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Author

Prof. Dr. GerhardGottschalk

Institut für Mikrobiologie und Genetik Georg-August-Universität Grisebachstr. 8 37077 Göttingen Deutschland

Titelbild

Dargestellt sind die Mikroben (von links nach rechts):

Pyrodictium occultum
Pyrobaculum aerophilum
Pyrococcus furiosus

Leben in kochendem Wasser und andere Mikrobengeschichten

Gerhard Gottschalk

Unter Mitwirkung von Petra Ehrenreich

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Vorwort

Bakterien werden bewundert und gefürchtet, sie sind einfach unheimlich. Natürlich möchte man mehr über sie erfahren, aber sie sind so kompliziert. Es gibt Lehrbücher, auch der Autor hat eines geschrieben mit dem Titel „Welt der Bakterien, Archaeen und Viren, ein einführendes Lehrbuch in die Mikrobiologie“ (Wiley-VCH, 2015). Dieses und andere Lehrbücher zu verstehen, setzt Grundkenntnisse in Chemie und in den Biowissenschaften voraus. Die Frage ist: Kann man das Wesentliche der Mikrobiologie auch ohne Formeln, Gleichungen und viele Bakteriennamen darstellen? Der Autor machte einen Versuch mit dem Buch „Welt der Bakterien, die unsichtbaren Beherrscher unseres Planeten“ (Wiley-VCH, 2009). Aber so ganz hatte er sich noch nicht von der in Vorlesungen üblichen Stoffvermittlung gelöst. Hier legt er einen zweiten Versuch vor. Es ist ein Text mit Abbildungen, aber praktisch ohne Formeln und Gleichungen. Einige Textteile wurden aus der „Welt der Bakterien“ übernommen, auch manche Kapitelüberschriften und sogar ein Teil des Buchtitels entstammen diesem Werk. Texte über Antibiotikaresistenzen und pathogene Stämme von Escherichia coli übernahm der Autor aus seinem Buch „Bakterien rüsten auf, EHEC und MRSA“ (Wiley-VCH, 2012). Der Autor hofft, dass die Leser die präsentierten Mikrobengeschichten spannend und informativ finden.

Der Autor dankt einer ganzen Reihe von Kolleginnen und Kollegen für ihre Kommentare und Anregungen. Jan Remmer Andreesen (Göttingen) las den größten Teil des Manuskripts und machte den Autor auf zahlreiche Fehler aufmerksam, einzelne Kapitel lasen und kommentierten: Hubert Bahl (Rostock), Michael Blaut (Potsdam), Holger Brüggemann (Aarhus, Dänemark), Christiane Gatz (Göttingen), Jörg Hacker (Berlin), Michael Hecker (Greifswald), Anita Marchfelder (Ulm), Herbert Schmidt (Stuttgart), Ruth Schmitz-Streit (Kiel), Heide Schulz-Vogt (Warnemünde), Anja Spang ('t Horntje, Niederlande) und Alexander Steinbüchel (Münster). Haben Sie herzlichen Dank! Schließlich dankt der Autor dem Verlag Wiley-VCH, insbesondere Andreas Sendtko und Frank Otmar Weinreich für die konstruktive und angenehme Zusammenarbeit.

In besonderer Weise würdigt der Autor die Mitwirkung von Petra Ehrenreich. Sie gestaltete und überarbeitete eine Reihe von Abbildungen, weiterhin korrigierte sie den gesamten Text.

Der Autor widmet dieses Buch seiner Ehefrau Ellen-Marie und seinen drei Kindern Urda, Stephen und Eckart mit ihren Familien, weiterhin Karl Otto Stetter (Regensburg), der Pyrodictium occultum isolierte und unser Wissen über mögliche Lebensräume auf unserem Planeten wesentlich erweiterte.

Göttingen, im Dezember 2018

Gerhard Gottschalk

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Gekocht und doch lebendig

Jeden Morgen, wenn ich mein Frühstücksei aufschlage, denke ich daran, was dieses Ei hinter sich hat: 6 min lang tanzte es in kochendem Wasser. Da ist es kein Wunder, dass aus dem Eiklar festes Eiweiß geworden ist und aus dem Eidotter eine teigige Masse. Und wenn man das gekochte Ei von der Schaumkelle in den Eierbecher überführt, dann brennt es in den Fingerspitzen. Gerade in solchen Momenten kommen wohl jedem Zweifel, ob denn in kochendem Wasser überhaupt etwas wachsen und gedeihen kann.

Ein Überleben von Dauerformen bestimmter Mikroorganismen in kochendem Wasser ist schon seit Langem bekannt. Sporen, korrekter Endosporen, werden diese Dauerformen genannt, die bestimmte Bakterienarten bilden, wenn ihnen die Nährstoffe für die Vermehrung ausgehen. Sie entstehen intrazellulär (deshalb Endosporen) und sind im Mikroskop durch ihre starke Lichtbrechung zu erkennen. Wie Leuchtkugeln strahlen sie, umgeben von dem tristen Grau der Bakterienzellen (Abb. 1.1). Diese Sporen sind äußerst robust. Jahrzehnte können sie im trockenen Boden überdauern, und man kann sie mehrere Minuten, manche sogar Stunden kochen, ohne dass sie ihre Lebensfähigkeit verlieren. Geraten sie anschließend unter Wachstumsbedingungen – also es ist feucht, Nährstoffe sind vorhanden, die Temperatur ist im physiologischen Bereich, etwa zwischen 25 und 37 °C – dann passiert ein kleines Wunder. Der Fachmann sagt, die Sporen keimen aus. Sie nehmen Wasser auf, die starke Lichtbrechung verschwindet und aus der Spore entwickelt sich eine Bakterienzelle, die wächst und sich vermehrt.

Nicht alle Bakterienarten sind in der Lage, Sporen zu bilden. Besonders bekannt sind zwei Gruppen von Sporenbildnern, die Bacillus-Arten und die Clostridium-Arten. Viele Bacillus-Arten sind völlig harmlos. Manche sind auch nützlich, wie Bacillus subtilis oder B. licheniformis, die wichtige Produzenten von Enzymen sind, die in Waschmitteln für den Abbau von Eiweißresten in der Wäsche sorgen. Ausgesprochen gefährlich ist Bacillus anthracis, der Erreger des Milzbrands. Dieser ist auch historisch interessant, weil an ihm Robert Koch erstmals den Zusammenhang zwischen einer Infektion und einer Erkrankung herstellte. Was er nachwies war, dass B. anthracis, den er aus einem kranken Tier isoliert hatte, bei einem gesunden Tier Milzbrand hervorrief und in diesem dann B. anthracis vorhanden war. Das war 1876. Wegen der Sporen eignet sich B. anthracis leider auch zur biologischen Kriegsführung. Die Sporen lassen sich in Form von Aerosolen verbreiten. Werden diese inhaliert, so kann es zum Ausbruch des besonders gefährlichen Lungenmilzbrands kommen. Es entsteht ein Krankheitsbild mit hohem Fieber, Schüttelfrost und letztlich Lungen- und Kreislaufversagen. Nur im frühen Stadium lässt sich Lungenmilzbrand mit Penicillin oder mit anderen Antibiotika erfolgreich behandeln. Aber auch in Pulverform können Sporen von B. anthracis den Tod bringen.

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Abb. 1.1 Sporentragende Bakterienzellen. Zu sehen sind Zellen einer Sporomusa-Art. Die Gattung Sporomusa wurde 1984 von Hans Hippe, dem Autor und ihrem Team beschrieben (Aufnahme: Hans Hippe, Göttingen).

Unmittelbar nach dem 11. September 2001 wurden fünf Briefe mit einem weißen Pulver versandt, das, wie sich später herausstellte, Sporen des Milzbranderregers Bacillus anthracis enthielt. Adressaten waren unter anderem die Senatoren Tom Daschle und Patrick Leahy. 18 Personen infizierten sich, fünf Todesopfer waren zu beklagen.

Wie lang andauernd gefährlich Milzbrand ist, wurde auf makabre Weise auch durch die gezielte Verseuchung der schottischen Insel Gruinard im Jahr 1942 dokumentiert. Sporen wurden dort großflächig versprüht, und noch nach 20 Jahren verstarben auf der Insel ausgesetzte Schafe binnen kurzem. Nach 48 Jahren musste die ganze Inseloberfläche chemisch sterilisiert werden, bevor sie wieder zugänglich gemacht werden konnte.

Die enorme Hitzebeständigkeit der Sporen beeinflusst unser Leben bis in den Alltag hinein, beispielsweise beim sogenannten Einwecken. Hierbei erhitzt man Früchte bzw. Gemüse in Gläsern für etwa 90 min in einem kochenden Wasserbad. Nur so ist gewährleistet, dass die Sporen wirklich abgetötet werden. Lösungen, gerade für den medizinischen Bereich oder für die Mikrobiologie, werden im Dampfdrucktopf, im sogenannten Autoklaven, sterilisiert. Dort sind sie für Zeiträume von 20 min bis zu 1 h einer Temperatur von etwa 120 °C ausgesetzt. Durch dieses sogenannte Autoklavieren ist sichergestellt, dass alle Sporen, die in den Flüssigkeiten möglicherweise enthalten waren, wirklich abgetötet sind.

Die zweite große Gruppe von Sporenbildnern ist – wie erwähnt – die der Clostridien. Sie leben im anaeroben Milieu, also dort wo Sauerstoff überhaupt nicht oder nur in geringer Konzentration zugegen ist. Viele Leser haben von Clostridium difficile gehört. Der breitet sich im Darm aus, wenn die gesunde Mikroflora, etwa durch Antibiotikabehandlungen, stark dezimiert ist. Und er macht uns dann mit seinen Toxinen zu schaffen. Noch viel gefährlicher sind aber Clostridium botulinum und Clostridium tetani, die äußerst potente Toxine produzieren können. C. tetani lebt im Boden. Er wächst in Kadavern, oder er erlegt Getier im Boden mithilfe seines Toxins und verschafft sich so Nahrung. In Zeiten der Not setzt bei C. tetani der Prozess der Sporenbildung ein, und diese fertigen Sporen überdauern lange Zeiträume, mit Sicherheit mehrere Jahrzehnte. Sie liegen einfach herum, aber sie bleiben gefährlich. Wehe, wenn sporenverseuchter Boden in eine Schürfwunde gelangt. In den Wundsekreten ist wenig Sauerstoff zugegen, Nährstoffe sind reichlich vorhanden. Das alles sind Signale, die die Sporen zum bereits beschriebenen Auskeimen bringen. Clostridium tetani vermehrt sich und bildet Kolonien, die aus Millionen von Zellen bestehen. Sobald die Zellvermehrung – aus welchen Gründen auch immer – stoppt, holt C. tetani seine furchtbare Waffe hervor, das Tetanustoxin. Bei diesem Gift handelt es sich um ein Neurotoxin, es ist nach dem Botulinumtoxin die zweitgiftigste Substanz, die bekannt ist. Die letale Dosis liegt bei etwa 1 ng/kg Körpergewicht. Glücklicherweise gibt es seit 70 Jahren einen hochwirksamen Impfstoff, das Tetanustoxoid, welches durch Behandlung von Tetanustoxin mit Formaldehyd gewonnen wird. Der Impfschutz reicht übrigens für einen Zeitraum von sechs bis zehn Jahren, und die Impfung sollte daher in etwa diesem zeitlichen Abstand wiederholt werden. Dank der Wirksamkeit dieser Impfung tritt Wundstarrkrampf in industrialisierten Ländern nur sporadisch auf. Weltweit ist der Wundstarrkrampf aber immer noch eine große Bedrohung; 400 000 Fälle pro Jahr treten auf, viele davon bei Neugeborenen von nicht geimpften Müttern, die häufig über die Nabelschnur infiziert werden.

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Abb. 1.2 Gemälde eines an Wundstarrkrampf erkrankten Mannes (Charles Bell, Royal College of Surgeons in Edinburgh, mit freundlicher Genehmigung).

Das Tetanustoxin ist übrigens ein Enzym, das eine bestimmte Bindung in einem Protein, dem sogenannten VAMP-Protein, spaltet und dadurch die Reizübertragung im Nervensystem zerstört. Dadurch kommt es zu einer kontinuierlichen Muskelkontraktion, eben dem Wundstarrkrampf, der im Kiefer- und Nackenbereich beginnt (Abb. 1.2). Man kann sich an dieser Stelle fragen, weshalb ein Toxin, gebildet von winzigen Bakterien, die im Boden leben, nun ausgerechnet uns angreift und, wenn keine Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, tötet. Dieses Toxin haben die Clostridien wohl in erster Linie zur Verfügung, um kleines Getier im Boden abzutöten und sich so Nährstoffe zu sichern. Man kann es als eine Panne der Evolution ansehen, dass dieses Toxin auch uns angreift und unter Umständen tötet. Also, ob Maus, Maulwurf oder Mensch, alle fallen dem Tetanustoxin zum Opfer.

Endosporen sind schon faszinierende Gebilde. Auf kleinstem Raum sind Proteine, Nukleinsäuren, Stoffwechselprodukte und Vitamine zusammengepfercht. Alles ist mit dem Calciumsalz einer Säure, der sogenannten Dipicolinsäure, verklebt und hält dann wie beschrieben Temperaturen bis zu 100 °C über einen bestimmten Zeitraum aus.

Natürlich, leben und sich vermehren in kochendem Wasser ist noch etwas anderes, und die Mikrobiologen brauchten eine gewisse Zeit, bis sie sich an Untersuchungen im Hochtemperaturbereich heranwagten. Einer der Pioniere war Thomas Brock. Er interessierte sich für die heißen Tümpel im Yellowstone-Nationalpark und isolierte 1969 ein Bakterium, das bei 70 °C wachsen konnte. Es erhielt den Namen Thermus aquaticus. Jeder Molekularbiologe kennt das Enzym Taq-Polymerase; es stammt aus Th. aquaticus und ist unentbehrlich für die sogenannte PCR-Technik. Diese Technik wird in Kapitel 15 beschrieben.

Mit 70 °C sind wir noch 30 °C von kochendem Wasser entfernt. Thomas Brock machte jedoch einen weiteren Schritt. Er isolierte einen weiteren Organismus, Sulfolobus acidocaldarius, der noch bei 80 °C wächst. Jetzt war das wissenschaftliche Interesse an Mikroorganismen aus heißen Quellen geweckt. Die Solfatara in der Nähe von Neapel, die heißen Quellen auf Island und Kamtschatka und andere heiße Flecken auf unserer Erde wurden zu Wallfahrtsorten der Mikrobenjäger. Zu ihnen gehörten auch die deutschen Mikrobiologen Wolfram Zillig (1925 bis 2005) und Karl Otto Stetter. Sie isolierten zahlreiche Mikroorganismen, die zwischen 65 und 97 °C wachsen konnten. Immer noch nicht waren 100 °C erreicht. Stetter machte dann den entscheidenden Schritt. Im Jahre 1981 verbrachte er mit seiner Familie einen Urlaub auf der Insel Vulcano und entnahm vom Meeresboden bei Porto di Levante in 5 bis 10 m Tiefe Wasser- und Sedimentproben. Die Temperatur dort erreichte Werte bis zu 110 °C. Die Proben nahm er mit nach Hause in sein Laboratorium in Regensburg. Er setzte Kulturen an und beobachtete Kulturflaschen, die bei 105 °C inkubiert wurden. Ungewöhnliche schleierartige Strukturen bildeten sich. Schließlich konnte daraus ein Mikroorganismus isoliert werden, der sage und schreibe bis zu einer Temperatur von 110 °C wuchs. Natürlich erreicht man solche Temperaturen nur in Druckbehältern. Dieser Organismus erhielt den Namen Pyrodictium occultum (Abb. 1.3), das „verborgene Feuernetz“. Das war eine Sensation, zum ersten Mal wurde gezeigt, dass Leben nicht nur bei 100 °C, sondern sogar darüber möglich ist. Was für eine Entdeckung! Leben bei 110 °C, gerade auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die man beim Eierkochen macht.

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Abb. 1.3 Pyrodictium occultum, rasterelektronenmikroskopische Aufnahme. Die flachen, unregelmäßig geformten Zellen sind durch ein Netzwerk von Proteinfäden miteinander verbunden (Aufnahme: Reinhard Rachel und Karl Stetter, Regensburg).

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Abb. 1.4 Picrophilus torridus und sein Standort. Die Probe, aus der P. torridus isoliert wurde, stammte aus der Nähe des Vulkans bei Kawayu (Hokkaido, Japan). Im Hintergrund links sind Frau Prof. Christa Schleper (jetzt Universität Wien) und weiter hinten (als dunkler Punkt) Wolfram Zillig (1925 bis 2005) schemenhaft zu erkennen (Aufnahme: Gabriela Puehler, München).

Nun, kommen wir auf das kochende Wasser zurück. Bei 100 °C fröstelt es P. occultum ein wenig; es gibt aber durchaus Mikroben, die sich bei 100 °C in ihrem Element fühlen und sich sozusagen am Rande der Gasblasen, die dem kochenden Wasser entweichen, räkeln und gedeihen. Nur ein Organismus soll hier erwähnt werden, der aus kochenden Quellen in Island isoliert wurde, Pyrobaculum islandicum. Diese Mikrobe lebt wie viele dieser extremophilen Organismen ohne Sauerstoff, denn Sauerstoff wird ja bei diesen hohen Temperaturen aus der flüssigen Phase vertrieben. P. islandicum ernährt sich von Schwefel und gasförmigem Wasserstoff, der durch das kochende Wasser oder besser die kochende Schwefelbrühe diffundiert. Er baut seine Zellsubstanz aus Kohlendioxid auf.

Diese aufsehenerregenden Ergebnisse haben auch ein großes Interesse an anderen extremen Standorten auf unserem Planeten geweckt, und Mikrobiologen zogen aus, um in sauren Standorten oder solchen, die stark alkalisch bzw. stark salzhaltig sind, nach mikrobiellem Leben zu fahnden. So wurde Picrophilus torridus aus heißem, saurem Boden auf der Insel Hokkaido in Japan isoliert (Abb. 1.4). Das ist ein wirklich ungewöhnliches Lebewesen, denn es wächst bei 60 °C und einem pH-Wert von 0,7. Heiße verdünnte Schwefelsäure, in der wir uns die Hände verätzen würden, ist also sein Lebenselixier. Eine Mikrobe, bei der sich schon der Gedanke einschleicht, dass sie vielleicht extraterrestrischen Ursprungs sein könnte. Das in Ägypten liegende Wadi Natrun ist der Lebensraum einer Mikrobe mit dem Namen Natronomonas pharaonis. Diese wächst bei pH-Werten von 9,5 bis 10 und einer Temperatur von 45 °C. Das sind Bedingungen, wie sie etwa in der Waschmaschine herrschen. Auch der große Salzsee in den USA hat seine besonderen Bewohner, wie Halorhabdus utahensis, der bei 50 °C in gesättigter Kochsalzlösung gedeiht.

Natürlich stellt sich die Frage, wie Leben unter derart extremen Bedingungen möglich ist. Wenn wir die Bestandteile einer lebenden Zelle betrachten, dann gehören zu ihr außer Wasser sehr viele kleine Moleküle wie Zucker, Säuren, Mineralien und Vitamine. Besonders hervorzuheben sind aber die Makromoleküle (Abb. 1.5). Die drei wesentlichen Sorten sind die Nukleinsäuren, also die Desoxyribonukleinsäure (DNA) und die Ribonukleinsäure (RNA), die Proteine, die die Umsetzungen in der Zelle katalysieren, also den Stoffwechsel treiben, und die Zellmembran, die das Innere umhüllt und ganz besondere Eigenschaften haben muss. Sie muss Stoffe, die nicht in die Zelle gehören, draußen halten, aber Stoffe, die die Zelle fürs Wachstum benötigt, nach innen durchlassen. Schließlich muss alles, was zum Stoffwechsel gehört, innen bleiben. Diese Eigenschaften kann die Zellmembran nur wahrnehmen, wenn sie elektrisch geladen ist. Meistens ist sie an der Innenseite negativ und an der Außenseite positiv geladen. Wie also wird erreicht, dass gerade die genannten Makromoleküle bei Temperaturen von 100 °C und darüber oder im stark sauren bzw. alkalischen Milieu nicht denaturieren und auch noch biologische Aktivität besitzen?

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Abb. 1.5 Die prokaryotische Zelle. (a) In der prokaryotischen Zelle sind die generell vorhandenen Bestandteile: das Chromosom, die Ribosomen (Punkte), die aus Protein und RNA bestehen, und das Cytoplasma. Umgeben ist sie von der Cytoplasmamembran und der Zellwand. Häufig kommen Plasmide (kleine DNA-Ringe) und weiterhin Geißeln für die Fortbewegung vor. Die Mikrobenzelle ist etwa 1 μm lang. (b) Die Cytoplasmamembran besteht aus einer Phospholipiddoppelschicht mit eingelagerten Proteinen, in lebenden Zellen ist sie elektrisch geladen (Zeichnung: Petra Ehrenreich, Göttingen).

Eigentlich ist das immer noch ein großes Rätsel, aber Vorstellungen und Hypothesen gibt es natürlich. Die Erbanlagen liegen als DNA-Doppelhelix vor. Die zwei DNA-Stränge werden durch Bindungskräfte zwischen den Bausteinen A und T sowie G und C zusammengehalten. Die Kräfte zwischen G und C sind sehr viel stärker als die zwischen A und T. Wird also der G+C-Anteil in der DNA erhöht, dann steigt die Temperatur, bei der die DNA in Einzelstränge zerfällt, an. Mit anderen Worten, G+C-reiche DNA ist bei hohen Temperaturen sehr viel stabiler, und deshalb finden wir diese in den extrem thermophilen Organismen.

Es übersteigt unser Vorstellungsvermögen, dass die extremophilen Organismen über einen Satz von Proteinen verfügen, der noch bei 100 °C und darüber biologische Aktivität besitzt. Die Stoffwechselvielfalt in diesen Organismen ist geringer als etwa in unserem Darmbakterium Escherichia coli. Letzterer verfügt je nach Stamm über 4000 bis 5000 Gene, die meisten davon sind an der Herstellung von Proteinen beteiligt. Die extremophilen Organismen können nur auf etwa 1500 Gene zurückgreifen. Nur das Notwendigste an biologischer Aktivität steht zur Verfügung. Wie unterscheiden sich nun die Proteine dieser Organismen von denen in Bakterien, die bei 25 oder 37 °C wachsen und die sich bei – sagen wir – 42 °C schon nicht mehr vermehren können? Die Unterschiede sind nicht gerade ins Auge springend. Proteine bestehen aus Aminosäuren. Darunter sind einige wie Glutamin und Asparagin, die mit heißem Wasser reagieren und in Glutaminsäure und Asparaginsäure umgewandelt werden. Eine solche Umwandlung würde natürlich die Eigenschaften der Proteine verändern. Deshalb kommen Glutamin und Asparagin in thermophilen Proteinen praktisch nicht vor. Weiterhin stabilisieren sich die Proteine durch Salzbildung. Sie lagern sich beispielsweise mit Calciumionen zusammen; Proteine bilden Aggregate und schaffen in ihrem Inneren Hohlräume für Umsetzungen. Es sind also viele kleine Veränderungen, die aus einem Allerweltsprotein eines machen, das bei 100 °C aktiv ist.

Der dritte Bestandteil, ohne den es kein Leben geben kann, ist die Plasma- oder Zellmembran, und da sind die Unterschiede nun eklatant. Die normalen Bakterien sind von einer Membran umgeben, die aus sogenannten Phospholipiden besteht. Sie ähnelt sehr stark der Zellmembran in Tieren und Pflanzen. Es ist eine Phospholipiddoppelschicht, die das Innere umgibt. Man spricht auch von einem Bilayer. Diese Doppelschichten sind in ihrem Inneren durch kettenförmige Moleküle miteinander verhakt. Ganz anders sind die Membranen der extremophilen Organismen aufgebaut. Hier ist der entscheidende Bestandteil nicht ein Phospholipid, sondern ein Etherlipid. Dieses ist ein langes, fadenförmiges Molekül, das die gesamte Membran durchspannt und dieser besondere Stabilität verleiht.

Es gibt also eine Gruppe von Organismen, wie eben Pyrodictium occultum, Pyrobaculum islandicum und Picrophilus torridus, die sich in einem Bestandteil von allen anderen Organismen, von den landläufigen Bakterien, von Pflanzen und Tieren unterscheiden. Dieser Bestandteil ist die besondere Membran.