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Michaela Knabe

Gute Führung braucht Haltung

11 Kompetenzen, die Führungskräfte von Hunden lernen können

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WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA

Dieses Buch widme ich voller Liebe meinem Vater, der sicher weiß, warum. Und meinem Seelenhund Balu, der mich mit seiner immer fröhlichen und ausgeglichenen Art jeden Tag aufs Neue begeistert: Ich danke dir für deine bedingungslose Liebe und Bereitschaft, jeden Weg gemeinsam mit und neben mir zu gehen.

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Foto: Annamária Imm-Kóczián, Mainhausen, AnnaImm Photography

Intro 1: Ein langer Weg

Kein anderes Lebewesen ist mit uns Zweibeinern so intensiv verbunden wie der Hund. Er ist in unserem Kulturkreis schon sehr lange kein reines Nutztier mehr, sondern vielseitiger Helfer, Wächter, Begleiter und Sozialpartner. Mensch und Hund verbindet eine sehr lange Entwicklungsgeschichte. Der Hund gilt als das erste Tier im Lebensumfeld des Menschen, das mehr oder weniger gezielt selektiert und in den Lebensalltag einbezogen wurde. Wie lang der Beginn der Domestizierung tatsächlich zurückliegt, ist unklar. Experten diskutieren das kontrovers und ausführlich. Die wissenschaftlichen Nachweise beginnen bei einem 33 000 Jahre alten Schädel, der alle Merkmale eines Caniden (Hundeartigen) aufweist und einem 23.000-jährigen Pfotenabdruck, der sich in Form und Größe deutlich von dem eines Wolfes unterscheidet.

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Foto: Annamária Imm-Kóczián, Mainhausen, AnnaImm Photography

Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass die Entwicklung vom Wolf zum Hund in einem Zeitraum vor zwischen 20 000 und 40 000 Jahren stattgefunden hat. Wie der entscheidende Schritt vom Wolf zum Hund vollzogen wurde, ist seit Langem umstritten. Ältere Theorien beschrieben lange Zeit die Variante, dass mutterlose Wolfswelpen von Menschen aufgezogen und sozialisiert wurden. Die Nachkommen dieser Handaufzuchten hätten sich demnach immer mehr vom Wildtier weg entwickelt und wären schließlich als eigenständige Art in den menschlichen Lebensraum aufgenommen worden.

Diese oder eine ähnliche Vorgehensweise scheint für andere Wildtiere wie beispielsweise Schafe oder Ziegen durchaus plausibel zu sein, da sie als wichtige Nahrungsgrundlage der frühen Menschen extrem wichtig waren. Der Ansatz, einzelne Jungtiere dieser wenig wehrhaften Gattungen zu fangen, zu zähmen und deren in Gefangenschaft geborenen Nachkommen immer weiter zu selektieren, scheint nachvollziehbar. Langfristig ist der Zugriff auf in Gefangenschaft gehaltene Tiere im Gegensatz zur Jagd von frei lebenden Wildtieren mit deutlich geringerem Aufwand verbunden.

Aber Wölfe? Sie waren direkte Nahrungskonkurrenten der frühen Menschen und ernsthaft gefährlich, wenn sie bedrängt wurden, hatten also in der Wildform keinen erkennbaren Mehrwert für unsere menschlichen Vorfahren. Warum hätten Menschen sich dem Risiko aussetzen sollen, sich diese grauen Gesellen in ihre Mitte zu holen? Die Verhaltensforschung in der Gegenwart bestätigt, dass ein gezähmter Wolf noch lange kein Haustier ist. Erfahrungen mit handaufgezogenen Wolfswelpen zeigen immer wieder, dass die Tiere spätestens mit der Geschlechtsreife ihre Bindung zum Menschen teilweise verlieren und scheues bis aggressives Verhalten zeigen können. Dies gilt umso mehr für fremde Menschen, zu denen die gezähmten Wölfe keinen direkten Bezug haben. Warum sollte sich jemand, der um Sicherheit, Nahrung und Überleben täglich mit hohem Einsatz kämpfen muss, so einer Gefahr aussetzen?

Die Gegenthese ist zwar weniger romantisch, dafür aber plausibel. Moderne Forschungsansätze lassen den Schluss zu, dass der Urahn des Hundes sich förmlich selbst gezähmt hat, indem einzelne, wenig scheue Wölfe in der Nähe der Menschen relativ leicht zugängliche Nahrungsressourcen erschlossen haben. Einen Lagerplatz nach Abfall zu durchstöbern oder die Reste einer erlegten Beute zu verschlingen, war deutlich leichter, als selbst Wild zu hetzen und zu reißen. Da gab es wohl einige Schlaumeier, die es leid waren, ständig pfeilschnellen Beutetieren hinterherzurennen oder in mühsamer Kleinarbeit winzige Nagetiere aus der Steppe zu wühlen. Sie haben sich in der Peripherie der steinzeitlichen Menschengruppen aufgehalten und sich dort erst zu einer eigenen Population, dann zu einer eigenen Art weiterentwickelt. Eine geringere Fluchtdistanz war dafür ebenso hilfreich wie defensives und nicht aggressives Verhalten, das in diesem Zusammenhang durchaus als Vorstufe zu Friedlichkeit und Zahmheit gesehen werden kann.

Freundlichkeit als Selektionsmerkmal

Als gesichert gilt, dass zuerst Hunde und später auch andere Nutztiere verstärkt auf erwünschte Merkmale selektiert wurden, seit der umherziehende Jäger und Sammler in stabilen Siedlungsgemeinschaften (um 11.500 v.Chr.) sesshaft wurde. Die Funde aus dieser Zeit belegen eindeutig, dass der Hund zu dieser Zeit schon deutlich andere äußere Merkmale aufwies als der parallel dazu existierende Wolf. In der Jungsteinzeit begann der frühe Mensch, neben dem systematischen Ackerbau, mit der Auswahl einzelner Tiere nach bestimmten Merkmalen wie Zahmheit, Nahrungsverwertung und Fruchtbarkeit. Die Auswahl der geeigneten Tiere hatte mit der heutigen, vollständig vom »Erzeuger« betriebenen Hochleistungszucht jedoch wenig gemeinsam. Vielmehr begannen sich die Bewohner des steinzeitlichen Dorfes verstärkt mit den Hundepersönlichkeiten zu beschäftigen, die in Erscheinung und Eigenschaften irgendwie besonders waren.

Möglicherweise bekamen die freundlichsten Hunde, die vermehrt zu positiver Kontaktaufnahme bereit waren, hier und da einen Extra-Happen zugeworfen. Grundsätzlich haben sich die Dorfhunde sicher von dem ernährt, das auf Abfallhaufen und Latrinen herumlag. Die Entsorgung von Unrat aller Art war – so unromantisch es auch klingt – lange einer der Hauptnutzen der frei umherstreunenden Hunde. Nach und nach entwickelten sich auf diese Art mehr zutrauliche Hunde, die auch längst durchschaut hatten, wie man der Köchin an der Feuerstelle eine Handvoll Gerstenbrei aus dem Topf zaubert. Diesen Augenaufschlag haben alle Hunde dieser Welt zur Perfektion gebracht und lassen damit jegliche Vernunft und Disziplin am Esstisch dahinschmelzen wie Eis in der Sommersonne. Wahrscheinlich erschloss sich in dieser Phase auch einer der größten Vorteile für beide Seiten: die Veranlagung der Hunde, so eine relativ komfortable Nische gegen Fremde zu verteidigen und lautstark alles zu melden, was nicht zu dieser Gemeinschaft gehörte. Insbesondere nach Einbruch der Dunkelheit eine zuverlässige Alarmanlage auf vier Pfoten, die das Eindringen von unerwünschten Besuchern verhinderte.

Die Veranlagung zu friedfertigem und zugewandtem Verhalten wurde genetisch verankert und ging häufig mit besonderen äußeren Merkmalen wie zum Beispiel hochgetragener Ringelrute, Schlappohren oder auffälligen Fellfärbungen einher. So verzahnte sich die menschliche Vorliebe für Individualität mit der hündischen Verfressenheit (und der größeren Komfortzone) und schuf – Jahrzehnt um Jahrzehnt – immer anhänglichere Hundefamilien.

Aus der Zeit der jungsteinzeitlichen Besiedlung stammen auch Nachweise über die separate Bestattung von Hunden, die eindeutige Merkmale fortgeschrittener Domestikation zeigten (mittlere Größe, relativ kleiner Schädel, gedrungene Schnauzenform). Auch für Nicht-Archäologen wird dadurch die Bedeutung und Funktion dieser Hunde als geschätzte Begleiter erkennbar – Kühe, Schafe oder Ziegen wurden nie begraben. Vielmehr wird deutlich, dass neben dem elementaren Nutzwert bereits zu dieser Zeit eine gewisse emotionale Bindung zwischen Mensch und Hund bestanden haben kann.

Erfolgsteam auf 6 Beinen

Die bisher ältesten bekannten Darstellungen zeigen frühe Jagdhunde, die vor 8 000 bis 9 000 Jahren offensichtlich bereits gezielt mit Menschen kooperiert haben. Zeichnungen von angeleinten Hunden waren bis dahin erst aus viel jüngerer Zeit bekannt. Der Hund war also schon lange mit Menschen unterwegs, als diese begannen, andere Tiere wie Schafe oder Ziegen erstmals zu zähmen und zu selektieren.

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© Maria Guagnin et al./Journal of Anthropological Archaeology (https://www.mpg.de/11797828/ hundeleine-praehistorisch)

Seit der gezielten Zucht nach erwünschten Merkmalen und Wesenszügen war die grundsätzliche Aufgabenverteilung klar definiert: Der Mensch bringt dem Hund etwas bei und dieser führt das gewünschte Verhalten aus.

Je nach Veranlagung und Temperament des Vierbeiners liegt die Herausforderung insbesondere in der Unterdrückung der natürlichen Instinkte und dem reibungslosen Einpassen in eher artfremde Lebensräume und -umstände. Schließlich möchte niemand einen Hund in der Nachbarschaft haben, der sich punktgenau selbst ernährt und dabei vorzugsweise auf die Meerschweinchen, Hühner oder Angora-Kaninchen der umliegenden Familien zugreift. Nicht einmal das lautstarke Verbellen von Besuchern, das zum Schutz von Vieh, Haus und Hof von unseren Vorfahren durchaus erwünscht war, darf sich der moderne, urbane Hund hierzulande erlauben. Es ist absonderlich: Während gerade Stadtbewohner anhaltenden Straßenlärm nicht wahrzunehmen scheinen, fühlen sie sich häufig von tierischen Lautmeldungen gestört. Die Zeiten ändern sich.

Dogs@Work – Spezialisten an der Leine

Die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten von entsprechend veranlagten und trainierten Hunden ist mit keinem anderen Tier vergleichbar. So führen Blindenhunde ihre Besitzer zielsicher durch den Stadtverkehr, ohne sich von irgendetwas ablenken zu lassen. Sie denken aktiv mit und bewältigen auch neue Situationen erfolgreich, indem sie erlernte Verhaltensweisen zu neuen Anwendungsmöglichkeiten verknüpfen.

Ähnlich vielseitig sind Assistenzhunde ausgebildet, die zum Beispiel Rollstuhlfahrer im Alltag begleiten und unterstützen. Sie öffnen und schließen Türen, bedienen Lichtschalter, bringen verschiedene Gegenstände und legen sogar Kleidungsstücke in die Waschmaschine. Die vierbeinigen Mitbewohner lassen keine Langeweile aufkommen, animieren immer wieder zu Aktivitäten und Spielereien. Sie sind bei zwischenmenschlichen Begegnungen ein regelrechter Türöffner und können sogar für den Abbau von Berührungsängsten sorgen. Darüber hinaus verhelfen sie allein lebenden Menschen, die stark bewegungseingeschränkt sind, zu einem gewissen Sicherheitsgefühl. Man ist nie allein.

Lebensretter mit Herz und Nase

Bei der Suche nach vermissten Personen erbringen Rettungshunde körperliche und mentale Höchstleistungen. Ob bei der Lawinenarbeit, im Wasser oder in den Trümmern nach einem Erdbeben – die sorgfältig ausgebildeten vierbeinigen Spezialisten folgen ihrer Nase unermüdlich, bis sie eine menschliche Witterung aufnehmen und lautstark anzeigen. Mit bis zu 220 Millionen Riechzellen in der feuchten Nase (wir Menschen haben gerade mal 5 Millionen) können Hunde auch nach Wochen noch kleinste Spuren einer Witterung aufnehmen.

In den letzten Jahren ist es sogar gelungen, Hunde für die Früherkennung von verschiedenen Krebsarten einzusetzen. Sensibler als jedes Hightech-Messgerät erkennen diese Hunde kleinste Veränderungen in der Atemluft und melden bestimmte Parameter, die auf eine Erkrankung hinweisen können. Die hohe Sensibilität entsprechend ausgebildeter Hunde lässt auch bei Diabetikern eine drohende Unterzuckerung rechtzeitig wahrnehmen, was insbesondere im Schlaf lebensrettend sein kann. Auch Menschen mit Anfallsleiden (zum Beispiel Epilepsie) werden schon häufig von spezialisierten Assistenzhunden begleitet, die lange vor einem Anfall kleinste Hinweise wahrnehmen und dies durch Bellen anzeigen. So wird es möglich, rechtzeitig Medikamente einzunehmen oder um Hilfe zu bitten.

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Foto: Pixabay, Neu-Ulm

Über eine so ausgeprägte Feinfühligkeit verfügen auch andere Tiere, zum Teil sogar stärker ausgeprägt. Was den Hund von ihnen unterscheidet, ist seine enorme Kooperations- und Bindungsbereitschaft. Gefördert durch positive Verstärkung ist der Hund fast immer motiviert, seiner Bezugsperson zu gefallen, etwas richtigzumachen und ständig dazuzulernen. Hunde richten ihre Aufmerksamkeit sehr stark auf das Verhalten ihrer Menschen und beobachten sie beinahe ständig. Sie erkennen kleinste Veränderungen und passen sich unmittelbar an. Erst diese Lern- und Anpassungsbereitschaft macht sie zu ganz besonderen Partnern.