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Charles Conn
Robert McLean

Bulletproof Problem Solving

Komplexe Probleme in Unternehmen in 7 Schritten lösen

 

Aus dem Englischen von Silvia Kinkel

Wiley Logo

WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA

Vorwort

 

 

Zielgerichtet, treffsicher, zuverlässig – in einem Wort: »bulletproof«. Bei McKinsey gibt es kein größeres Kompliment, als in dem Ruf zu stehen, ein Problemlöser zu sein, der »bulletproof« ist. In der heutigen Zeit sind zwar viele Fähigkeiten und Formen der Intelligenz nötig, damit eine Unternehmensberatung funktioniert, der Grundpfeiler ist jedoch stets die Fähigkeit zur kreativen Problemlösung.

Mit dem sich beschleunigenden Tempo des wirtschaftlichen und technologischen Wandels ist gute Problemlösung nur noch bedeutsamer geworden, denn damit ging auch eine Steigerung des Umfangs und der Komplexität der Probleme einher, die wir heutzutage angehen müssen. Die Aufgaben sind vielfältig und variieren: Möglicherweise müssen wir dem Gesundheitssystem eines Landes dabei helfen, sich auf den nächsten Ebola-Ausbruch vorzubereiten, oder aber wir müssen eine digitale Marketingstrategie für einen neuen Konsumartikel entwickeln. Da zunehmend mehr Daten verfügbar sind, wird die Messlatte bezüglich der Qualität des Denkens ständig angehoben. Wir brauchen Problemlöser, die »bulletproof« sind.

Egal ob Sie in der Industrie, im Non-Profit-Bereich oder für den Staat arbeiten, es ist unmöglich, alle neuen Strukturen und Entwicklungen vorherzusehen und entsprechend zu planen. Genauso wenig genügt es, einfach Gas zu geben und die traditionelle, bereichsorientierte Ausbildung anzupassen. Der einzige Weg, um diesen Grad der Transformation erfolgreich zu bewältigen, ist, ein dynamischer und kreativer Problemlöser zu sein. Deshalb bezeichnet das Weltwirtschaftsforum die Fähigkeit zur komplexen Problemlösung als die wichtigste für das 21. Jahrhundert. Überall suchen Organisationen beim Aufspüren und Rekrutieren von Nachwuchstalenten vor allem nach dieser Fähigkeit.

Es überrascht Sie möglicherweise, dass eine disziplinierte, umfassende Vorgehensweise beim Lösen von Problemen weder an Schulen noch Universitäten gelehrt wird. Sie fehlt sogar in den Lehrplänen der meisten Business-Schools. Man findet einzelne Elemente zum Beispiel in der Ursachenanalyse oder in der aktuellen Mode der agilen Teams oder des Design-Thinking. Dieses Buch stellt den systematischen Prozess des Problemlösens vor, der bisher gefehlt hat – eine Version der erprobten Methode, die wir seit vielen Jahren bei McKinsey einsetzen.

Die siebenstufige Methode, die Charles und Rob hier erklären, ist transparent und einfach. Dafür müssen Sie weder ein Spezialist noch ein Mathegenie sein – wobei die Autoren durchaus aufzeigen, wann fortgeschrittene Analysetechniken wertvoll sein können und warum diese oft zugänglicher sind, als Sie vielleicht annehmen. Die Methode ist iterativ und flexibel, sie kann rasch erste Ergebnisse und bei einer differenzierteren Vorgehensweise auch fein abgestimmte Antworten bringen. Sie bekommen damit ein Werkzeug an die Hand, mit dem Sie Voreingenommenheit und Urteilsverzerrungen bei der Entscheidungsfindung erkennen können. Die Methode funktioniert bei nahezu allen Problemen, von persönlichen Lebensentscheidungen über geschäftliche und soziale Fragestellungen bis hin zu den größten politischen Herausforderungen, mit denen sich unsere Gesellschaft konfrontiert sieht.

Da ich schon seit vielen Jahren jogge, hat mich vor allem Robs Analyse angesprochen, ob er sich am Knie operieren lassen sollte oder nicht. Beeindruckt hat mich auch die unkomplizierte Analyse, die Wählern helfen kann, ihre Reaktion auf komplizierte Entscheidungen bei Themen wie Überfischung oder Finanzierung von Bildung zu überdenken. Die Fallbeispiele zu Business-strategien oder zur Steigerung der Profitabilität habe ich wirklich gerne gelesen. Obwohl es einige wirklich unlösbare Probleme in den Bereichen Umwelt und Soziales gibt, kann diese Vorgehensweise selbst bei den kniffligsten Herausforderungen den Weg erhellen, sogar beim Kampf gegen den Klimawandel oder Adipositas.

Man könnte sich keine qualifizierteren Autoren für ein solches Buch wünschen. Charles hat die ursprüngliche interne McKinsey-Präsentation zur Problemlösung entworfen: »7 Easy Steps to Bulletproof Problem Solving« – sie gehörte zu unseren gefragtesten Weiterbildungsunterlagen, als wir junge Berater in Toronto waren. Rob kenne ich seit über 35 Jahren; den Anfang machte unser gemeinsames Projekt zu der Fragestellung, wie der CEO von Australiens größtem Unternehmen seine Zeit am effizientesten nutzen kann.

Während ihrer Zeit bei McKinsey arbeiteten Rob und Charles mit anderen Kollegen zusammen, um das 3-Horizonte-Modell zur Wachstumsstrategie zu entwickeln, das heute noch angewandt wird. Nachdem beide die Firma verließen, habe ich mit Freude zugesehen, wie sie ihre Problemlösungsmethode als Unternehmer sowie als Changemaker im Non-Profit-Bereich einsetzten. In den vergangenen Jahren saß ich stets in der ersten Reihe, als Charles diese unverwechselbare Denkweise beim Rhodes Trust in den Bereichen Strategieentwicklung und -veränderung einsetzte.

Problemlösung ist die zentrale Fähigkeit für das 21. Jahrhundert. Und nun – endlich! – gibt es einen Leitfaden, wie man es richtig macht, dem jeder folgen kann.

Dominic Barton

Managing Director (im Ruhestand),

McKinsey & Company

EINLEITUNG
Problemlösung für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts

Exzellente Problemlösung war noch nie wichtiger für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Probleme, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, sind größer, komplexer und entwickeln sich schneller als je zuvor. Herkömmliche Vorgehensweisen bei der Vorbereitung auf den Berufsweg sind veraltet, da sich die Veränderung bei Technologien und Geschäftsmodellen beschleunigt. Zu lernen, wie man ein Problem definiert, es auf kreative Weise in handhabbare Teile zerlegt und systematisch auf eine Lösung hinarbeitet, ist zu der zentralen Qualifikation für Arbeitskräfte im 21. Jahrhundert geworden. Es ist die einzige Chance, um Schritt zu halten. Doch die Art und Weise, wie Problemlösung in unseren Schulen, Universitäten, Unternehmen und Organisationen gelehrt wird, springt zu kurz. Wir brauchen also eine neue Vorgehensweise.

Lassen Sie uns mit einer Definition beginnen:

Wir alle wissen, dass die Folgen schlechter Problemlösung für Unternehmen und Gemeinden, unsere Gesundheit und die Umwelt sehr teuer sein können. Dieses Buch stellt eine erprobte und systematische Herangehensweise vor, die jedem vermittelt werden kann, der ein besserer Problemlöser werden will – von Unternehmensstrategen bis hin zu gemeinnützig Tätigen. Dieses leistungsstarke System, das Bulletproof Problem Solving, ist eine Vorgehensweise, die wir bei McKinsey & Company, dem weltweit tätigen Beratungsunternehmen, erlernten und entwickeln halfen. Bislang war dieser siebenstufige Prozess außerhalb von McKinsey nicht sehr verbreitet. Er kann von Einzelpersonen, Teams, Führungskräften, Politikern und Sozialunternehmern genutzt werden – von jedem mit einem folgenschweren, komplexen und unklaren Problem. Die systematische Vorgehensweise des Bulletproof Problem Solving kann Ihnen helfen, einen tollen Job zu ergattern, Ihre Arbeit effizienter zu erledigen, Ihre Rolle als Bürger erfüllender zu gestalten und sogar Ihr Privatleben zu verbessern. Das sind hohe Ansprüche, aber wir wissen, dass es funktioniert.

Problemlösungsfähigkeit

Dieses neue Zeitalter der Fokussierung auf die kreative Problemlösung wurde durch massive Störungen der bisherigen Ordnung in Wirtschaft und Gesellschaft angestoßen. Neue Geschäftsmodelle entstehen in rasantem Tempo aus revolutionären Technologien aus den Bereichen Internet, maschinelles Lernen und Biowissenschaft, die den Status quo in jeder Branche bedrohen. Neue Regeln werden für Geschäftsabläufe und den Umgang mit gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen aufgestellt. Erfolgreich zu sein erfordert daher komplexe Problemlösungsfähigkeiten wie nie zuvor. Als Produktmanager, der mit disruptiven Konkurrenten konfrontiert wird, brauchen Sie einen Schlachtplan und den Zugriff auf Ressourcen, um im Wettbewerb zu bestehen. Ressourcen bekommen Sie aber nur, wenn Sie mit einem überzeugenden Plan aufwarten können, begleitet von Analysen, die Ihre Kernaussagen unterstützen. Wenn Sie im Non-Profit-Sektor als Teamleiter mit Gemeinden mit Generationenproblemen zu tun haben, müssen Sie in der Lage sein, nötige Veränderungen so zu kommunizieren, dass Probleme mit Maßnahmen und Ergebnissen kausal verbunden sind, sodass Sie die nötige Unterstützung erhalten.

Wenn Organisationen danach streben, clever und beweglich zu werden, um die Herausforderungen dieser neuen Welt in Angriff zu nehmen, werden sie zu Problemlösungsorganisationen: Sie sind bestrebt, an den richtigen Problemen zu arbeiten, die eigentlichen Ursachen anzugehen, Teams rund um kurzfristige Arbeitspläne zusammenzustellen und ihnen Zuständigkeiten und Zeitpläne mit Verantwortlichkeiten zuzuweisen. Im Laufe unseres Berufslebens haben wir beobachtet, wie sich der Fokus von Organisationen bei den Erwartungen hinsichtlich der Fähigkeiten durch verschiedene Bereiche bewegt hat: von Strategie über Umsetzung bis hin zu komplexer Problemlösung.

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Die 1970er- und 1980er-Jahre waren von einem starken Interesse an Strategieentwicklung geprägt. Dieses wurde seit den 1990er-Jahren durch eine Ära verdrängt, die sich auf die Umsetzung konzentrierte, einschließlich einer großen Aufmerksamkeit darauf, die Dinge erledigt zu bekommen, wie das Buch Execution von Ram Charan und Larry Bossidy sowie eine Reihe von Büchern über Business Process Redesign (BPR) – auf Deutsch etwa »Neugestaltung von Geschäftsprozessen« – veranschaulichen.1 Eine gnadenlose Fokussierung auf die Umsetzung setzt jedoch voraus, dass Ihre strategische Ausrichtung stimmt und Sie sich an den neuen Wettbewerb, der häufig von außerhalb Ihrer Branche kommt, anpassen können. Davon kann heutzutage nicht länger ausgegangen werden.

Da diese neue Ära der Problemlösungsorganisationen Einzug hält, erwarten wir, dass sie ein noch größeres Interesse anstößt, wie Teams komplexe Problemlösungs- und Kritikfähigkeiten schärfen – was die Autoren von The Mathematical Corporation als »mentalen Muskel« bezeichnen.2 Auf der anderen Seite der Gleichung steht die zunehmende Bedeutung von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz beim Umgang mit sich schnell verändernden Systemen. Problemlösung wird zunehmend die Vorteile des maschinellen Lernens nutzen, um Muster im Verbraucherverhalten, bei Krankheiten, Kreditrisiken und anderen komplexen Phänomenen vorherzusagen – bezeichnet als »maschineller Muskel«.

Um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern, müssen mentale und maschinelle Muskeln zusammenarbeiten. Das maschinelle Lernen befreit menschliche Problemlöser von der Plackerei beim Rechnen und verstärkt die für schnellere organisatorische Reaktionen auf externe Herausforderungen notwendige Mustererkennung. Damit das funktioniert, brauchen die Organisationen des 21. Jahrhunderts Mitarbeiter, die reaktionsschnell sind, sich zügig neue Fertigkeiten aneignen können und auftretende Probleme selbstbewusst angehen. In seinem Future of Jobs Report3 hat das Weltwirtschaftsforum komplexe Problemlösung an die erste Stelle seiner zehn wichtigsten Fähigkeiten für Jobs im Jahr 2020 gesetzt. Hier ist die Liste wichtiger Fähigkeiten, nach denen Arbeitgeber suchen:

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Es wird immer deutlicher, dass das Beschäftigungswachstum sich auf jene Bereiche konzentriert, in denen die Aufgaben nicht routinemäßig und kognitiv statt routinemäßig und manuell sind. Die Schnittmenge von nicht-routinemäßigen Aufgaben und kognitiver Fähigkeit ist das Herzstück der komplexen Problemlösung. Die Autoren eines kürzlich im McKinsey Quarterly erschienenen Artikels wiesen darauf hin, dass »immer mehr Positionen Mitarbeiter mit tieferem Fachwissen, unabhängigerem Urteilsvermögen und besserer Problemlösungsfähigkeit erfordern«.4 Wir erleben bereits, dass viele Organisationen analytische und Problemlösungsfähigkeiten hoch einschätzen und zum wesentlichen Einstellungskriterium erklären. Der Wirtschaftsjournalist David Brooks von der New York Times geht sogar noch weiter bei seiner Schlussfolgerung, wenn er sagt: »Es spielt keine Rolle, ob Sie in der Cafeteria oder in der Qualitätssicherung einer Fabrik arbeiten, Unternehmen werden nur Leute einstellen, die Probleme erkennen und entsprechend reagieren.«5

Ausbildungslücken

Wenn kreative Problemlösung die entscheidende Fähigkeit im 21. Jahrhundert ist, was tun Schulen und Universitäten dann, um diese bei Schülern und Studenten zu entwickeln? Nicht genug! Die Verankerung und Verbreitung von Problemlösungsverfahren in Lehreinrichtungen stecken noch in den Kinderschuhen. Andreas Schleicher, Bildungsexperte sowie Leiter des OECD-Direktorats für Bildung, erklärt die Notwendigkeit für die Förderung von Problemlösungsfähigkeiten bei Schülern wie folgt: »Einfach ausgedrückt belohnt die Welt Menschen nicht mehr länger einfach für das, was sie wissen – Google weiß alles –, sondern dafür, was sie mit ihrem Wissen anfangen können. Problemlösung ist der Kern dabei, die Fähigkeit eines Individuums, sich auf kognitives Verarbeiten einzulassen, um Problemsituationen zu verstehen und zu lösen, bei denen eine Lösungsmethode nicht auf den ersten Blick erkennbar ist.«6

Die PISA-Studien der OECD begannen im Jahr 2012 mit der Überprüfung individueller Problemlösungsfähigkeiten und fügten in den Beurteilungen von 2015 kollaborative Problemlösungsfähigkeiten hinzu. Eine der interessantesten Feststellungen dabei war, dass viel mehr nötig ist als nur das reine Vermitteln von Wissen in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaft, damit Schüler bessere Problemlöser werden. Fähigkeiten wie Kreativität, logisches Denken und Schlussfolgern tragen wesentlich dazu bei, dass Schüler zu besseren Problemlösern werden. Genau darum geht es in diesem Buch.

Universitäten und andere Hochschulen sind also dazu aufgefordert zu zeigen, dass ihre Absolventen Problemlösungsfähigkeiten entwickelt haben, die sie auf die Anforderungen am Arbeitsplatz vorbereiten. Eine Beurteilungsmethode, ob mit einem US-Hochschulabschluss eine Verbesserung des kritischen Denkens einhergeht, ist der sogenannte CLA+-Test (Collegiate Learning Assessment plus), entwickelt von der Non-Profit-Organisation Council for Aid to Education (CAE). Im Jahr 2017 berichtete das Wall Street Journal, dass von den 200 Colleges, die an diesem Test teilnahmen, »der Großteil der Colleges, die den CLA+-Test durchführten, messbare Fortschritte beim kritischen Denken nachweisen konnte«, obwohl einige sehr angesehene Colleges keine großen Unterschiede zwischen den Studienanfängern und den Abschlusssemestern nachweisen konnten.7 Effektive universitäre Ansätze zur Entwicklung von kritischem Denken und Problemlösen reichen von der Analyse klassischer Gedichte wie Beowulf über das Unterrichten von Logikstrukturen bis hin zur Durchführung von praxisnahen Gruppenprojekten, die den Nachweis von Problemlösungsfähigkeiten erfordern. Was wir an diesem Artikel und dem Vorgehen an den Hochschulen im Allgemeinen ablesen können, sind ein wachsendes Interesse an der Problemlösungsfähigkeit von Studenten sowie die Annahme, dass diese Fähigkeit im Laufe des Studiums ausgebaut wird. Aber bisher gibt es noch keinen gemeinsamen Rahmen oder Prozess.

Der siebenstufige Prozess für kreative Problemlösung

Das Herzstück dieses Buchs ist der siebenstufige Prozess für kreative Problemlösung, das Bulletproof Problem Solving, und wir beginnen mit diesen entscheidenden Fragen:

  1. Wie definieren Sie ein Problem auf präzise Art und Weise, um die Anforderungen des Entscheidungsträgers zu erfüllen?
  2. Wie zerlegen Sie die Probleme und entwickeln zu prüfende Hypothesen?
  3. Wie priorisieren Sie, was Sie tun werden und was nicht?
  4. Wie entwickeln Sie einen Arbeitsplan und weisen analytische Aufgaben zu?
  5. Wie entscheiden Sie sich für die Faktenerfassung und -analyse zur Lösung der Probleme und vermeiden kognitive Verzerrungen?
  6. Wie gehen Sie das Zusammenführen, also die Synthese der Ergebnisse an, um Ihre Erkenntnisse hervorzuheben?
  7. Wie kommunizieren Sie diese auf überzeugende Weise?
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In diesem Buch führen wir Sie anhand von Fallbeispielen durch die sieben Stufen. Wir heben eine Vielzahl verfügbarer analytischer Werkzeuge hervor, um diesen Prozess zu unterstützen, von cleverer Heuristik über analytische Abkürzungen und Überschlagsrechnungen bis hin zu ausgeklügelten Werkzeugen wie Spieltheorie, Regressionsanalyse und maschinellem Lernen. Wir zeigen auch, inwiefern verbreitete kognitive Verzerrungen als Teil des Problemlösungsprozesses angegangen werden können.

Die letzten beiden Kapitel gehen explizit darauf ein, wie Sie Probleme lösen, wenn große Unsicherheit herrscht und die Wechselwirkungen oder Systemauswirkungen erheblich sind. Wir glauben, dass sogar die sogenannten »vertrackten« Probleme der Gesellschaft damit angepackt werden können, wie etwa Adipositas oder Umweltzerstörung. Dies sind schwerwiegende Probleme, die vielfältige Ursachen haben, von externen Effekten beeinflusst werden, Veränderungen des menschlichen Verhaltens erfordern und für die es einige Lösungen gibt, die unter Umständen unbeabsichtigte Konsequenzen nach sich ziehen können. Diese Kapitel sind für Menschen gedacht, die mit fortgeschrittenen Problemlösungssituationen zu tun haben, aber die Fallbeispiele sind auch für jeden spannend zu lesen, der sich für die großen Probleme interessiert, die von Wirtschaft und Gesellschaft in Angriff genommen werden müssen.

Es steht viel auf dem Spiel

Gute Problemlösungsfähigkeiten können Leben retten und das Schicksal von Unternehmen, Non-Profit-Organisationen und Regierungen verändern. Andererseits sind Fehler bei der Problemlösung oft sehr kostspielig und können manchmal großen Schaden anrichten, wie wir bei der Katastrophe des Spaceshuttles Challenger gesehen haben.

Fallstricke und häufige Fehler

Wenn wir Menschen zuhören, die ihre Herangehensweise an Problemlösungen beschreiben, dann identifizieren sie ausnahmslos einen Schritt, den sie sehr gut zu machen glauben. Einige berichten selbstbewusst von ihrer Herangehensweise an die Problemdefinition als SMART (specific, measurable, actionable, relevant und time frame – spezifisch, messbar, machbar, relevant und im Zeitrahmen); andere führen ihre Kenntnisse der induktiven und deduktiven Logik an; manche verweisen auf ihre Arbeitspläne, die Teamprozessen Verantwortung übertragen; viele weisen auf ihre Fähigkeit beim Sammeln und Analysieren von Fakten hin; und ein paar erwähnen, auf welche Weise sie das Pyramidenprinzip nutzen, um eine überzeugende Argumentation mit einem Leitgedanken zu formulieren. Aber es finden sich nur wenige, die sagen, dass sie all das anwenden, kombiniert mit dem Aufspalten der Probleme und der Berücksichtigung von Verzerrungen. Für gutes Problemlösen sind all diese Schritte gemeinsam nötig. Genau das ist unverwechselbar und wirkungsvoll an unserem siebenstufigen Prozess.

Obwohl sich Schulen, Universitäten, Unternehmen und Non-Profit-Organisationen zunehmend auf Problemlösung konzentrieren, herrscht immer noch Verwirrung darüber, was eigentlich zu gutem Problemlösen gehört. Es gibt eine Menge Fallstricke und verbreitete Fehler. Dazu gehören unter anderem:

  1. Schwache Problemstellung. Zu vielen Problemstellungen mangelt es an Genauigkeit, Klarheit rund um die Kriterien und Beschränkungen der Entscheidungsträger, einem Hinweis auf das, was eintritt, wenn das Problem gelöst wird, oder einem Zeitrahmen oder einem erforderlichen Genauigkeitsgrad bei der Lösung des Problems. Sich mit einer vagen Problemstellung in die Analyse zu stürzen, ist eine sichere Formel für viele vergeudete Arbeitsstunden und frustrierte Kunden.
  2. Durchsetzung der Antwort. Eine Behauptung basiert oft auf Erfahrung oder einer Analogie (»Das habe ich schon einmal gesehen«), ohne zu überprüfen, ob diese Lösung wirklich gut zu dem vorliegenden Problem passt. Antworten wie diese werden von der Verfügbarkeitsverzerrung (engl. Availability Bias, das heißt, nur auf verfügbare Fakten zurückzugreifen), vom Ankereffekt (engl. Anchoring Bias, das heißt, eine Entscheidung wird von Umweltinformationen beeinflusst, ohne dass uns dies bewusst ist) oder vom Bestätigungsfehler (engl. Confirmation Bias, das heißt, nur Daten zu sehen, die mit den eigenen Vorurteilen übereinstimmen) beeinflusst.
  3. Fehlende Zerlegung des Problems. Wir erleben nur selten Probleme, die gelöst werden können, ohne dass man sie zuerst in einzelne Komponenten zerlegt. Ein Team, das sich mit der Belastung durch Asthma in Sydney beschäftigte, erlangte beispielsweise erst dann entscheidende Erkenntnisse, als es das Problem in die Bereiche »Vorkommen« und »Schwere der Erkrankung« aufspaltete. Im westlichen Teil Sydneys war das Vorkommen von Asthma nur 10 Prozent höher als im nördlichen Teil, Todesfälle und Krankenhauseinweisungen waren jedoch um 54 bis 65 Prozent höher. Das Team war vertraut mit Forschungen, die Asthma mit sozioökonomischem Status und Baumdichte in Verbindung brachten. Es stellte sich heraus, dass der sozioökonomische Status im westlichen Teil Sydneys deutlich niedriger, die Baumdichte nur halb so groß wie im nördlichen Teil und das tägliche Maximum an Feinstaubbelastung um 50 Prozent höher ist. Indem es das Problem an der richtigen Stelle zerlegte, war das Team in der Lage, sich auf den Kernpunkt zu konzentrieren. Das führte dazu, dass es einen innovativen Ansatz vorschlug, die Atemwegsgesundheit über natürliche Lösungen anzugehen, wie zum Beispiel eine höhere Baumdichte zur Absorption von Feinstaubpartikeln.
  4. Vernachlässigung von Teamstrukturen und -normen. Unsere Erfahrungen bei McKinsey und anderen Organisationen bezüglich der Problemlösung im Team unterstreichen die Bedeutung von Erfahrungsvielfalt und unterschiedlichen Ansichten in der Gruppe, aufgeschlossenen Teammitgliedern, einer Gruppendynamik, die entweder kompetitiv oder kollaborativ sein kann, sowie Schulungen und Teamprozessen, um die Auswirkungen von Verzerrungen zu verringern. Neuere Forschungsarbeiten über das Erstellen von Prognosen haben das unterstrichen.8 Führungskräfte stufen das Reduzieren von Entscheidungsverzerrungen als wichtigstes Ziel zur Leistungsverbesserung ein.9 Zum Beispiel versuchte ein Lebensmittelhersteller, für den Rob arbeitete, einen Bereich abzustoßen, der nur Verluste machte. Das Unternehmen hätte einen Strich unter die Verluste ziehen können, wenn es ein Angebot akzeptiert hätte, nachdem es bereits 125 Millionen Dollar verloren hatte. Man wollte jedoch nur ein Angebot annehmen, das den Buchwert abdeckte (eine Messgröße der ursprünglichen Kosten). Diese Verlustaversion, eine Form des Trugschlusses der versunkenen Kosten, hatte zur Folge, dass das Unternehmen viele Jahre später mit Verlusten von über 500 Millionen Dollar ausstieg! Das Gruppendenken innerhalb eines Teams von Managern mit ähnlichem Hintergrund und eine traditionelle Hierarchie erschwerten es, wirkliche Alternativen klar zu erkennen – ein bekanntes Problem in der Wirtschaft.
  5. Unvollständiges Set von Analyse-Tools. Manche Probleme können mit Überschlagsrechnungen gelöst werden, andere erfordern Zeit und ausgeklügelte Techniken. Manchmal ist zum Beispiel auch keine noch so umfassende Regressionsanalyse ein Ersatz für ein gut gestaltetes Realexperiment, das die Kontrolle von Variablen und die Untersuchung von stichhaltig Kontrafaktischem ermöglicht. Manchmal scheitert die Analyse auch daran, dass die Teams nicht die richtigen Werkzeuge haben. Wir erleben oft eine Überbewertung der Vermögenswerte, wobei Teams mit einem Vielfachen der früheren Gewinne agieren statt mit dem aktuellen Wert des zukünftigen Cashflows. Andererseits erleben wir auch eine Unterbewertung der Aktivposten, wobei Entwicklungsmöglichkeiten und Abbruchoptionen, Konzepte, die Finanzoptionen ähneln, nicht explizit wertgeschätzt werden. Wie BHP, ein australischer Rohstoffkonzern, diese Themen angeht, wird in Kapitel 8 ausgeführt.
  6. Fehlende Verknüpfung von Schlussfolgerungen mit einem Handlungsstrang für die Umsetzung. Analytisch ausgerichtete Teams sagen oft »Wir sind fertig«, wenn die Analyse abgeschlossen ist, ohne weiter darüber nachzudenken, wie komplexe Konzepte für verschiedene Zielgruppen zusammengefasst und kommuniziert werden sollten. So haben zum Beispiel Ökologen darauf hingewiesen, dass Natur und städtische Grünflächen das menschliche Wohlbefinden fördern. Diese Botschaft geht jedoch häufig in der technischen Sprache von Ökosystemdienstleistungen verloren, das heißt bei der Beschreibung der wichtigen Rolle, die Bienen bei der Bestäubung spielen, die Bäume beim Absorbieren von Feinstaub übernehmen oder die Wasserreservoirs für das Liefern von Trinkwasser haben. Die Geschichte wird viel überzeugender, wenn sie, wie etwa im Fall der Luftverschmutzung, mit der Verbesserung der Atemwegsgesundheit bei Asthma sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden wird.10 In diesem Fall war es entscheidend, den Kreis zu schließen und einen Weg zu finden, eine überzeugende Handlung zu entwickeln, die eine Verknüpfung zum »Aufhänger« menschliche Gesundheit herstellen konnte, um die Zuhörer in den Bann zu ziehen und zum Handeln aufzurufen.
  7. Behandlung des Problemlösungsprozesses als einmalige Sache statt als iterativ. Ein Problem ist nur selten ein für alle Mal gelöst. Probleme, über die wir oft sprechen, haben eine Unordnung an sich, die uns zwischen den Hypothesen, Analysen und Schlussfolgerungen jedes Mal vor- und zurückgehen lässt, sobald wir unser Verständnis darüber vertiefen. Wir werden Beispiele anführen, um Ihnen zu zeigen, dass es in Ordnung ist und sich lohnt, zweite und dritte Versionen von Entscheidungsbäumen zu entwerfen, wenn sich Ihr Verständnis eines Problems verändert.

Was bringt die Zukunft?

Dieses Buch soll eine Anleitung für Sie sein. Wir arbeiten uns durch 30 reale Beispiele, wobei wir einen extrem visuellen Logikbaumansatz mit mehr als 90 Grafiken verwenden. Diese stammen aus unserer Erfahrung und wurden in einem arbeitsintensiven Forschungssommer mit einem Team von Rhodes-Stipendiaten in Oxford verfeinert. Sie adressieren sehr unterschiedliche Probleme – von ausreichend Krankenschwestern in der San Francisco Bay Area über Kapitalinvestmententscheidungen in ein australisches Bergbauunternehmen bis hin zur Reduzierung der Ausbreitung von HIV in Indien, Luftverschmutzung und Gesundheitswesen in London, Wettbewerbsdynamiken in der Baumarktbranche und sogar Vorgehensweisen, um etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Die Erkenntnisse in einigen dieser Fallbeispiele sind neu, in anderen sind sie kontraintuitiv. Die Beispiele aus dem wahren Leben hinter diesen Fallbeispielen haben einen Wert in Milliardenhöhe geschaffen, Hunderttausende Menschenleben gerettet und die Zukunft für bedrohte Tierarten wie Lachse verbessert.

Wenn Sie ein besserer Problemlöser werden wollen, zeigen wir Ihnen, wie Sie das mit nur einer geringen Menge an Struktur und mathematischen Fähigkeiten bewerkstelligen können. Individuen treffen Entscheidungen, die lebenslange Konsequenzen haben – wie etwa Berufswahl, Wohnort, Sparpläne oder freiwillige Operationen –, häufig ohne gründliche Überlegung. Dies sind einige der Beispiele, die wir Ihnen im Buch vorstellen, um den Wert eines strukturierten Prozesses zu veranschaulichen, der Ihre Aussichten auf bessere Ergebnisse in Ihrem eigenen Leben erhöht.

Als Bürger haben wir den Wunsch, aktuelle Themen besser zu verstehen und zu ihrer Lösung beitragen zu können. Es ist verlockend, zu sagen: »Dieses Problem ist viel zu komplex oder politisch für mich, als dass ich eine Perspektive beitragen könnte.« Wir hoffen, Ihre Einstellung diesbezüglich zu ändern. Es gibt kaum größere Probleme auf diesem Planeten als den Klimawandel, Adipositas, die Ausbreitung von Infektionskrankheiten sowie das Artensterben und wir möchten Ihnen zeigen, dass Sie selbst Probleme dieser gesellschaftlichen Größenordnung angehen können.

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Wir hoffen, dass dieses Buch für Studenten und Doktoranden zu einer wichtigen Ressource wird – einer umfassenden Palette von Werkzeugen und Vorgehensweisen, die sie zu besseren Problemlösern macht, zu der sie immer wieder zurückkehren. Führungskräften möchten wir aufzeigen, wie sie die Leistung ihres Wettbewerbers besser einschätzen können, entscheiden, wo und wie sie konkurrieren wollen, und wie sie in unsicheren und komplexen Umgebungen eine Strategie entwickeln.

Unser Ziel ist simpel: Wir möchten Ihnen ermöglichen, in allen Lebensbereichen ein besserer Problemlöser zu werden. Sie brauchen dafür keine Promotion. Sie müssen aber darauf vorbereitet sein, einen Prozess durchzuarbeiten und eigene Fälle zu entwickeln, bei denen Sie das System ausprobieren und lernen können. Das folgende Zitat des Nobelpreisträgers Herbert Simon fasst vieles von dem, was wir mit diesem Buch erreichen wollen, zusammen: »Ein Problem zu lösen bedeutet einfach, es so darzustellen, dass die Lösung transparent wird.«11

Anmerkungen

  1. 1 Larry Bossidy und Ram Charan, Managen heißt machen: Die Kunst, Projekte abzuschließen und bis zum Schluss durchzuhalten (Redline Verlag, 2010).
  2. 2 Josh Sullivan und Angela Zutavern, The Mathematical Corporation: Where Machine Intelligence and Human Ingenuity Achieve the Impossible (Public Affairs, 2017).
  3. 3 Future of Jobs: Employment, Skills and Workforce Strategy for the Fourth Industrial Revolution (Weltwirtschaftsforum, 2016).
  4. 4 Boris Ewenstein, Bryan Hancock und Asmus Komm, »Ahead of the Curve: The Future of Performance Management«, McKinsey Quarterly, Mai 2016.
  5. 5 David Brooks, »Everyone is a Changemaker«, New York Times, 18. Februar 2018.
  6. 6 Beno Csapo und Joachim Funke (Hrsg.), The Nature of Problem Solving: Using Research to Inspire 21st Century Learning (OECD Publishing, 2017).
  7. 7 Douglas Belkin, »Exclusive Test Data: Many Colleges Fail to Improve Critical-Thinking Skills«, Wall Street Journal, 5. Juni 2017.
  8. 8 Philip Tetlock und Dan Gardner, Superforecasting: Die Kunst der richtigen Prognose (S. Fischer, 2016).
  9. 9 Tobias Baer, Sven Hellistag und Hamid Samandari, »The Business Logic in Debiasing«, McKinsey Latest Thinking, Mai 2017.
  10. 10 Planting Healthy Air (The Nature Conservancy, 2016).
  11. 11 Herbert Simon, The Sciences of the Artificial (MIT Press, 1968).