Cover: Mikrobiologie für Dummies by Jennifer Stearns, Michael Surette, Julienne C. Kaiser

Mikrobiologie für Dummies

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Einleitung

Wir sind umgeben von winzigen Lebewesen, die wir nur in den seltensten Fällen wahrnehmen. Die meisten Menschen verschwenden kaum einen Gedanken daran, wie wichtig diese kleinen Helfer für unsere Umwelt, unser Innenleben und unsere Gesundheit sind – es sei denn, sie werden krank und auf unangenehme Weise daran erinnert, dass es noch mehr gibt als das, was wir sehen. In diesem Buch möchten wir Sie in die spannende Welt der Mikroorganismen mitnehmen.

Keine Angst – auf den ersten Blick mag Ihnen die Mikrobiologie zwar wie ein riesiges Fachgebiet voller schwieriger Begriffe vorkommen, aber Sie werden sehen, dass die kleinen Häppchen, in dieses Buch zerlegt ist, eigentlich ganz einfach zu verstehen sind. Egal, ob Sie einen Mikrobiologiekurs an der Uni belegt haben, sich für einen Beruf entschieden haben, in dem die Mikrobiologie wichtig ist, oder einfach mehr über dieses Thema wissen möchten, Sie werden mit diesem Buch einen guten Einstieg finden.

Über dieses Buch

Mikrobiologie für Dummies behandelt das Material eines typischen Mikrobiologiekurses eines naturwissenschaftlichen Bachelorstudiengangs. Erklärt werden:

Die zahlreichen Abbildungen helfen Ihnen, den Lernstoff zu visualisieren; zur Übersicht oder zur Orientierung finden Sie auch eine ganze Reihe von Auflistungen und Tabellen. Nach der Lektüre dieses Buches wissen Sie jedenfalls, was Mikroorganismen so einzigartig macht, wie Sie einzelne Arten identifizieren können oder wo und wie diese leben. Weiterhin stellen wir spezielle Bereiche der Mikrobiologie vor, die vielleicht für Ihre Berufswahl interessant sein könnten.

Sie müssen das Buch nicht von Anfang bis Ende lesen – tauchen Sie einfach in das Kapitel oder den Abschnitt ein, in dem sich die benötigten Informationen befinden. Sie können auch die grauen Kästen und Abschnitte überspringen, die mit dem Symbol für technische Informationen gekennzeichnet sind. Hier haben wir zusätzliche Details oder interessante Fälle zum Thema zusammengestellt, aber Sie müssen diese nicht für Ihr Grundverständnis lesen.

Törichte Annahmen über den Leser

Wir gehen nicht davon aus, dass Sie bereits über viel Hintergrundwissen in der Mikrobiologie verfügen, aber vielleicht sind Sie generell an den Naturwissenschaften interessiert und kennen sich etwas mit den grundsätzlichen Prozessen des Lebens aus. Dieses Buch bietet einen Einstieg in die Mikrobiologie, also das solide Handwerkszeug, wenn Sie sich detaillierter mit Mikroorganismen oder der Gentechnologie beschäftigen möchten. Für die Mikrobiologie benötigen Sie Grundkenntnisse in Biochemie, Zellbiologie, Molekularbiologie und Umweltwissenschaften, die hier anwendungsbezogen kurz erklärt sind. Davon einmal abgesehen gehen wir davon aus, dass Sie Ihre Vorstellung von Mikroorganismen als »schlecht« bereits hinter sich gelassen haben und diese als wichtige Mitglieder unserer gesamten Ökosysteme betrachten (das ist nicht schwer angesichts der Tatsache, dass es auf der Erde mindestens 200 Millionen Billionen Mal mehr Mikroorganismen gibt als Menschen …!)

Symbole in diesem Buch

Am linken Seitenrand werden bestimmte Symbole angezeigt, um Informationen zu kennzeichnen, die auf Folgendes hinweisen:

images Unter diesem Symbol finden Sie Informationen, die Fakten noch einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten oder als Erinnerungshilfe dienen.

images Dieses Symbol steht für Erinnerung – also für eine wichtige Information, die Sie im Gedächtnis behalten sollten.

images Hier müssen Sie aufpassen – es geht um Inhalte, die Sie schnell durcheinanderbringen könnten, weil sie oft falsch dargestellt werden (leider auch von einigen Wissenschaftlern). Manchmal weist Sie dieses Symbol auch auf Fakten hin, die in der Mikrobiologie kontrovers diskutiert werden.

images Nicht unbedingt notwendige Information, fallen aber in die Kategorie »nice to know«. Wenn Sie nicht unbedingt in die Details eintauchen wollen, können Sie diesen Text einfach überschlagen.

In diesem Buch sind, wie es in der Wissenschaft üblich ist, Artnamen und Gattungen kursiv geschrieben. Kursiv sind auch alle wichtigen Begriffe, die Sie zum größten Teil als Einträge im Stichwortverzeichnis finden.

Wie Sie dieses Buch für sich nutzen können

Einige Fakten der Mikrobiologie zu kennen ist praktisch, entweder um für eine Prüfung zu lernen oder um Ihr Gedächtnis aufzufrischen. Überspringen Sie gern Teil 1, wenn Sie schon etwas mehr wissen und keine Einführung mehr brauchen. In den Kapiteln in Teil 3 geht es vor allem um die Ökologie. Teil 4 beschäftigt sich mit den verschiedenen Arten von Mikroorganismen, und die Kapitel in Teil 5 konzentrieren sich auf die menschliche Gesundheit.

Egal, wo Sie beginnen oder wo Sie aufhören, wir hoffen, dass Sie mit diesem Buch Spaß haben und das lernen, was Sie wissen möchten oder aktuell benötigen!

Teil I

Einführung in die Mikrobiologie

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Kapitel 1

Mensch und Mikrobiologie

IN DIESEM KAPITEL

  • Warum Mikrobiologie wichtig ist
  • Lernen Sie Mikroorganismen kennen
  • Stellen wir die Werkzeuge der Mikrobiologen vor

Bei der Betrachtung der kleinsten Lebewesen auf der Erde geschieht es leicht, dass Sie das große Ganze aus den Augen verlieren. Was man nicht sieht, kann doch nicht so wichtig sein? Weit gefehlt, wie Ihnen das erste Kapitel zeigen wird, denn die Mikrobiologie hat großen Einfluss auf das menschliche Leben und ist eng mit zahlreichen anderen Wissenschaften verflochten. Und bitte an dieser Stelle keine Scheu vor der lästigen (und unverzichtbaren) Biochemie und Molekularbiologie mit ihren komplizierten Begriffen, denn wir erklären alles Schritt für Schritt.

Wozu brauchen wir die Mikrobiologie?

Das ist eine gute Frage, denn die Bedeutung der unscheinbaren Mikroorganismen für ihr Leben wird von den meisten Menschen unterschätzt. Mikroorganismen sind buchstäblich überall anzutreffen; sie bedecken alle (inneren wie äußeren) Oberflächen Ihres Körpers und jeden Lebensraum der Erde. In der Natur tragen Mikroorganismen zum biogeochemischen Kreislauf und zum Materialumsatz in Böden und aquatischen Lebensräumen bei. Einige sind wichtige Symbionten, die in engem Kontakt mit ihrem Wirt leben (zu beiderseitigem Nutzen), während andere (die Pathogene) Krankheiten bei Pflanzen, Tieren und Menschen verursachen.

Am Anfang der Mikrobiologie stand die Behandlung und Vorbeugung von Krankheiten durch Bakterien, Viren, Protozoen oder Pilze im Vordergrund. Erst durch die Mikrobiologie wurden Antibiotika entdeckt, ebenso die Impfstoffe und weitere Therapeutika zum Schutz des Menschen. Später kamen zunehmend industrielle Anwendungen von Mikroorganismen hinzu wie im Bergbau, der technischen Produktion von Pharmazeutika, Lebensmitteln oder Getränken. In den Anfängen der Bakteriengenetik zeigte sich dann, dass Mikroorganismen wichtige Modellorganismen zur Erforschung genetischer und biochemischer Prinzipien sind und sich hervorragend einsetzen lassen, um andere Organismen genetisch zu manipulieren (Gentechnologie).

In vielen Berufen spielt die Mikrobiologie eine wichtige Rolle – wenn Sie zu diesem Buch gegriffen haben, wissen Sie das bereits, weil Sie entweder im Studium Mikrobiologie belegt haben oder sich für einen Beruf in einem der folgenden Bereiche entschieden haben (die Liste ist bei Weitem nicht vollständig!):

  • Krankenpflege
  • Medizin
  • Biologisch/chemisches Labor
  • Pharmazie
  • Brauerei oder Weinbau
  • Umwelttechnik

Ein Blick auf die Welt der Mikroorganismen

Mikroorganismen sind tatsächlich eine sehr vielfältige Gruppe von Organismen. Die meisten Mikroorganismen sind Einzeller, manche bilden aber auch vielzellige Strukturen, die Sie ohne Mikroskop gut erkennen können. Basierend auf dem evolutionären Stammbaum werden heute drei Domänen des Lebens unterschieden (siehe Abbildung 1.1):

  • Bakterien (Bacteria) sind eine große Gruppe einzelliger Organismen, die Wissenschaftler der Einfachheit halber in gramnegativ und grampositiv einteilen (dazu später noch mehr). In Wirklichkeit gibt es jedoch sehr viele, sehr unterschiedliche Arten.
  • Archaeen (Archaea) sind eine weitere Gruppe einzelliger Organismen, die sich vor mehreren Milliarden Jahren zusammen mit den Bakterien entwickelt haben. Viele sind Extremophile, was bedeutet, dass sie unter sehr heißen, sehr sauren oder extrem salzhaltigen Bedingungen gedeihen. Archaeen sind eher mit Eukaryoten als mit den Bakterien verwandt.
  • Eukaryoten (Eukarya) sind eine strukturell vielfältige Gruppe, zu der Menschen, Tiere, Pflanzen, Protisten, Algen und Pilze gehören. Eukaryoten besitzen einen echten Zellkern und membranumhüllte Organellen und unterscheiden sich in vielen wichtigen Aspekten von Bakterien und Archaeen.
  • Viren sind kleiner als Bakterien und gelten nicht als Lebewesen, da sie keinen eigenen Stoffwechsel haben und eine Wirtszelle infizieren müssen, um zu überleben. Im Prinzip bestehen Viren nur aus genetischem Material, das von einem Virusmantel umgeben ist, aber ihnen fehlt die gesamte Maschinerie, um Proteine selbst herzustellen. Zu den subviralen Partikeln zählen die Viroide, die aus nackter Ribonukleinsäure (RNA) bestehen. Prionen sind Krankheiten verursachende Proteine.

images Alle echten Mehrzeller bestehen aus eukaryotischen Zellen.

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Abbildung 1.1: Die Vielfalt der Mikroorganismen

images Bakterien und Archaeen werden als »Prokaryoten« zusammengefasst, weil beiden Gruppen der echte Zellkern fehlt. Selbst wenn sie einige Merkmale teilen und zunächst nicht leicht voneinander zu unterscheiden sind, handelt es sich dennoch um fundamental unterschiedliche Domänen des Lebens.

Mikrobiologie aus verschiedenen Blickwinkeln

Auch in der Mikrobiologie gibt es verschiedene Fachrichtungen, je nachdem, welche Eigenschaften im Fokus stehen und welche Werkzeuge (die ständig ausgefeilter werden!) für diese Untersuchungen verwendet werden. Dazu zählen:

  • Morphologie: Untersuchung der Form einzelnen Zellen oder einer Kolonie von Zellen (Koloniemorphologie) mit Mikroskopie und bestimmten Färbemethoden.
  • Wachstum: Durch die Untersuchung des Wachstums eines Mikroorganismus lässt sich herausfinden, wie schnell sich eine Population teilt oder wie die einzelnen Mikroorganismen voneinander unterschieden werden können. Das Wachstum lässt sich mithilfe physikalischer Methoden bestimmen oder, ganz »alte Schule«, durch einfaches Zählen. Wichtig sind auch qualitative Gesichtspunkte, wie das Wachstum abläuft.
  • Metabolismus: Wie ein Organismus Energie und Nährstoffe aus seiner Umwelt gewinnt, welche Zellstrukturen er damit synthetisieren kann und welche Stoffe er als »Abfälle« in die Umgebung abgibt (Stoffwechsel), wird mit biochemischen Methoden untersucht.
  • Genotyp: das gesamte Erbgut eines mikrobiellen Stammes. Gene werden mithilfe der Genetik untersucht, die einen großen Teil der Molekularbiologie ausmacht.
  • Phänotyp: die Summe aller beobachtbaren Merkmale eines Mikroorganismus, die sich aus der Konstellation von Genen und Umweltfaktoren ergibt. Um den Phänotyp zu bestimmen, müssen Sie mikrobiologisches Know-how einsetzen. Nur so können Sie Veränderungen in Wachstum und Stoffwechsel oder biochemische Prozesse zur Kommunikation und Verteidigung einer Zelle erkennen.
  • Phylogenie: die Geschichte der Evolution der Mikroorganismen. Auf der Basis der Phylogenie können Sie neu entdeckte Mikroorganismen klassifizieren und untersuchen, wie eng diese miteinander verwandt sind. Hier kommen genetische, molekularbiologische und evolutionsbiologische Werkzeuge zum Einsatz.

Wenn Sie alle Aspekte zusammennehmen, haben Sie einen guten Überblick über die Methoden der Mikrobiologie. Mikrobiologen gehören zu den kreativsten Wissenschaftlern überhaupt – es gibt so viele Methoden, die sich auf vielfältige Weise einsetzen lassen. Der Trick besteht darin, sich immer raffiniertere, schnellere Methoden für Analysen auszudenken, weshalb sich das Feld ständig weiterentwickelt.

images »Mikrobiologie« steht zwar eigentlich für die Untersuchung aller Mikroorganismen, wird aber oft im engeren Sinne vor allem für Bakterien und Archaeen verwendet. Für andere Mikroorganismen sind andere Fachgebiete zuständig, beispielsweise die Virologie zur Untersuchung von Viren, die Mykologie zur Untersuchung von Pilzen und die Phykologie zur Untersuchung von Algen.

Kapitel 2

Mikrobiologie: die neue Wissenschaft

IN DIESEM KAPITEL

  • Die Anfänge der Mikrobiologie
  • Mikroorganismen Schritt für Schritt entdecken
  • Spannende Berufsfelder

Im Vergleich zu deutlich älteren Wissenschaftsgebieten ist die Mikrobiologie zwar historisch gesehen nicht mehr ganz neu, aber dennoch ein »Youngster« angesichts der zahlreichen Spezialgebiete, die sich in den letzten Jahren rund um die Mikrobiologie etabliert haben.

Die Anfänge der Mathematik reichen zurück in die Zeit um etwa 3000 v. Chr. in Babylonien, die Physik nahm mit dem Naturwissenschaftler Aristoteles (384 bis 322 v. Chr. ihren Anfang, aber das Wissen über winzige Lebewesen, ihre Biologie und ihre Auswirkungen auf das menschliche Leben gibt es erst seit dem späten 19. Jahrhundert. Bis um die 1880er-Jahre glaubten die Menschen noch immer, dass Leben durch eine Urzeugung aus unbelebter Materie entsteht und Krankheiten durch Sünden oder üble Gerüche (Miasmen) verursacht werden – so hören sie auch heute oft noch »das stinkt ja wie die Pest« – eine Reminiszenz an wirklich mittelalterliche Zeiten.

Wie in anderen Bereichen der Wissenschaft gibt es in der mikrobiologischen Forschung zwei Aspekte: die Grundlagenforschung und die angewandte Forschung. Bei der Grundlagenforschung geht es darum, die fundamentalen Regeln der mikrobiellen Welt zu entdecken und die Vielfalt mikrobieller Systeme zu untersuchen. In der angewandten Mikrobiologie steht eher die Lösung eines Problems im Vordergrund, zum Beispiel die Frage, wie sich Mikroorganismen, deren Gene und Proteine ​​für praktische Anwendungen in der Industrie oder Medizin nutzen lassen.

In diesem Kapitel erklären wir die wichtigsten Konzepte und Experimente, die zur Entdeckung von Mikroorganismen und ihrer Bedeutung für das Entstehen von Krankheiten führten. Wir stellen verschiedene Bereiche der Mikrobiologie vor und beschäftigen uns mit den Fortschritten und Herausforderungen bei der Prävention und Therapie von Infektionskrankheiten.

Aberglaube und Fehleinschätzungen

Medizinische Praktiken in der Antike waren zwar stark vom Glauben an übernatürliche Kräfte geprägt, dennoch war das alte Ägypten seiner Zeit in Bezug auf die Medizin weit voraus. Altägyptische Ärzte führten bereits 2000 v. Chr. erfolgreich Operationen durch und behandelten eine Vielzahl von Erkrankungen. Altgriechische Ärzte befassten sich um 400 v. Chr. mit der Ausgewogenheit des »humors« im Körper (die verschiedenen Körpersäfte). Sie glaubten, dass ein Ungleichgewicht dieser Säfte für Krankheiten verantwortlich ist. Auf diesem Konzept beruhte auch die Medizin im Europa des Mittelalters. Mikrobielle Verursacher von Krankheiten oder die Übertragungswege waren jedoch noch völlig unbekannt.

Warum Menschen von Krankheiten betroffen sind oder nicht und wie diese behandelt werden sollten, unterschied sich erheblich von Kultur zu Kultur. Die Ursache von Krankheiten war nach damaliger Vorstellung unter anderem:

  • schlechte Gerüche, die durch Entfernen oder Überdecken des störenden Geruchs behandelt wurden
  • ein Ungleichgewicht im »humor« des Körpers, das mit Aderlassen, Schwitzen und Erbrechen behandelt wurde
  • Sünden der Seele; zu behandeln mit Gebet und Ritualen

Obwohl das Konzept der Ansteckung generell bekannt war, wurde es nicht winzigen Lebewesen zugeschrieben, sondern eben den schlechten Gerüchen oder Geistern wie dem Teufel. Dementsprechend wurden damals auch einfache Maßnahmen wie das Entfernen der Infektionsquelle oder das Waschen von Händen beziehungsweise chirurgischen Geräten völlig außer Acht gelassen.

Die Entdeckung der Mikroben

Bevor Mikroorganismen entdeckt wurden, war nicht bekannt, dass das Leben ausschließlich von lebenden Zellen abstammt. Die Menschen glaubten damals, Leben entstehe von allein aus Schlamm und Seen mit ausreichenden Nährstoffen in einem Prozess der spontanen Erzeugung (Urzeugung oder Abiogenese). Dieses Konzept war so überzeugend, dass es bis in das späte 19. Jahrhundert Bestand hatte.

Robert Hooke, ein englischer Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts, verwendete als erster eine Linse, um die kleinsten Einheiten von Geweben zu betrachten. Diese Einheitenbezeichnete er als »Zellen«. Wenig später beobachtete der niederländische Tuchmacher, hobbymäßige Linsenmacher und Amateurbiologe Antoni van Leeuwenhoek mit seinen selbstgefertigten Mikroskopen kleine Lebewesen in Teichwasser und Speichel, die er Animacula (»Tierchen«) nannte – und wurde von der britischen Royal Society für seine Neuentdeckung 1676 zunächst ziemlich verspottet. Mit seinen über 500 Mikroskopen »Marke Eigenbau« soll van Leeuwenhoek eine Vergrößerung des bis zu 270-fachen erreicht haben – eine wirklich erstaunliche Leistung für die damalige Zeit!

Nachdem die Existenz von Mikroorganismen irgendwann anerkannt war, glaubten die meisten Wissenschaftler im 19. Jahrhundert noch immer, dass solche einfachen Lebensformen durch spontane Erzeugung entstehen könnten. Sie erhitzten einen Behälter mit einer Nährlösung (eine Mischung von Nährstoffen, die das Wachstum von Mikroorganismen unterstützen sollte) und versiegelten diesen. Als dann keine Mikroorganismen wuchsen, glaubten sie, dass dies auf die Abwesenheit von entweder Luft oder der Lebenskraft (was auch immer das war!) zurückzuführen sein musste, die notwendig ist, um Leben zu erzeugen.

Der Mythos der Urzeugung wurde entlarvt

Das Konzept der spontanen Entstehung von Leben wurde schließlich vom französischen Chemiker Louis Pasteur in einer Reihe kreativer Experimente mit einem Schwanenhalskolben widerlegt (Abbildung 2.1). Als er eine Nährbouillon in einem Kolben mit geradem Hals kochte und sie dann für eine Weile der Luft aussetzte, wuchsen Organismen. Als er das Experiment mit einem Schwanenhalskolben wiederholte, wuchs nichts. Die S-Form dieses zweiten Kolbens fängt alle Staubpartikel aus der Luft ein und verhindert, dass sie in die Nährbouillon gelangen können. Erst wenn die Nährbouillon mit der Luft im Schwanenhals wieder vermischt wird, kommt es zur Kontamination. Pasteur zeigte, dass zwar Luft in den Kolben eindringen konnte, aber eben nicht die Partikel in der Luft. Damit bewies er, dass es die Organismen im Staub waren, die letztendlich in der Bouillon wuchsen.

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Abbildung 2.1: Pasteurs Experimente, die die Theorie der spontanen Erzeugung widerlegten

images Die Vorstellung, dass unsichtbare Mikroorganismen die Ursache von Krankheiten sein könnten, wird als Keimtheorie bezeichnet, die ab 1870 Eingang in das Verständnis von Mikroorganismen fand – ein weiterer wichtiger Beitrag von Pasteur zu den Anfängen der Mikrobiologie. Anlass für diese Untersuchungen war für Pasteur damals übrigens seine Suche nach dem infektiösen Organismus, der den Tod von dreien seiner Töchter durch Typhus verursachte.

Etwa zur gleichen Zeit, als Pasteur seine Experimente durchführte, arbeitete der Arzt Robert Koch daran, die Ursachen für schwere Tiererkrankungen zu finden; zuerst Anthrax, dann Tuberkulose. Er stellte eine Reihe strenger Richtlinien auf, die er Postulate nannte. Kochs Postulate sind heute noch (wenn auch mit Einschränkungen) gültig, um nachzuweisen, dass ein Mikroorganismus eine bestimmte Krankheit verursacht:

  1. Der Organismus, der die Krankheit verursacht, wird bei Kranken gefunden, aber nicht bei Gesunden.
  2. Der Organismus kann isoliert und in Reinkultur gezüchtet werden.
  3. Der Organismus muss die Krankheit verursachen, wenn er in ein gesundes Tier eingebracht wird.
  4. Der aus dem infizierten Tier wieder isolierte Erreger muss mit dem ursprünglichen Erreger identisch sein.

Gesundheit durch Hygiene, Antibiotika und Impfungen

Sobald die Wissenschaftler begriffen hatten, dass Mikroorganismen Krankheiten verursachen, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die medizinischen Praktiken erheblich verbesserten. Früher war eine Operation genauso gefährlich wie gar keine Behandlung, aber nach der Einführung aseptischer Techniken stiegen die Überlebensraten beträchtlich. Händewaschen und die Quarantäne infizierter Patienten verringerten die Ausbreitung von Krankheiten und machten Krankenhäuser zu einem Ort, an dem man eher geheilt wurde als starb.

Die Impfung wurde zwar noch vor der Keimtheorie entdeckt, aber erst zur Zeit von Pasteur vollständig verstanden. Im späten 18. Jahrhundert blieben Milchmädchen, die sich beim Melken mit den harmlosen Kuhpocken infiziert hatten, von den tödlichen Pocken-Ausbrüchen verschont, die England regelmäßig verwüsteten. Das fiel auch dem Arzt Edward Jenner auf. Er kam auf eine geniale (wenn auch ethisch sehr fragwürdige) Idee: Er verwendete Eiter aus Kuhpocken und infizierte damit gesunde Menschen als Schutz gegen Pockeninfekte. Erst Jahre später erkannte Pasteur, dass das Kuhpockenvirus dem Pockenvirus ähnlich genug ist, um eine Immunantwort auszulösen, die einer Person langfristig Immunität verleiht.

Das erste Antibiotikum entdeckte Alexander Fleming in den 1920er Jahren eher zufällig, als eine Bakterienkultur in einer Petrischale länger als sonst herumstand. Wie Sie es aus dem eigenen Kühlschrank kennen, verpilzen Nahrungsmittel irgendwann – auf der Petrischale breitete sich blau-grüner Schimmel aus. Fleming erkannte, dass sich die Bakterien in der Umgebung der Pilzkolonie regelrecht aufgelöst hatten und die Bakterien auf dem Rest der Platte schlechter zu wachsen schienen (Abbildung 2.2). Aus dieser Beobachtung zog er die richtigen Schlüsse: Irgendetwas musste der Pilz produzieren, was den Bakterien nicht schmeckte.

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Abbildung 2.2: Antibakterielle Eigenschaft des Pilzes Penicillium

Mit viel Aufwand konnte damals die Verbindung isoliert werden, die für diese antibakterielle Wirkung verantwortlich ist – das erste Antibiotikum Penicillin war entdeckt, benannt nach den Produzenten der Gattung Penicillium. Penicillin wurde erstmalig im Zweiten Weltkrieg zur Behandlung von bakteriellen Infektionen und zur Vorbeugung von Infektionen bei Verbrennungsopfern eingesetzt und rettete zahlreichen Soldaten das Leben.

Unter anderem diese Entdeckung revolutionierte die Biologie, deren Augenmerk sich bis dahin vor allem auf pflanzliche und tierische Zellen gerichtet hatte. Erst als die Forscher begannen, die sehr viel einfacher strukturierten Bakterien zu untersuchten, offenbarten sich viele der Geheimnisse von Genen und Enzymen, die alle Lebewesen gemeinsam haben.

Andere wichtige Entdeckungen der Mikrobiologie

Zwei weitere Wissenschaftler haben unser Verständnis der mikrobiellen Welt außerhalb des menschlichen Körpers entscheidend mitgeprägt und zur modernen Umweltmikrobiologie beigetragen:

  • Der niederländische Mikrobiologe Martinus Beijerinck erkannte als erster, dass nicht alle Bakterien mit den gleichen Lebensbedingungen glücklich sind. Er verwendete Anreicherungskulturen (spezielle Nährmedien, die das Wachstum bestimmter Organismen fördern), um Bakterien aus Umweltproben zu isolieren, die unter den üblichen Laborbedingungen nicht im Labor zu züchten waren. Ein wichtiges Beispiel ist Azotobacter, ein stickstofffixierendes Bakterium, das nur unter Stickstoffgas (N2) kultiviert werden kann.
  • Der russische Mikrobiologe Sergei Winogradsky beschrieb schwefeloxidierende Bakterien der Gattung Beggiatoa aus einer heißen Quelle. Diese überraschende Entdeckung zeigte, dass einige Mikroorganismen ihre Energie auch aus anorganischen Verbindungen wie Schwefelwasserstoff (H2S) gewinnen können.

Die Zukunft der Mikrobiologie

Die Entwicklung neuer Techniken, um das Genom von Organismen, ihre Stoffwechselaktivitäten oder die gebildeten Metabolite zu analysieren, eröffnen völlig neue Möglichkeiten für Mikrobiologen. Nun musste ein Mikroorganismus nicht erst im Labor kultiviert werden (was sich in vielen Fällen auch als praktisch unmöglich herausstellte), um ihn zu untersuchen. Die Nutzung dieser mikrobiellen Biodiversität für die Wirkstoffforschung und für biotechnologische Anwendungen erwies sich als überaus spannendes Forschungsgebiet. Mit der ständig wachsenden Verfügbarkeit von Antibiotika und Impfstoffen in der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts glaubten die Wissenschaftler, dass Infektionskrankheiten bald kein Thema mehr sein würden – aber weit gefehlt. Sie mussten erkennen, dass Mikroorganismen noch eine ganze Reihe von Überraschungen für uns parat haben und der Forschung oft eine Nasenlänge voraus sind. Die Entstehung von Antibiotikaresistenzen und die rasche Entwicklung bakterieller und viraler Krankheitserreger mit neuen Eigenschaften zwingen uns heute zum Umdenken und zeigen, dass die medizinische Mikrobiologie noch immer eine dynamische Wissenschaft mit vielen offenen Fragen ist.

Viel Raum nach oben

Dank der ständig verbesserten Untersuchungsmethoden entwickelte sich die Molekularbiologie zu einem überaus spannenden Teilbereich der Mikrobiologie. Mit DNA- und RNA-Sequenzierung und der Manipulation von Genen können Mikrobiologen die Funktion von Enzymen oder die Evolution von Mikroorganismen aufklären und mikrobielle Genome gezielt verändern.

Mittlerweile lässt sich das Genom eines Organismus innerhalb kürzester Zeit analysieren (genauer gesagt, sequenzieren). Die 1975 von Frederick Sanger entwickelte Technik ist an sich nicht mehr ganz so neu, doch erst die automatisierte Sequenzierung mit riesigem Datendurchsatz eröffnete ungeahnte Möglichkeiten. Auch die Mikrobiomforschung (ziemlich heißes Thema gerade) wäre ohne die modernen Sequenzierungstechniken unmöglich. Hier werden ganze Ökosysteme (ein Mikrobiom) hinsichtlich ihrer Gene und Genprodukte analysiert. Untersuchungen von Ozeanen haben zum Beispiel gezeigt, dass dort viel mehr Arten von Bakterien und Archaeen mit bislang unbekannten Stoffwechselwegen vorhanden sind, als wir dachten.

Ein Schwerpunkt der Mikrobiomforschung ist die Gesamtheit der Mikroorganismen, die im menschlichen Körper leben und eine wichtige Rolle für die menschliche Gesundheit spielen. Dazu ein paar Zahlen: Der Mensch enthält mehr Mikroorganismen als Körperzellen; damit entfallen etwa 2 kg eines Erwachsenen auf unsere »Untermieter«. Diese exprimieren eine Vielzahl von Genen, die auch mit Gewichtszunahme, Krebs oder Depressionen in Verbindung stehen sollen.

Neue Herausforderungen meistern

Die Anzahl der Viren auf der Erde ist kaum abzuschätzen – vermutlich haben Wissenschaftler bislang nur die Spitze des Eisbergs gesehen. Ebenso groß ist die Herausforderung, Therapeutika für Viruserkrankungen wie HIV und Influenza zu entwickeln, denn diese Viren ändern sich ständig. Probleme im Gesundheitswesen verursachen auch andere Infektionskrankheiten wie die Lungenentzündung, die nach wie vor weltweit häufigste Todesursache bei Kindern, da Impfstoffe in Entwicklungsländern nur schwer erhältlich sind. Malaria- und Tuberkuloseerreger können sich ziemlich gut vor dem Immunsystem verstecken, sodass viele Ansätze zur Bekämpfung in der Vergangenheit wenig (oder nur temporären) Erfolg zeigten.

Die moderne Medizin hegte im »goldenen« Zeitalter der Antibiotikaentdeckungen große Hoffnungen, Infektionen aller Art eines Tages komplett kontrollieren zu können. Lange sah es auch danach aus, denn Antibiotika erwiesen sich als wahre Wunderwaffen bei der Behandlung der meisten Infektionen. Heute sehen wir jedoch, dass Bakterien immer häufiger Resistenzen entwickeln und viele antibakteriellen Wirkstoffe daher unbrauchbar geworden sind. Nicht umsonst erklärte die Weltgesundheitsorganisation im Frühjahr 2014 die zunehmenden Antibiotikaresistenzen zu einer globalen Gesundheitskrise.