacht Dinge auswendig lernen sollen. Studenten, die sich nur aufs Pauken konzentrieren, mögen damit sehr viel Fleiß an den Tag legen, aber den großen Preis (der Note 1) erreicht man damit nur in den allerallerseltensten Fällen.

Dabei ist das Rezept ganz einfach: Lesen und durchdenken Sie die Prinzipien so lange, bis Sie verstehen, wie sie zusammenpassen und sich in den Gesamtzusammenhang einfügen. Danach sollten Sie die gesamte noch verbliebene Zeit dazu nutzen, Aufgaben zu lösen. Aber keine Sorge. Der Kurs ist nur halb so schwer, wenn Sie mit der richtigen Einstellung an die Sache herangehen. Dieses Buch soll Ihnen auf dem Weg des Lernens als Landkarte dienen.

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Skelettformeln zeichnen

In diesem Kapitel …

  • lernen Sie die wichtigste Kurzschrift der Organischen Chemie kennen
  • erspart Ihnen das Periodensystem die Zählerei
  • lernen Sie charakteristische Strukturen kennen, die Ihnen das Leben noch weiter vereinfachen

Um Ihren Kurs in Organischer Chemie zu bestehen, müssen Sie zunächst lernen, die Formelbilder zu interpretieren, die in der Organischen Chemie üblich sind. Wenn Sie die Darstellung eines Moleküls sehen, ist es unabdingbar, dass Sie sämtliche darin enthaltenen Informationen entschlüsseln können. Ohne diese Fähigkeit ist es nahezu unmöglich, auch nur die einfachsten Reaktionen und Zusammenhänge zu verstehen.

Moleküle können auf verschiedene Art und Weise gezeichnet werden. Unten sehen Sie zum Beispiel drei dieser Möglichkeiten, ein und dasselbe Molekül zu Papier zu bringen:

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Zweifellos lässt sich die rechte Struktur (Skelettformel) am schnellsten zeichnen, überschauen und in Informationen übersetzen. Wenn Sie eine beliebige Seite in der zweiten Hälfte dieses Buches aufschlagen, werden Sie feststellen, dass nahezu jede Seite mit solchen Skelettformeln übersät ist. Die meisten Studenten werden rasch mit diesen Formeln vertraut und sind sich dennoch nicht bewusst, wie absolut wichtig es ist, diese Darstellungen flüssig lesen zu können. Dieses Kapitel soll Ihnen dabei helfen, Ihre Fähigkeiten im schnellen und flüssigen Lesen solcher Darstellungen zu entwickeln.

Skelettformeln lesen

Skelettformeln zeigen das Kohlenstoffgerüst (die Verbindungen aller Kohlenstoffatome, die das Rückgrat oder Skelett des Moleküls bilden) mit allen an-hängenden funktionellen Gruppen wie zum Beispiel -OH oder -Br. Einfache Bindungslinien werden dabei in Zickzackform gezeichnet, wobei jede Ecke zwischen zwei Linien und jeder Endpunkt einer Linie ein Kohlenstoffatom vertritt. Die folgende Verbindung besteht zum Beispiel aus 7 Kohlenstoffatomen:

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Dabei wird häufig vergessen, dass auch die Enden jeder Linie für jeweils ein Kohlenstoffatom stehen. Das folgende Molekül hat zum Beispiel 6 Kohlenstoffatome (zählen Sie durch!):

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Doppelbindungen werden durch zwei parallele Linien dargestellt, Dreifachbindungen entsprechend durch drei parallele Linien:

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Vergewissern Sie sich beim Zeichnen von Dreifachbindungen, dass Sie sie in einer geraden Linie und nicht im Zickzack zeichnen, da Dreifachbindungen linear sind (mehr zu diesem Thema finden Sie im Kapitel über Geometrie). Das erscheint auf den ersten Blick recht verwirrend, da es Ihnen so ein wenig erschwert wird, die Anzahl der Kohlenstoffatome in einer Dreifachbindung zu überblicken. Schauen wir uns die Sache also einmal näher an:

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Häufig sieht man eine kleine Lücke auf jeder Seite einer Dreifachbindung, etwa so:

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Die beiden obigen Skelettformeln werden häufig verwendet. Sie sollten Ihre Augen schulen, Dreifachbindungen in jeder dieser beiden Darstellungsweisen zu erkennen. Lassen Sie sich von Dreifachbindungen nicht verwirren.

Die beiden Kohlenstoffatome einer Dreifachbindung und die an jeder Seite daran anschließenden Kohlenstoffatome werden als gerade Linie dargestellt. Alle anderen Bindungen jedoch werden in Zickzackform gezeichnet:

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Aufgaben

Zählen Sie die Kohlenstoffatome in jeder der folgenden Skelettformeln.

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Da wir jetzt wissen, wie man Kohlenstoffatome zählt, müssen wir nun lernen, wie man die Anzahl der Wasserstoffatome in der Skelettformel eines Moleküls bestimmt. Da die meisten Wasserstoffatome nicht dargestellt werden, lassen sich Skelettformeln sehr rasch zeichnen. Wasserstoffatome, die an andere Atome als Kohlenstoffatome gebunden sind (wie beispielsweise Stickstoff oder Sauerstoff) müssen jedoch immer dargestellt werden:

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Wasserstoffatome, die an Kohlenstoffatome gebunden sind, werden meist nicht dargestellt. Mit der folgenden Regel können Sie die Anzahl der Wasserstoffatome pro Kohlenstoffatom bestimmen: neutrale Kohlenstoffatome gehen insgesamt vier Bindungen ein. In der folgenden Abbildung sehen Sie, dass das hervorgehobene Kohlenstoffatom nur zwei Bindungslinien besitzt:

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Das legt nahe, dass noch zwei weitere Bindungen existieren, die zu jeweils einem Wasserstoffatom führen (damit der Kohlenstoff insgesamt vier Bindungen eingeht). Dadurch können wir uns das Zeichnen der Wasserstoffatome und somit viel Zeit beim Darstellen von Molekülen sparen. Es wird einfach davon ausgegangen, dass eine Durchschnittsperson in der Lage ist, bis vier zu zählen und die Anzahl der Wasserstoffatome in einem Molekül bestimmen kann, auch wenn nicht alle ausdrücklich dargestellt sind.

Sie brauchen also nur die Bindungslinien zu zählen, die von jedem Kohlenstoffatom ausgehen, und dann genügend Wasserstoffatome hinzuaddieren, um die vier Bindungen des Kohlenstoffatoms zu vervollständigen. Wenn Sie das viele Male geübt haben, werden Sie den Punkt erreichen, an dem Sie nicht einmal mehr zählen müssen. Sie werden einfach so versiert im Betrachten von Formelbilder sein, dass Sie die Anzahl der Wasserstoffatome sofort »überblicken«. Wenden wir uns jetzt ein paar Übungen zu, die Ihnen helfen, diesen Punkt zu erreichen.

Aufgaben

Bestimmen Sie bei jedem der folgenden Moleküle die Anzahl der Wasserstoffatome, die an jedes einzelne Kohlenstoffatom gebunden sind. Die erste Aufgabe wurde bereits für Sie gelöst (die Zahlen stehen für die jeweilige Anzahl der Wasserstoffatome pro Kohlenstoffatom).

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Jetzt verstehen Sie bestimmt, warum sich so viel Zeit sparen lässt, wenn Moleküle in der Skelettformel gezeichnet werden. Natürlich geht es schneller, wenn nicht jedes einzelne C und H dargestellt werden muss. Aber Skelettformeln haben einen noch größeren Vorteil: Sie sind nicht nur leichter darzustellen, sondern auch leichter zu lesen. Betrachten Sie dazu die folgende Reaktion als Beispiel:

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In dieser Form ist es etwas schwierig zu erkennen, was genau bei dieser Reaktion passiert. Wahrscheinlich müssen Sie erst ein Weilchen darauf starren, um die Veränderungen nachvollziehen zu können. Wenn wir diese Reaktion jedoch mithilfe von Skelettformeln darstellen, wird die Reaktion sofort viel leichter lesbar:

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Sobald Sie die Gleichung sehen, wissen Sie sofort, was passiert: Eine Doppelbindung wird in eine Einfachbindung verwandelt, indem an die Kohlenstoffatome der Doppelbindung zwei Wasserstoffatome gebunden (»addiert«) werden. Sobald Sie mit dem Lesen dieser Darstellungen einmal vertraut sind, werden Sie die Veränderungen im Verlauf einer Reaktion viel schneller erkennen.

Skelettformeln zeichnen

Da Sie jetzt wissen, wie Skelettformeln zu lesen sind, müssen Sie nun noch lernen, wie man sie selber zeichnet. Nehmen wir dazu das folgende Molekül als Beispiel:

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Um dieses Molekül in der Skelettformel darzustellen, müssen Sie sich zunächst auf das Kohlenstoffgerüst konzentrieren und dann alle anderen Atome außer C und H einzeichnen. Sämtliche Atome, die nicht C oder H sind, müssen dargestellt werden. Das obige Beispiel würde dann so aussehen:

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Die folgenden Hinweise werden Ihnen beim Lösen weiterer Aufgaben helfen.

Tipp

Denken Sie daran, dass Kohlenstoffatome in einer geraden Kette, die über Einfachbindungen miteinander verbunden sind, in Zickzackform dargestellt werden:

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  1. Versuchen Sie beim Zeichnen einer Doppelbindung die anderen Bindungen so weit wie möglich von dieser entfernt zu platzieren:

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  2. Beim Zeichnen von Zickzacklinien ist es egal, an welcher Seite Sie beginnen und in welche Richtung die Kette fortgesetzt wird:

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Aufgaben

Zeichnen Sie die Skelettformel für jede der folgenden Verbindungen in den daneben stehenden Kasten.

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Fehler vermeiden

Warnung

  1. Zeichnen Sie niemals ein Kohlenstoffatom mit mehr als vier Bindungen. Das wäre ein eklatanter Fehler. Kohlenstoffatome besitzen nur vier Orbitale; daher können Kohlenstoffatome nur vier Bindungen ausbilden (Bindungen entstehen, wenn Orbitale eines Atoms mit Orbitalen eines anderen Atoms überlappen). Dies gilt für alle Elemente der zweiten Reihe des Periodensystems (der »zweiten Periode«). Im Kapitel über das Zeichnen von Resonanzstrukturen werden wir auf dieses Thema ausführlicher eingehen.
  2. Beim Zeichnen eines Moleküls sollten Sie entweder alle C- und H-Atome darstellen oder aber die Skelettformel verwenden, in der C und H nicht eingezeichnet werden. Sie dürfen jedoch nicht die C-Atome zeichnen und gleichzeitig die H-Atome weglassen:

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    Diese Zeichnung ist nicht korrekt. Lassen Sie also (bevorzugt) entweder die Cs weg oder fügen Sie die Hs mit ein.

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  3. Wenn Sie jedes Kohlenstoffatom in einer Zickzacklinie zeichnen, richten Sie alle Bindungsarme so weit voneinander entfernt wie möglich aus:

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