Cover: Usability und UX für Dummies by Elske Ludewig

Usability und UX für Dummies

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Über die Autorin

Elske Ludewig studierte Soziologie, Psychologie und Informatik an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Nach ihrem Studium entdeckte sie das Themenfeld Usability für sich, das sie nicht mehr losließ. Bei der in Göttingen gegründeten Agentur für User Experience mit dem Namen »eresult« lernte sie nicht nur die theoretischen Grundlagen in aller Gründlichkeit, sondern sammelte vor allem sehr viel Praxiserfahrung.

Sie wendete die Methoden aus den Fächern Soziologie und Psychologie im Kontext von Websites und Apps an: Befragungen, Interviews, Evaluations- und Testverfahren sowie statistische Analysen standen anfangs im Fokus.

Elske Ludewig ist heute im 13. Jahr für eresult tätig und hat viele namhafte Kunden aus verschiedenen Branchen zu den Themen Usability, UX und UX Design beraten. Dabei setzt sie das gesamte Methodenportfolio eines UX Consultants ein, um gemeinsam mit ihren Kunden benutzerfreundliche und nachhaltig erfolgreiche Anwendungen zu gestalten.

In Form von Seminaren, Blogbeiträgen, Fachartikeln und Vorträgen gibt sie ihr Wissen weiter und versucht, gute UX in die Welt zu tragen. Sie ist zudem aktives Mitglied der German Usability Professionals Association (UPA) und organisiert regelmäßig das sogenannte »Usability Testessen« in ihrer Stadt.

Einleitung

Wenn mich jemand fragt, was ich beruflich mache, habe ich mindestens drei verschiedene Antworten parat. Je nach Hintergrund und Wissensstands meines Gegenübers versuche ich, eine passende Antwort zu geben. Und doch kann ich in den Gesichtern häufig lesen, dass die Antwort auch nach zwölf Jahren Übung nicht ganz verständlich war.

Zum einen ist »Usability« ein Wort, das selbst diejenigen oft nicht kennen, die zumindest fürs Verreisen einen ordentlichen englischen Wortschatz erworben haben. Zum anderen ist dies ein Feld, von dem viele nicht wissen, dass es überhaupt existiert (selbst wenn man es komplett auf Deutsch erklärt).

Nach ausführlicher Beschreibung meiner Tätigkeiten höre ich dann oft Sätze wie »Was es alles gibt …«. Aber dennoch pflichten mir die meisten bei, dass sie sich auch schon einmal geärgert haben, wenn etwas am Computer nicht funktioniert oder im Internet so richtig nervt.

Und nach ein paar amüsanten Beispielen stimmt mir dann eigentlich jeder zu, dass es sinnvoll ist, sich damit zu beschäftigen. Und da Sie zumindest gerade überlegen, ob Sie das Buch lesen sollten, werden Sie der gleichen Meinung sein.

Vielleicht war es gar nicht Ihre Idee, sich Wissen zu dem Thema anzueignen. Aber in jedem Fall werden Sie merken, wie spannend es sein kann, diesen neuen Blickwinkel einzunehmen. Und hier kommt auch gleich die schlechte Nachricht: Sie werden nach dem Lesen dieses Buchs wohl nie wieder eine Website oder App nutzen können, ohne Usability-Fehler zu finden. Sie werden deutlich kritischer und intoleranter gegenüber schlechter Bedienbarkeit. Sie werden vielleicht sogar zum Nörgler – oder positiv formuliert: zum Optimierer.

In jedem Fall tun Sie vielen Menschen etwas Gutes, wenn Sie an einer Website oder App arbeiten und diese besser bedienbar wird:

Und auch wenn sich dieses Buch in erster Linie an Menschen richtet, die eine Website oder App betreiben: Ich bin überzeugt davon, dass die Digitalisierung unserer Lebens- und Arbeitswelt erfolgreicher wäre, wenn das Thema User Experience und damit die wahren Bedürfnisse der Nutzer stärker in den Vordergrund rücken würden. Lassen Sie uns gemeinsam einen kleinen Schritt in diese Richtung gehen und hier und heute mit diesem Buch starten!

Über dieses Buch

Sie können in diesem Buch an verschiedenen Stellen einsteigen, je nachdem ob Sie an fundierten Hintergrundinformationen oder an praktischen Tipps interessiert sind. Es war mir wichtig, auch die theoretische Seite von Usability und User Experience zu beleuchten. Denn diese Grundlagen helfen, ein tiefer gehendes Verständnis für das Thema zu entwickeln und dieses selbstständig in die Praxis zu übertragen.

Deshalb finden Sie in diesem Buch sowohl Definitionen und ausführliche Methodenbeschreibungen als auch handfeste Empfehlungen zur sofortigen Umsetzung auf Ihrer eigenen Website.

Ich bin beim Schreiben davon ausgegangen, dass Sie selbst vielleicht eine Website oder App betreiben und noch nicht allzu viel über Usability wissen. Da Sie dieses Buch in den Händen halten, haben Sie jedoch die Erwartung, dass die Verbesserung der Benutzungsfreundlichkeit Ihrer Anwendung mindestens zu zufriedeneren Nutzern führt und im besten Fall sogar zu mehr Umsatz.

Vielleicht studieren Sie auch oder bereiten sich auf eine Weiterbildung zum Thema Usability vor. Oder eine solche hat Ihr Interesse an dem Thema geweckt. Dann soll das Buch Ihnen helfen, zu verstehen, was es mit Usability und User Experience auf sich hat und wie man das Wissen praktisch anwendet.

Im Buch werde ich stets von »dem Nutzer« sprechen und auch in anderen Fällen meist die männliche Form verwenden, um es einfach und gut lesbar zu halten. Selbstverständlich sind immer auch weibliche und ebenso diverse Formen eingeschlossen.

Was Sie nicht lesen müssen

images Texte mit diesem Symbol müssen Sie nicht unbedingt lesen, um den Inhalt eines Kapitels zu verstehen.

Törichte Annahmen über den Leser

Um sicherzugehen, dass Sie von diesem Buch bestmöglich profitieren, setze ich einige wenige Dinge voraus, die sich wie folgt beschreiben lassen:

  • Sie mögen das Internet und sind grundsätzlich offen gegenüber digitalen Entwicklungen. Sie nutzen zudem regelmäßig Smartphones und haben keine Angst vor Ticketautomaten und sprechenden Autos.
  • Sie sind grundsätzlich der Ansicht, dass es sinnvoller ist, Anwendungen am Nutzer auszurichten, als zu erwarten, dass alle Nutzer jede noch so komplizierte Software erlernen können müssen.
  • Sie wissen, was der Unterschied zwischen einer Website und einer App ist. Sie wissen zudem, wie man einen Computer mit einer Maus bedient, und haben ebenso Erfahrungen mit Programmen und Geräten gemacht, die man mit dem Finger bedient.
  • Sie sind offen dafür, eigene Überzeugungen über den Haufen zu werfen, weil Sie sich ernsthaft dafür interessieren, was in einem Nutzer vorgeht und warum er Websites oder Apps auf eine bestimmte Art und Weise bedient.
  • Sie haben selbst schon einmal (leise) geflucht, weil ein Computer oder ein anderes digitales Produkt nicht so reagierte, wie Sie es wollten oder erwarteten. Sie wissen also, dass es jede Menge Anwendungen gibt, die noch nicht optimal bedienbar sind. Vielleicht haben Sie sogar schon einmal kurz darüber nachgedacht, wie viel Zeit und Geld man sparen könnte, wenn dem Thema Usability mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden würde.

Wie dieses Buch aufgebaut ist

Dieses Buch ist in verschiedene Teile aufgeteilt, die nicht zwingend aufeinander aufbauen, sondern verschiedene Schwerpunkte behandeln:

Teil I: Usability und User Experience im Überblick

Dieser Teil ist zunächst eine theoretische Einführung in Usability und User Experience und behandelt darüber hinaus folgende Themen:

  • Woran man gute und schlechte Usability erkennt
  • Welche Regeln und Checklisten es gibt, um Websites und Apps zu bewerten
  • Mit welchen Methoden Sie selbst Bewertungen vornehmen können

Teil II: Den Nutzer verstehen und sein Verhalten beeinflussen

Nachdem Sie in Teil I Definitionen und Basiswissen gelernt haben, widmet sich der zweite Teil psychologischen Grundlagen. Im Einzelnen lernen Sie:

  • Wie Nutzer Websites betrachten und deren Informationen verarbeiten
  • Wie Sie den Nutzer überzeugen können und welche Gründe es dafür gibt
  • Wie Sie messen können, was Nutzer wirklich auf Ihrer Website tun

Teil III: Methoden zur Bewertung und Optimierung von Usability und User Experience

In diesem Teil geht es um den mustergültigen Prozess zur Erstellung von benutzungsfreundlichen Anwendungen. In diesem Zuge werden Methoden erklärt, die Sie auch anwenden können, wenn Sie den Prozess nicht nach Lehrbuch durchlaufen. Im Detail geht es um folgende Dinge:

  • Wie Sie vorgehen, wenn Sie eine Neuentwicklung planen
  • Wie Sie analysieren, was Ihre Nutzer wirklich brauchen, und dies auf Ihre geplante Anwendung übertragen
  • Wie Sie Konzepte erstellen und evaluieren
  • Was Sie im laufenden Betrieb tun können, um immer besser zu werden

Teil IV: DIY-Usability-Optimierung für den Alltag

Dieser Teil greift sich ein paar Spezialthemen heraus, die für fast jede Website oder App relevant sind. Dabei gebe ich praktische Tipps, was Sie mit einfachen Mitteln umsetzen können, um wichtige Details zu optimieren. Im Einzelnen geht es um folgende Themen:

  • Der richtige Aufbau von Websites und Apps
  • Texte, Links und Symbole nutzerfreundlich gestalten
  • Formulare verbessern, um Abbrüche zu reduzieren
  • Suchfunktion und Filterfunktionen optimieren

Teil V: Spezialwissen für Apps und mobile Websites

In diesem Teil gehe ich noch einmal explizit auf die Besonderheiten von Apps und anderen Anwendungen ein, die auf kleinen Bildschirmen und vor allem mit dem Finger bedient werden. Sie lernen:

  • Was es mit responsivem Design auf sich hat
  • Wie Ihre Nutzer auch ohne Maus sicher zum Ziel kommen

Teil VI: Der Top-Ten-Teil

Weil das Buch hoffentlich ganz viel Lust auf mehr macht, finden Sie am Ende noch weitere Quellen zum Thema Usability und UX:

  • Die 10 besten Link-Tipps
  • Darunter einen Link-Tipp mit Link-Tipps

Symbole, die in diesem Buch verwendet werden

Damit Sie dieses Buch einfacher lesen und leichter benutzen können, machen Symbole auf bestimmte Informationen aufmerksam.

images Dieses Symbol kennzeichnet eine formelle Definition eines Begriffs, den Sie kennen sollten oder zumindest hier in korrekter Beschreibung nachlesen können.

images Informationen mit diesem Symbol führen oft weiter oder tiefer ins Thema und sind daher als optionale Zusatzinformationen zu betrachten, die Sie nicht unbedingt lesen müssen.

images Hier gebe ich Ihnen einen praktischen Tipp oder berichte, was meiner Erfahrung nach in der Praxis gut funktioniert hat.

images Mit diesem Symbol kennzeichne ich Dinge, sie Sie lieber lassen, oder auch typische Fallen, in die Sie nicht tappen sollten.

Wie es weitergeht

Wenn Sie sich wirklich gründlich und ausführlich mit Usability beschäftigen wollen oder eine Prüfung zu dem Thema anstreben, empfehle ich Ihnen, von vorn zu beginnen und vor allem die Teile I und III komplett durchzulesen.

Wenn Sie schon ein bisschen Vorwissen haben und als Hobby-Psychologe gern in den Kopf Ihrer Nutzer schauen wollen, starten Sie gern in Teil II.

Sollten Sie vor einer konkreten Herausforderung stehen und nicht wissen, wie Sie sich dieser annehmen, könnten Sie in Teil III fündig werden.

Die Teile IV und V sind vor allem dann relevant, wenn Sie schon eine Website oder App haben und diese mit eigenen Mitteln Schritt für Schritt verbessern wollen. Hierfür eignen sich auch die Kapitel 2 und 3 als Vorbereitung sehr gut. Und natürlich schadet es nie, sich die Definitionen in Kapital 1 durchzulesen, um zu wissen, womit Sie es eigentlich zu tun haben.

In jedem Fall wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lernen, Verstehen und Verbessern. Denken Sie daran: Sie tun nicht nur sich selbst damit etwas Gutes, sondern vielen Nutzern da draußen ebenso. Also los: Werden Sie nicht nur ein Website-Optimierer, sondern auch ein (Digital-)Weltverbesserer!

Teil I

Usability und User Experience im Überblick

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Kapitel 1

Grundbegriffe und Kriterien verstehen

IN DIESEM KAPITEL

  • Was ist Usability?
  • Wie unterscheidet sich Usability von User Experience?
  • Was macht eine Website gut bedienbar?

Sicherlich haben Sie auch schon einmal die Erfahrung gemacht, dass bei der Frage, ob eine Website »gefällt«, sehr schnell sehr unterschiedliche Meinungen aufeinanderprallen. Sie sind vielleicht auch manchmal unsicher, ob Ihre eigene Kreation gut genug ist und ob jemand außer Ihnen damit zurechtkommt. Um Ihnen eine Illusion direkt zu nehmen: Die subjektive Meinung Ihres Chefs oder Ihres Ehepartners ist meist nicht relevant. Sehr viel sinnvoller ist es, eine objektive Checkliste abzuarbeiten und zumindest die größten Schwächen der Website selbst zu erkennen. Genau dafür legt dieses Kapitel den Grundstein. In den folgenden Kapiteln des ersten Teils werden Sie Ihre Erkenntnisse dann vertiefen und weitere Methoden zur Bewertung und Optimierung von Website und Apps kennenlernen. Und hier kommen dann tatsächlich auch einmal Kollegen und Freunde ins Spiel – wenn es sinnvoll ist!

Usability

Die Bedeutung des Begriffs »Usability« liefert gleich schon das erste grobe Kriterium für Ihre Checkliste zur Beurteilung von Websites. Der Begriff ist ins Deutsche am ehesten mit »Gebrauchstauglichkeit« oder »Benutzerfreundlichkeit« zu übersetzen. Beide Übersetzungen werden Ihnen jedoch etwas sperrig oder schwammig vorkommen. Denn was heißt schon »benutzerfreundlich«? Das sieht jeder Mensch je nach Erfahrungen und Vorwissen ein bisschen anders. Deshalb ist es sinnvoller, davon zu sprechen, dass möglichst viele Benutzer Ihrer Zielgruppen schnell und ohne viel Aufwand zum Ziel kommen.

Um Usability zu definieren, werde ich hier und an anderer Stelle immer wieder auf die DIN EN ISO 9241 verweisen. Diese Norm wurde ursprünglich formuliert, um ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten zu definieren. Seitdem wurde sie stetig weiterentwickelt und hat trotz der starken Veränderungen von Computern und Geräten sowie des Internets im Allgemeinen dadurch noch immer Gültigkeit. Heute ist die Norm sogar ein internationaler Standard für Richtlinien im Rahmen von Interaktionen zwischen Menschen und Computern. Es ist also letztendlich egal, ob Sie eine Website, eine Spielekonsole oder eine Waschmaschine bedienen: Die Regeln für gute Bedienbarkeit sind tatsächlich immer die gleichen.

images Usability sagt aus, in welchem Maße (wie gut) ein Produkt oder ein Dienst von seinen Benutzern bedient werden kann, um Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.

Die drei enthaltenen Kernmerkmale in dieser vereinfachten Definition sind stets wichtig, um ein Produkt, wie zum Beispiel eine Website, hinsichtlich seiner Usability zu bewerten. Es handelt sich im Einzelnen um:

  • Effektivität: Erreicht der Nutzer überhaupt sein Ziel?
  • Effizienz: Wie schnell (ohne Umwege, unkompliziert und mit möglichst wenig Aufwand) erreicht der Nutzer sein Ziel?
  • Zufriedenstellend: Wie empfindet der Nutzer den Weg? Stellt ihn die Website zufrieden? Wird das Ergebnis positiv bewertet?

Auch in der Praxis findet diese Definition mit ihren Merkmalen häufig Anwendung. Wir als Usability-Experten verwenden sie, wann immer wir jemandem erklären, was Usability ist und welche Kriterien es gibt. Denn dadurch lässt sich eine subjektive Meinung zu einem Produkt objektivieren.

Ein Usability-Experte kann und darf nicht mit seinem persönlichen Geschmack argumentieren. Wann immer dies passiert, folgt eine unproduktive und unsachliche Diskussion, da andere sich ebenfalls dazu hinreißen lassen, Argumente anzuführen, die sehr subjektiv sind.

Sie werden später noch erfahren, wie man derartige Situationen mithilfe von Usability-Regeln und Wissen über die betreffende Zielgruppe auflösen kann. Dazu gehört unter anderem, überprüfbare Kriterien anzusetzen, um die Usability einer Anwendung zu bewerten.

Eine erste Liste mit Gütekriterien für Usability, die ebenfalls der DIN EN ISO 9241 (Teil 110 aus dem Jahr 2019) entnommen ist, sei hier schon aufgeführt. Sie soll zudem einen noch besseren Eindruck von dem Begriff Usability geben.

Laut der DIN-Norm besitzt ein System ein hohes Maß an Usability, wenn es

  • der Aufgabe angemessen,
  • selbstbeschreibend,
  • steuer- und individualisierbar,
  • erwartungskonform,
  • fehlertolerant,
  • lernförderlich
  • und motivierend

ist. Sie sehen also, es gibt zahlreiche Ansatzpunkte, die Usability zu optimieren. Was genau hinter den einzelnen Kriterien steckt und wie Sie diese für Ihre Website nutzen können, erfahren Sie im zweiten Kapitel.

Ich habe oben erwähnt, dass die Regeln für gute Usability sowohl auf Websites als auch auf Spielekonsolen und andere Geräte anwendbar sind. Nun werden Sie vielleicht schon infrage gestellt haben, ob denn ein und derselbe Nutzer alle Arten von Geräten auf Anhieb bedienen können muss, damit man von guter Usability sprechen kann.

Was Ihnen vielleicht intuitiv fraglich vorkommt, ist es auch: Die vollständige Definition von Usability berücksichtigt daher immer auch die Zielgruppe und den Nutzungskontext. Für einen Piloten ist ein Flugzeugcockpit vielleicht sehr gut bedienbar. Es erfüllt alle Kriterien der obigen Liste, aber eben nur für Piloten und nur in einem Flugzeug.

Daher lautet die vollständige und offizielle Definition von Usability:

images Usability ist das Ausmaß, in dem ein System, ein Produkt oder eine Dienstleistung durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.

Die Zielgruppe und auch der Nutzungskontext, zu dem beispielsweise die Umgebung und die eingesetzten Hilfsmittel gehören, sind also enorm wichtig, wenn es darum geht, die Usability zu bewerten. Wann immer Sie Ihre Website oder App optimieren wollen, sollten Sie sich zunächst Ihre Zielgruppe(n) und deren Kontext vergegenwärtigen, um nicht von Ihrer eigenen Situation oder Ihren eigenen Annahmen auszugehen. Dies ist eine wichtige Basis, um Usability eigenständig zu überprüfen, was Sie in den folgenden Kapiteln lernen werden.

User Experience

Weil sich Usability allein sehr stark auf die tatsächliche Benutzung eines Produkts bezieht und sehr sachlich vor allem auf die Interaktion fokussiert ist, hat sie mit der Zeit einen Begleiter bekommen: Die »User Experience« (Abkürzung: UX). Das wörtlich übersetzte Benutzererlebnis beziehungsweise die Benutzererfahrung bezieht neben emotionalen Empfindungen auch Erwartungen an die Nutzung und das zurückbleibende Bild nach der Nutzung mit ein.

Um das Benutzererlebnis in Gänze zu betrachten, müssen Sie also auch einbeziehen, was der Nutzer vorher über Ihre Website denkt (er hat vielleicht schon Werbung gesehen, oder ein Freund hat ihm von Ihrer Website erzählt) und auch das, woran er sich nachher erinnert, oder welche Meinung er sich gebildet hat.

images User Experience umfasst alle Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die aus der tatsächlichen und/oder erwarteten Benutzung eines Systems (eines Produkts, einer Dienstleistung) resultieren.

Das Zusammenspiel zwischen Usability und User Experience lässt sich gut in der Abbildung 1.1 verdeutlichen: Usability ist das, was während der Nutzung passiert, User Experience bezieht die Phasen vor und nach der Benutzung mit ein.

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Abbildung 1.1: Der Unterschied zwischen Usability und User Experience (© ProContext Consulting GmbH)

User Experience ist also der umfassendere Begriff. Das Benutzererlebnis beinhaltet die möglichst reibungslose und zufriedenstellende Aufgabenerledigung im Moment der Nutzung. Es gibt jedoch gute Gründe, sich von Beginn an mit dem »Davor« und dem »Danach« zu beschäftigen.

Zunächst einmal ist kein Nutzer frei von Erwartungen und Gedanken über ein Produkt, auch wenn er es noch nicht genutzt hat. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass es ein völlig neuer Gegenstand oder ein noch nicht auf dem Markt befindliches Gerät ist, hat zumindest der Name eine gewisse Ausstrahlung.

Im Falle von Websites und Apps gibt es jedoch immer eine Menge vergleichbarer Anwendungen, sodass eine Vielzahl von Erwartungen vorhanden ist. Sie müssen damit rechnen, dass der Besucher Ihrer Website viele andere Websites zuvor gesehen und genutzt hat. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er schon Websites zu ähnlichen Themen wie dem Ihren besucht haben.

All diese Erfahrungen beeinflussen die Erwartungen, die der Nutzer an Ihre Website hat, bevor er sie aufruft. Er hat – ohne groß darüber nachzudenken – ein Bild davon im Kopf, wie eine Website aussieht, was sie für Funktionen hat und wo etwas Bestimmtes zu finden sein wird. Sie können also in dem Maße, in dem Sie diese Erwartungen kennen und ihnen entsprechen, bereits den ersten Eindruck beeinflussen und damit den Grundstein für die Zufriedenheit der Nutzer legen.

Sie ahnen es schon: Es ist im Zweifel immer besser, sich an vorhandene Konventionen zu halten und den Nutzer nicht mit einem völlig ungewohnten Website-Aufbau zu überraschen. Mehr zum Thema Positionierung von Elementen erfahren Sie in Kapitel 11. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass es sehr wichtig ist, dass Sie sich mit den Erwartungen Ihrer Zielgruppen beschäftigen und diese kennenlernen.

images Gut gemeinte Überraschungen für Ihre Nutzer oder das bewusste Abweichen von etablierten Standards im Internet sollten Sie lassen. Sie ernten damit im günstigsten Fall Verwunderung oder ein Kopfschütteln. Nutzer rufen Websites in der Regel auf, um Ziele zu erreichen. Alles, was sie davon abhält, stellt die Seriosität und Professionalität des Website-Betreibers infrage. Nutzer, die nicht finden, was sie suchen, werden vielleicht nicht wiederkommen und die Website nicht weiterempfehlen.

Dass der Nutzer nach dem Besuch einer Website oder App bestimmte Gedanken und Empfindungen hat, ist leicht vorstellbar. Alles was während der Benutzung erlebt wurde, wird bewusst oder unbewusst verarbeitet und formt das Bild, das nach der Benutzung zurückbleibt. Dieses bezieht sich nicht nur auf die Website oder App (Layout, Bilder, Funktionen) selbst, sondern wird auch auf den Betreiber der Website beziehungsweise die Marke übertragen. Es wird schon lange versucht, den Eindruck, der bleibt, mithilfe von Fragebögen oder Interviews zu erfassen. In diesem Buch werden Sie auch noch erfahren, wie dies gelingen kann.

Doch es bleibt auch eine Art unbewusste Wahrnehmung des Anbieters zurück, ein Gefühl oder eine Empfindung, die nur schwer in Worte zu fassen ist, aber spätere Kaufentscheidungen durchaus beeinflussen kann. Es liegt somit auf der Hand, dass Sie als Website-Betreiber das Erlebnis während der Nutzung so positiv wie möglich gestalten sollten.

Customer Experience oder die Summe aller Berührungspunkte

Um die Reihe der wichtigen Begriffe zu komplettieren, sei an dieser Stelle auch das Konzept der »Customer Experience« (Abkürzung: CX) erwähnt. Es ist ähnlich dem der User Experience, bezieht sich aber insbesondere auf Kunden. Weiterhin bezieht es explizit alle Berührungspunkte ein, die ein Kunde mit einem Anbieter haben kann.

Es geht also nicht nur um die Phasen vor, während und nach der Nutzung, sondern auch um verschiedene Kanäle und Medien, über die ein Kunde mit einem Unternehmen in Kontakt treten kann. Dies kann neben einer Website auch ein gedruckter Katalog, ein Flyer, eine telefonische Hotline, eine E-Mail oder die erhaltene Ware sein.

Das Customer Experience Management versucht, die Wahrnehmung eines Anbieters und die Kundenzufriedenheit über all diese Kanäle hinweg zu optimieren. Die Kanäle beziehungsweise Berührungspunkte werden auch als »Touchpoints« bezeichnet, der gesamte Weg des Nutzers als »Customer Journey«. Diese Begriffe werden uns in Kapitel 8 wieder begegnen und dann ausführlicher erläutert.

Die Relevanz von Customer Experience oder der Betrachtung aller Kanäle ergibt sich letztendlich auch daraus, dass die meisten Unternehmen heute über viel mehr Kanäle mit ihren Nutzern und Kunden in Kontakt treten als noch vor 10 bis 15 Jahren. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle nicht nur Websites und Apps, sondern vor allem auch soziale Netzwerke, die noch einmal eine ganz neue Qualität von Kommunikation und Ansprache mit sich bringen.

Auch wenn es in diesem Buch nicht um Social-Media-Strategien geht, rücken soziale Netzwerke immer dann in das Blickfeld von User Experience, wenn sie das »Davor« im Sinne der Definition beeinflussen oder gar einen Ausgangspunkt (in Form einer Verlinkung) für die Nutzung einer Website darstellen. Dann müssen Sie sich in jedem Fall damit beschäftigen, welche Erwartungen dieser Kanal geweckt hat und ob diese auf Ihrer Website erfüllt werden.

Wo anfangen? Eine Einstiegshilfe

Wenn Sie nun bereits nach dem Lesen der ersten Seiten den Eindruck bekommen, dass es sich bei Usability und UX um eine ziemlich komplexe Sache handelt, kann ich Sie beruhigen und muss Ihnen gleichzeitig zustimmen: User-Experience-Optimierung ist sehr komplex, und aus gutem Grund gibt es Profis und Agenturen, die sich auf diese Aufgabe spezialisiert haben.

Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche kleine Schritte, die Sie selbst machen können. Jede noch so kleine Verbesserung bringt Ihre Website voran. Unzählige Analysen von bekannten Websites haben bewiesen, dass schon einzelne Worte oder Formulierungen die Kaufwahrscheinlichkeit eines Produkts auf einer Website erhöhen können.

Zum Einstieg sollten Sie sich auf die Usability-Kriterien konzentrieren, vorausgesetzt Ihre Anwendung ist grundsätzlich zugänglich und hat einen Nutzwert (siehe Abbildung 1.2). Im folgenden Kapitel werden Sie dazu einige Anhaltspunkte, Richtlinien und Regeln kennenlernen, mit deren Hilfe Sie Ihre eigene Website oder Entwürfe überprüfen können.

Usability-Optimierung ist wie die Basisarbeit: Sie werden für gute Usability vielleicht keinen Applaus bekommen, aber Sie vermeiden Ärger bei den Benutzern. Das heißt, erst wenn Sie Ihre Hausaufgaben gemacht haben und sich keine groben Usability-Fehler mehr auf Ihrer Website leisten, lohnt es sich, in positive Benutzererlebnisse (Joy of Use) zu investieren. Dies ist dann die Kür.

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Abbildung 1.2: Die Bedürfnispyramide der User Experience (eigene Darstellung nach Eberhard-Yom)