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Thomas W. Künstner

Und Action!

Führung und Motivation nach den Prinzipien der Entertainment-Branche

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WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA

Vorwort: Warum wir Spaß endlich ernst nehmen müssen

Wenn Sie sich heute über die moderne Arbeitswelt in den Medien informieren, bekommen Sie häufig den Eindruck, dass wir an dem sich immer schneller drehenden Rad in den Büros und Fabriken langsam zu Grunde gehen. Stichworte wie Burnout, Schlafmangel, Mobbing am Arbeitsplatz und ähnlich depressive Themen dominieren die Diskussion. Dabei verbringen wir weit weniger Zeit mit Arbeiten, als wir oft meinen. Raten Sie mal, wie lange wir Deutschen im Durchschnitt pro Tag arbeiten? Sehen Sie sich dazu bitte einmal die Abbildung 1 an. Dort ist dargestellt, womit wir in Deutschland unsere Zeit verbringen:

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Abb. 1: Zeitbudget Deutschland – womit verbringen wir unsere Zeit?

Etwas gröber betrachtet teilt sich unsere Zeit in drei große Bereiche, wenn wir mal den Schlaf als unvermeidlich außen vorlassen: Entertainment, Arbeit und Sonstiges. Dass wir nur 19% unserer Zeit mit Arbeit verbringen, wird Sie sicher erstaunen – zumindest ich fand das erstaunlich wenig.

Hierbei muss man allerdings bedenken, dass in den Statistiken alle Menschen von 3 bis 80 Jahren erfasst sind. Viele dieser Alterskohorten arbeiten gar nicht. Dazu kommen alle nicht Erwerbstätigen und Teilzeitbeschäftigte sowie Feiertage, Urlaub und Wochenende. Im Durchschnitt verbringen wir Deutschen dadurch tatsächlich gerade mal viereinhalb Stunden pro Tag mit Arbeiten.

Mit Abstand am meisten Zeit verbringen wir aber mit Entertainment – erstaunliche 7 Stunden und 55 Minuten pro Tag! Und diese Zahl wächst immer noch! Auch damit rechnen wahrscheinlich die wenigsten.

Unter »Sonstiges« fallen sämtliche Tätigkeiten, die in den anderen Bereichen nicht erfasst sind. Es findet sich in dieser Kategorie aber kein Bereich, der in Bezug auf unseren Zeitaufwand auch nur annähernd an Arbeit und Entertainment heranrückt.

Werfen wir hier mal einen kurzen Blick auf die Kategorie Entertainment. In dieser Kategorie ist alles erfasst, was wir gemeinhin auch Mediennutzung nennen – also Fernsehen, Internet, Computerspiele, Musik/Radio, Lesen, auch Theater und Konzertbesuche. Letztere spielen statistisch gesehen allerdings keine Rolle. Herausragende Bedeutung haben zwei Bereiche: Fernsehen und Computer/Internet. Wenn Sie Kinder haben, überrascht Sie das sicher nicht. Aber das wäre zu kurz gesprungen. Denn auch der Erwachsene Deutsche verbringt pro Tag (!) vier Stunden mit Fernsehen und dem Internet.

Was hat das nun mit unserer Arbeitswelt zu tun? Nun, zunächst einmal gar nichts. Es ist ja Freizeit. Aber genau darin liegt das Problem, oder besser: das Potenzial.

Wenn Sie unsere Haltung zu den beiden großen »Zeitbudgets« Arbeit und Entertainment vergleichen, werden Sie erstaunliche Unterschiede feststellen. Denn mit Entertainment beschäftigen wir uns freiwillig. Nicht nur das, wir geben sogar Geld dafür aus – und zwar immer mehr. Wir nehmen uns auch immer mehr Zeit für Entertainment. Ohne Zwang. Ohne Not. Im Gegenteil. Wenn Sie Kinder im Teenageralter haben, kennen Sie die Not, die Zeit für Entertainment zu begrenzen.

Mit Arbeit verbringen wir unsere Zeit hingegen nur, wenn wir eine Entschädigung dafür bekommen. Unser Gehalt. Und warum? Googeln Sie mal »Auswirkung der Arbeit«. Sie werden überschüttet mit Beiträgen zum Thema »Burnout« und Ähnlichem. Natürlich gibt es auch keinen Glücksratgeber, der nicht auch ein erfülltes Berufsleben als zentrales Element eines glücklichen Lebens darstellt. Aber vordergründig betrachten wir Arbeit erst mal als Belastung. Daher gilt es auch als große soziale Errungenschaft, dass wir die Wochen- und Lebensarbeitszeit verkürzt haben. Arbeit ist mühsam. Weniger zu arbeiten ist also erstrebenswert.

Wäre es nicht viel besser, wenn wir Arbeit so interessant – oder sagen wir es ruhig: unterhaltsam – gestalten würden, dass wir all die oben beschriebenen positiven Effekte von Entertainment auf die Arbeit übertragen könnten? Zugegeben: »Arbeit« und »unterhaltsam« ist in unserem Kulturkreis ein Begriffspaar, das schlecht zusammengeht. Arbeit kann und soll alles Mögliche sein – interessant, produktiv, herausfordernd –, aber unterhaltsam?

Dabei gibt es sehr gute Argumente dafür, Arbeit unterhaltsam zu gestalten. Ich habe bis vor wenigen Jahren die »Media&Entertainment Practice« von Booz & Company geleitet, einer der weltweit führenden Strategieberatungen. Also den Bereich, in dem Kunden aus dem Medien- und Entertainment-Bereich beraten wurden. Zeitungsverlage etwa, TV-Sender, Filmproduktionsfirmen oder auch Computerspiele-Entwickler.

Und wer wie ich mehrere Jahrzehnte in der Topmanagement-Beratung Projekte verantwortet, fragt sich zwangsläufig: Was macht ein erfolgreiches Projekt erfolgreich? Einige von meinen Projekten waren spektakuläre Flops – kleinere und zum Glück nur ganz wenige größere Desaster. Daraus habe ich sehr viel gelernt. Das war vergleichsweise einfach, da ich in der Regel sehr genau festmachen konnte, wo das oder die Probleme lagen.

Bei den ganz großen Erfolgen – und davon gab es zum Glück mehr – fiel es mir eigenartigerweise wesentlich schwerer zu sagen, was letztendlich dafür ausschlaggebend war, dass dieses oder jenes Projekt so durchschlagenden Erfolg hatte. Als Berater wollte ich aber unbedingt verstehen, was den Erfolg ausmacht. Ich will ihn ja wiederholen. Und ihn auch verkaufen.

Natürlich ist es wichtig, dass das Topmanagement hinter dem Projekt steht. Natürlich ist es wichtig, dass gute Leute in das Projekt kommen. Natürlich ist eine gute Planung wichtig, die Einbindung aller betroffenen Bereiche usw. usw. Das Problem, das ich mit all diesen Faktoren hatte, ist folgendes: Sie trafen fast immer zu und haben auch ganz ohne Frage zu dem Erfolg beigetragen. Aber ich kann eine ganze Reihe von Projekten aufzählen, die diese Faktoren ebenfalls erfüllen, die aber nicht sehr erfolgreich waren. Alles gute, solide Projekte – aber eben nicht herausragend.

Ich habe also weiter gesucht. Eines fiel mir relativ schnell auf: Die wirklich guten Projekte haben einfach Spaß gemacht. Nicht nur mir, sondern allen Beteiligten. Ja, sie waren unterhaltsam. Natürlich nicht für jeden an jedem Tag, aber im Großen und Ganzen. Und der Spaß ist greifbar: Mit welcher Energie kommen die Leute in die regelmäßigen Meetings? Wie präsentieren sie ihre Ergebnisse? Wie bringen sie sich ein? Wie viele neue Ideen entstehen? Wie ist generell »die Stimmung«? Aber woher kommt es, dass uns manche Projekte Spaß machen und andere nicht?

Zunächst habe ich das als zufällige Beobachtung abgetan. Ich bin aber nach und nach zur Überzeugung gelangt, dass der Faktor Spaß oder Freude an der Arbeit den wesentlichen Unterschied ausgemacht hat.

Also bin ich dieser Sache systematischer nachgegangen: Machen die Projekte Spaß, weil sie so besonders erfolgreich sind, oder ist es genau umgekehrt? Treibt der Spaß an der Arbeit den Erfolg? Wenn Sie dieser Frage nachgehen – ob jetzt durch Gespräche im Kollegen- und Bekanntenkreis oder durch die Auswertung wissenschaftlicher Studien –, ist das Ergebnis eindeutig: Spaß an der Arbeit ist ein ganz wesentlicher Treiber für messbaren Erfolg. In den zahlreichen Gesprächen, die ich im Rahmen der Recherche zu diesem Buch gemacht habe, hat nicht ein einziger Gesprächspartner dieser Aussage widersprochen.

Auch die Wissenschaft ist hier eindeutig: Wenn wir Aufgaben gerne und mit Enthusiasmus – also mit Spaß an der Sache – erledigen, sind wir konzentrierter, unser Kreativitätslevel steigt, sogar unsere Intelligenz ist messbar höher. All das wirkt sich positiv auf die Arbeitsergebnisse aus. Das ist schon lange bekannt – oder zumindest veröffentlicht.

Und dennoch betrachten wir die Freude, die wir bei einer bestimmten Arbeit empfinden, als mehr oder weniger zufälliges Nebenprodukt. Wenn das aber so ist und Spaß einen unmittelbaren – und durchaus wesentlichen – Einfluss auf unsere Arbeitsergebnisse hat, wirft das eine Frage auf: Ist Spaß oder Freude an dem, was wir tun, planbar? Und die Antwort lautet: Ja, Spaß an der Arbeit ist zu einem hohen Grad gestaltbar – und ich werde Ihnen zeigen, wie das funktioniert.

Denn bei der Suche nach dem Geheimnis erfolgreicher Projekte habe ich eine überraschende Entdeckung gemacht: Gute Projekte, so groß sie auch sein mögen, folgen häufig den Prinzipien guter Unterhaltung. Einen Faktor, den ich für mich bald mit dem Label »Entertainment Rules« belegt habe.

Wir verstehen sehr genau, was uns fesselt, wie man Zuschauer fasziniert, oder wie man Spieler über Wochen, Monate, zum Teil über Jahre bindet. Es gibt Heerscharen von Kreativen in den unterschiedlichen Unterhaltungsgenres, die nichts anderes machen. Zum Teil sind diese Erfolgsrezepte erstaunlich alt – die meisten Hollywood-Filme folgen einer Erzählstruktur, die sich bis zu Aristoteles zurückverfolgen lässt. Dramaturgie ist eine sehr alte Sprache. Es ist auch eine universelle Sprache, die von allen Schichten und in den meisten Kulturen verstanden wird – nur deswegen funktionieren viele Hollywood-Filme auch in Japan oder Deutschland.

Das heißt, wir verstehen alle diese Sprache, da wir sie mehrere Stunden pro Tag »hören«. Aber wir nutzen sie so gut wie nie bewusst, wenn es darum geht, Arbeit zu gestalten. Dabei funktionieren diese »Grundsätze guter Unterhaltung« im Büro genauso gut wie auf der Bühne oder Leinwand. Das ist auch nicht wirklich erstaunlich. Denn die Aufgabenstellungen ähneln sich: Wie begeistert man Menschen? Wie vermitteln wir gemeinsame Werte? Wie halte ich einen Spannungsbogen aufrecht? Wie motiviere ich Menschen über einen langen Zeitraum, gewisse Dinge immer wieder zu tun und dabei besser zu werden? Letzteres ist eine sehr gängige Herausforderung im Game-Design.

Oder übertragen auf die Arbeitswelt: Wie schafft es Microsoft, eine der ödesten Aufgaben der Softwareindustrie – die Übersetzung von Fehlermeldungen in über 200 Sprachen – so zu gestalten, dass sich Mitarbeiter weltweit frei nehmen, um diese Aufgabe auch in ihrer Freizeit zu erledigen, weil es ihnen offensichtlich Freude bereitet? Wie kann ich Projekte so aufsetzen, dass ein natürlicher Spannungsbogen entsteht und gehalten wird? Wie gelingt es einem Erfolgstrainer wie Jürgen Klopp, neue Spieler in Rekordzeit in ein etabliertes Team zu integrieren und »produktiv« zu bekommen?

Zu diesen und vielen anderen Fragen finden Sie auf den folgenden Seiten Erfahrungen, Ideen und Anregungen. Dabei geht es mir nicht darum, Ihnen fertige Rezepte zu liefern. Vielmehr möchte ich Ihnen einen neuen Blickwinkel auf die alltäglichen Herausforderungen des Berufslebens geben. Wenn Sie sich darauf einlassen, werden Sie selbst ausreichend Inspiration und Ideen bekommen, um schon morgen neue Impulse zu setzen. Für sich und für andere.

Der Blick auf Themen wie Dramaturgie, Drehbücher und Computerspiele legt erst einmal den Blick auf den Menschen frei. Sie werden auch einiges über sich selbst und Ihre Mediengewohnheiten erfahren. Und dabei automatisch sehr viel über Motivation lernen. Warum ist der Griff zu Smartphone, Fernbedienung oder zur Konsole so verlockend? Und zwar immer wieder aufs Neue. Wenn Sie diese Mechanismen verstehen, führt das automatisch zu einem neuen Blick auf viele Dinge, die Sie im tagtäglichen Leben so machen – also auch im Arbeitsleben.

Die Entertainment-Prinzipien, die sie auf den folgenden Seiten kennenlernen, sind eine Ergänzung und sicher kein Ersatz der klassischen Management-Lehre und -Methoden. Aber je mehr Sie sich trauen, Dinge einfach mal auszuprobieren, und je mehr Freiraum Sie ihren Mitarbeitern geben, das ebenfalls zu tun, umso mehr werden Sie schon bald von den herkömmlichen Pfaden abweichen.

Denn wie bereits gesagt: Es ist nicht nur so, dass gute Ergebnisse Spaß und Freude bringen. Es verhält sich auch umgekehrt. Spaß ist ein ganz wesentlicher Treiber von guten Ergebnissen. Es ist also höchste Zeit, dass wir dem Spaß den nötigen Ernst entgegenbringen.