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Matjaž Gorjup

Fokussieren statt Sanieren

Die Toolbox für flexible und krisenfeste Unternehmensführung

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WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA

Vorwort

Was hat mich dazu verleitet, ein Buch zu schreiben? Nun, im Zuge meines Lebens konnte ich Folgendes beobachten:

Es gibt Milliarden von Menschen, aber keine Gesellschaft mehr.

Alle Informationen, die wir benötigen, sind sofort abrufbar, doch unser implizites Wissen wird weniger und weniger.

Es gibt exzellente KPI Dashboards, mit denen jeder wirtschaftliche Aspekt im Detail nachvollzogen werden kann, doch Kunden und Angestellte verlassen die Firmen, und Unternehmen sterben schneller denn je.

Die Beschäftigungsrate ist hoch, Menschen haben Arbeit, doch viele der Jobs machen gar keinen Sinn.

Wir haben hunderte Arten von Medien, doch keine Kommunikation.

Wir verbringen mehr Zeit damit, zu kommunizieren, verstehen einander jedoch immer weniger.

Aufgrund der permanenten Kommunikation verbleibt uns weniger Zeit, die eigentliche Arbeit zu erledigen.

Wir haben effiziente Unternehmen geschaffen, allerdings ohne Seele und Moral.

Man betritt eine Firma, doch keiner blickt einem ins Gesicht.

Wir haben vielerlei Mittel, Statuschecks durchzuführen, doch der eigentliche Fortschritt verlangsamt sich.

Wir verkünden konstante Fortschritte, doch eigentlich ändert sich gar nichts.

Ein Projekt zur Veränderung jagt das nächste, doch alles bleibt beim Alten.

Die Fluktuation im Management nimmt zu, während Knowhow verloren geht.

Stillschweigende Kommunikation, die sich allein über Blicke abspielt und nicht über das gesprochene Wort, ist am Aussterben.

Nachdem ich das Gefühl hatte, dass unser Geschäftsleben immer bürokratischer wird und ihm die Lebendigkeit verloren geht, war es mir ein Anliegen, eine Lanze für mehr Lebendigkeit in der Wirtschaft zu brechen. Indem ich den sich scheinbar gegenseitig ausschließenden Extremen der modernen Wirtschaftswissenschaften auf den Grund gehe, will ich Sie, werter Leser, darauf aufmerksam machen, dass die oben erwähnten Eindrücke das Ergebnis unserer Gesellschaft sind, die sich viel zu sehr auf eine Technologie, Big Data und erprobte systematische Rezepte stützt und dabei vergisst, dass Vitalität das Gleichgewicht zwischen Chaos und Ordnung ist.

Je lebendiger wir sind, desto mehr Probleme erwarten uns. Das ist auch gut so. Probleme verschwinden nur, wenn das Leben zum Stillstand kommt. Nehmen Sie es also mit offenen Händen an. Lernen Sie mit Problemen umzugehen und entwickeln Sie ein Talent dafür, Probleme zu umschiffen.

Dieses Buch verspricht nicht, dass Sie Ihre Probleme loswerden. Es wird aber dabei helfen, dass Sie Ihre Energie und die Ihres Teams besser verwalten, indem Sie lernen, sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu fokussieren und eine entsprechende Spannung aufzubauen und zu managen, um Ihr Team weiter voran zu bringen. Sie werden lernen, dass alle diese sich scheinbar gegenseitig ausschließenden Gegensätzlichkeiten, die es überall in der Wirtschaft gibt – zum Beispiel »wir können entweder mehr produzieren oder bessere Qualität erzeugen, jedoch nicht beides« oder »Sie müssen sich auf die Stärken Ihrer Teammitglieder konzentrieren und die Schwächen ignorieren« –, diejenigen Konflikte sind, die genauer unter die Lupe genommen werden müssen. Sie werden Ihnen die extremen Grenzen aufzeigen und dabei helfen, die richtige Balance zwischen Chaos und Ordnung zu finden, damit Sie Ihr Problem in eine Gewinnchance verwandeln. Begrüßen Sie das inklusive »Und« anstelle des exklusiven »Das eine oder das andere«.

Finden Sie die richtige Balance zwischen Chaos und Ordnung, zwischen einer maskulinen und femininen Weltanschauung, zwischen Ying und Yang im Management. In Bezug auf Management-Herausforderungen ist es eben diese Suche, auf die Sie dieses Buch mitnehmen wird. Passen Sie auf Extreme auf, beleuchten Sie sie, aber finden Sie die goldene Mitte, und Sie werden bei jedem Problem, das sich Ihnen stellt, ein Gefühl der Freude verspüren. Chaos und Ordnung sind die transzendentale Essenz der Vitalität, das Gefühl, am Leben zu sein.

Indem Sie sich auf den oben angesprochenen Ansatz einlassen, wird es Ihnen möglich sein, die Lebendigkeit und die Fähigkeiten Ihres Teams auszubauen. Ihr Team wird nicht alle Probleme beiseiteschaffen, während es Fortschritte macht. Im Gegenteil, je reifer Ihr Team wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass es sogar noch mehr Probleme schaffen wird. Jedoch wird Ihr Team in der Lage sein, mit diesen Problemen energiesparender umzugehen und, darüber hinaus, wird seine Fähigkeit, sich mit komplexeren, mehrdeutigen und schwierigeren Problemen auseinanderzusetzen, wachsen. Und genau diese Entwicklung zentraler Fähigkeiten, welche nicht fach- und branchenspezifisch sind, sondern sich auf das Leben und die Menschen beziehen, sind die Quintessenz dieses Buches. Es ist ein Denkanstoß, wie Sie die Fähigkeiten Ihres Teams weiterentwickeln können, unabhängig von Branche oder Region. Das Buch soll Ihnen auch dabei helfen, die Kraft, die Sie in unwichtigere Probleme stecken, welche oft so viel wertvolle organisatorische Energie in Anspruch nehmen, in Grenzen zu halten.

Es bietet Ihnen ein einfaches mentales Gerüst, die folgende Frage mit Selbstvertrauen zu beantworten: »Wie war mein Tag?« Besser ein ehrlicher Konflikt, als falsche Harmonie. Das Buch wird Ihnen dabei helfen, ein gesünderes Team zu kreieren.

Matjaž Gorjup

1 Machen Sie es sich ruhig gemütlich – Der Sanierer wartet schon

Über die weit verbreitete Plage des Komfortzonen-Kuschelns und die Tatsache, dass das ein Schuss ins eigene Knie ist.

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1.1 Wenn es ruhig läuft, läuft es nicht mehr lange ruhig

Unternehmer leben fast immer gefährlich: Bei der Gründung ist ungewiss, ob die Geschäftsidee marktfähig ist, und man kann nie wissen, ob man gerade dabei ist, sein Geld zum Fenster hinauszuwerfen, oder ob man mit guten Renditen rechnen darf. Das unternehmerische Risiko bleibt in der Aufbauphase bestehen, denn es gibt immer Entscheidungen, bei denen ungewiss ist, ob sie sich als richtig entpuppen. Man hört (oder erlebt es selbst), wie Unternehmen in große Krisen schlittern, insolvent werden, Konkurs anmelden müssen, aufgekauft, zusammengeschlossen, geschrumpft, ausgelagert, verkauft werden. Unternehmer oder Führungskraft zu sein, das ist ein anstrengender Job.

Wie gut kann man daher verstehen, wenn Manager große Erleichterung spüren, wenn es endlich einmal rundläuft. Weil man die ganzen Krisen, die großen Ungewissheiten hinter sich gebracht hat. Man hat Strukturen aufgebaut, qualifizierte Mitarbeiter eingestellt, die Ablauforganisation ist auf Vordermann gebracht. Die jährlichen Umsätze sind konstant steigend, die Rendite erfreulich, und wie es aussieht, steht auch in den nächsten Jahren dem Erfolg nichts im Weg. Endlich ist man da, wo man hinwollte. Und so soll es ab jetzt immer bleiben. Man wähnt sich am Ziel.

Doch so, wie man Augenblicke nicht festhalten kann, kann man den Erfolg nicht festhalten, indem man alles so belässt, wie es ist. Als Unternehmer ist man nie angekommen. Den Status quo aufrechterhalten zu wollen ist wie der Versuch, es sich mit einer Luftmatratze in einem Haifischbecken bequem machen zu wollen. Es ist das Gefährlichste überhaupt, noch viel gefährlicher als jede Neugründung. Denn in einem offensichtlich prosperierenden Unternehmen schleicht sich die Gefahr in kleinen, unmerklichen Dosen durch den Türspalt herein. Gleichzeitig sind Führungskräfte und Mitarbeiter meist unachtsam und bequem und oft auch leichtsinnig, wenn sie sich auf der Erfolgswelle treiben lassen. Da muss schon ein großer Tornado kommen, damit sie ihn als Gefahr erkennen. Die kleinen Anzeichen von Missständen, die übersehen sie: Da wird eine Kundenreklamation so behandelt, wie es die standardisierten Workflows vorsehen – dass es aber bei Produkt X bereits vielfach zu Beschwerden gekommen ist, nimmt man zwar verschwommen wahr, doch man kommt nicht auf die Idee, der Sache auf den Grund zu gehen und das Produkt weiterzuentwickeln. Kleine Veränderungen am Markt werden nicht wachsam genug beobachtet: Ein neuer Konkurrent beginnt, Kunden abzuziehen, das Kaufverhalten der Zielgruppe verändert sich, das Produkt kommt langsam aus der Mode – doch weil man nicht achtgibt, überlegt man auch nicht rechtzeitig, die Ziele zu verändern oder überhaupt ein neues Pferd zu satteln. Meist ist es auch noch so, dass die Umsätze weiterhin gut aussehen, während es unter der Oberfläche zu erodieren beginnt. Man wähnt sich daher auf der sicheren Seite, obwohl es höchste Zeit für die nächste Veränderung ist. Mit einem Unternehmen ist man eben nie am Ziel, sondern immer auf dem Weg.

Die Krise ist dann unausweichlich, und sie läuft in aller Regel nach einem Grundmuster ab, das Arie de Geus gut auf den Punkt bringt1:

  1. Die Aussichten verschlechtern sich. Es braucht eine Zeit, bis man sich einig ist: Eine Veränderung ist unausweichlich!
  2. Bis man das verstanden hat, ist die Zeit bereits knapp.
  3. Daher stehen nur wenige Möglichkeiten offen – und die sind nicht unbedingt die besten, weil nur jene Möglichkeiten in Frage kommen, die schnell umsetzbar sind.
  4. Meist handelt es sich bei diesen Optionen um harte Lösungen, die einschneidende Wirkung auf die Arbeitsmoral und die Identität des Unternehmens haben.
  5. Die Krise wird dadurch noch tiefer, die Dringlichkeit größer, die Zeit noch knapper, die Optionen noch weniger. Ein Teufelskreis.

Dass es selbst den erfahrensten Managern passiert, sich der Versuchung des Sich-Ausruhens hinzugeben und so in die Krise zu schlittern, habe ich als Berater und Sanierungsmanager in den vergangenen 25 Jahren hautnah erlebt. Sie alle waren leider in guter Gesellschaft – Kodak zum Beispiel. Der Fotoausrüster wurde 1892 gegründet. 1963 brachte er eine Innovation auf den Markt, indem er den Amateur- und Hobbyfotografen eine leicht zu bedienende Kamera in die Hand drückte: die Instamatic. Kodak wurde zu einer Weltmarke. Ende der 80er Jahre schafften sie die nächste bahnbrechende Innovation und festigten damit ihre Vorreiterrolle: Sie brachten die weltweit erste Digitalkamera auf den Markt. Doch etwa 25 Jahre später hatte das Unternehmen 6,75 Milliarden Dollar Schulden und schlitterte in die Insolvenz. Trotz der offensichtlichen Innovationskraft hatte das Management – anders als bei den Konkurrenten Canon und Nikon – die Entwicklung auf dem digitalen Fotomarkt verschlafen. Kodak hat seine Vitalität verloren!

Das ist nur eines der vielen traurigen Belege. Ob die Kaufhauskette Hertie, Woolworth, Baumax, der amerikanische Energiekonzern Enron, Computerriese Silicon Graphics oder der Automobilzulieferer Karmann, der den Wegfall seiner Hauptkunden Audi und Mercedes nicht verkraften konnte – all diese Unternehmen haben nicht rechtzeitig erkannt, dass sie dringend an ihren Stellschrauben hätten drehen müssen, um weiterhin am Leben zu bleiben.

Es gibt nichts Fataleres als Routine, eingebettet in den Glanz des Erfolgs. Was man dagegen tun kann? Wachsam bleiben, es schaffen, die Aufmerksamkeit für das Außerplanmäßige nicht zu verlieren. Der ehemalige Intel-Chef Andy Grove meinte, jede erfolgreiche Führungskraft braucht einen guten Schuss Paranoia.2 Dem schließe ich mich voll und ganz an. Wer nicht ständig auch in guten Zeiten ein gerüttelt Maß Argwohn und Skepsis beibehält, verpasst den Zeitpunkt für einen notwendigen Change.

1.2 Ärmel aufkrempeln statt Beine hochlegen

Im Vorwort des Bestsellers Jenseits der Ökonomie von Arie de Geus schreibt Peter Senge, dass es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen geringer Vitalität und niedriger Lebenserwartung von Unternehmen gibt. Arie de Geus definiert Vitalität als die Fähigkeit, sich zu jeder Zeit an die Umwelt anzupassen, eine Identität zu entwickeln, Beziehungen zu Menschen innerhalb und außerhalb aufzubauen und eine lange Entwicklungsgeschichte hervorzubringen.3 Damit die Anpassung auch tatsächlich passiert, braucht es jedoch Umsetzungskraft. Schwächen in der Umsetzung sind – neben dem Drang zur Bequemlichkeit – der zweite wesentliche Grund, warum Unternehmen scheitern.

In den in Schieflage geratenen Unternehmen, in denen ich bisher eingesetzt war, konnte ich diese Schwäche gut beobachten. Es gab naturgemäß immer viel Frust über den schlechten Zustand des Unternehmens – und gleichzeitig gab es viel Widerstand, daran etwas zu ändern. Manager wie Mitarbeiter wollten sehr gerne an eine positive Zukunft glauben. Doch etwas anders machen als bisher? Das schien absurderweise nicht leicht denkbar, und so wehrten sie sich anfangs oft gegen meine »verrückten« Ideen. Es brauchte viel Beharrlichkeit und Geduld, um Sätzen wie »Das haben wir immer schon so gemacht« oder »Das geht doch nicht« Paroli bieten zu können.

Der Grund, warum Management überhaupt existiert, ist, dass es jemanden braucht, der andere bewegt, andere von neuen Handlungsnotwendigkeiten überzeugt. Eine Führungskraft braucht die Fähigkeit, auf das Ganze zu schauen, um zu entscheiden: Das ist dringend und das ist wichtig – also beschäftigen wir uns jetzt bitte vorrangig mit dem Wichtigen. Gleichzeitig muss sie in der Lage sein, zwischen dem großen Ganzen und dem operativen Tagesgeschäft zu balancieren. Würde sie nur das große Ganze betrachten, verlöre sie den Bezug zur Realität. Würde sie sich nur auf das Tagesgeschäft konzentrieren, würde sie die falschen Dinge angehen.

Dieser ständige Kontextwechsel ist wohl das Anstrengendste am Führen – er ist aber gleichzeitig auch das Wirksamste, was wir Führungskräfte bewerkstelligen können. Eine vitale Führungskraft sollte in der Lage sein, schon vorab intern »eine Krise« zu erzeugen, noch bevor die Krise vom Markt her das Unternehmen überschwemmt. Dafür braucht sie die Energie, laufend für positive Spannung zu sorgen und gleichzeitig zwischenmenschliche Beziehungen intakt zu halten. Je besser es ihr gelingt, andere schnell zu überzeugen, desto erfolgreicher ist die Führungskraft, denn dadurch bleibt mehr Energie für die eigentliche Umsetzung der Veränderung übrig. So wird jede Umsetzung schneller und besser gelingen.

Seien Sie sich bewusst, dass das Überzeugen meistens einen Kompromiss bedeutet, indem man den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden versucht. Dennoch gelingt durch die Kompromissfindung meistens eine bessere Umsetzung.

Was heißt Vitalität für Manager praktisch gesehen? Sie müssen einerseits die Augen offenhalten und andererseits ständig in Bewegung sein, um sofort handeln zu können, wenn es darauf ankommt – wie ein Boxer, der niemals mit beiden Beinen ruhig im Ring stehen würde, sondern immer tänzelt, um so viel schneller in Deckung gehen oder einen Angriff starten zu können. Würde er stillstehen, könnte er niemals so schnell reagieren, weil er erst die Trägheit seines Körpers überwinden müsste – und bis dahin wäre er wohl längst k.o. geschlagen. Das gilt auch im übertragenen Sinn für uns Manager. Wir müssen immer geistig agil sein, die Fühler ausstrecken. Eine erfolgreiche Führungskraft freut sich über einen Erfolg – und bleibt gleichzeitig skeptisch, ob er auch bis morgen anhalten wird. Sie behält seine Kennzahlen im Blick und hinterfragt jede Abweichung. Man kann nie wissen. Daher ist ein gesundes Maß an Paranoia immer angebracht.

Vitalität ist ein zentraler Erfolgsfaktor, der es möglich macht, lange am Leben zu bleiben. Auch der US-amerikanische Management- und Change-Experte Ichak Adizes postuliert die Bedeutung der Lebendigkeit und hat auf Basis seiner Beobachtungen einen »Corporate Life Cycle« entwickelt (siehe Abbildung 1), der sich analog zur Idee des Unternehmens als »lebendes System«4 in Entwicklungsphasen von der Geburt bis zum Tod spannt.

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Abbildung 1: Adizes’ Corporate Life Cycle

Die Manager-Phase ist seiner Definition nach die optimale Position im Lebenszyklus eines Unternehmens. Sie zeichnet sich aus durch eine gute Balance zwischen Kontrolle und Flexibilität, Strukturen und Lebendigkeit. Bis zu dieser Phase hat das Unternehmen die turbulenten Zeiten von der Gründung über die Differenzierung in Organisationseinheiten bis zur integrierten Organisation durchlaufen. Ziel ist, diese Manager-Phase beizubehalten, und genau das ist die Herausforderung, denn auch Adizes erkannte: Ein Unternehmen kann nicht einfach diese Phase erreichen und sich dann zurücklehnen und ausruhen. »Management must proactively work to promote activities that retard ageing and sustain the vitality of Manager«, schreibt er auf seiner Website.5 Wer sich zurücklehnt und sich selbstzufrieden auf seinen Lorbeeren ausruht, läuft Gefahr, sich in die höchst instabile und riskante Position »Selbstgefälliger« weiterzuentwickeln – und von dieser geht es nur noch bergab, wie die Grafik in Abbildung 1 eindeutig darstellt.

Die Manager-Phase ist gekennzeichnet dadurch, dass die Organisation eine Balance zwischen Kontrolle und Flexibilität gefunden hat – oder besser gesagt: Sie hat eine Reife entwickelt, in der sie zwischen diesen beiden Polen Kontrolle und Flexibilität oszillieren kann, denn beides zur gleichen Zeit zu erreichen ist in etwa so schwierig, wie einen Golfball auf einem anderen zu balancieren. Darin liegt auch die Schwierigkeit im Aufrechterhalten dieses hohen Ziels, das Adizes uns vor die Nase hält. Sobald die Bewahrer die Oberhand erhalten, regiert Kontrolle und das Unternehmen wird so schwer manövrierbar wie ein Flugzeugträger. Haben die Visionäre mit ihren Unternehmerseelen die Oberhand, ist das Unternehmen zwar flexibel wie eine kleine Jolle. Doch erstens kann man mit einer Jolle weder große Frachten transportieren noch Ozeane überqueren, und zweitens erleidet man schnell Schiffbruch, sobald ein Sturm auftaucht.

Die zweite Herausforderung besteht laut Adizes in genau der Versuchung, von der ich bereits berichtet habe: sich nicht selbstgefällig zurückzulehnen und zu sagen: Ist doch alles wunderbar, wozu sich den Kopf zerbrechen über Veränderung? Um in der Manager-Phase zu bleiben, braucht es proaktive Führungskräfte, die permanent für frischen Wind sorgen. Wenn eine Manager-Organisation ihre Fähigkeit verliert, Veränderung zu begrüßen und Wachstum permanent zu nähren, schreibt Adizes, sinkt die Vitalität und das Unternehmen rutscht ab, wird rigide und alt und stirbt schließlich.

Die Manager-Phase ist auch die einzig richtige Zeit, um für Unternehmensnachwuchs zu sorgen. Damit meine ich nicht den Führungskräftenachwuchs, sondern beispielsweise einen Unternehmensableger – eine neue Sparte, in die das Unternehmen einsteigt, ein neues Produkt, eine Neuerfindung der Kultur, ein disruptiver Produktionsprozess oder Ähnliches. Nachwuchs sorgt dafür, dass die langfristige Fortführung des Unternehmens sichergestellt wird. Denn in den späteren Phasen Eminenz, Verwalter oder Bürokrat wird dies nicht mehr gelingen. Die Überheblichkeit oder auch die starre, bürokratische Kontrolle wird eine kreative Neuerfindung mit höchster Wahrscheinlichkeit unmöglich machen. Da hilft nur noch der Tod, der zumindest eine Wiederauferstehung möglich macht. Wie schwierig es ist, zur rechten Zeit für Unternehmensnachwuchs zu sorgen, beweist ein Blick in die Historie der börsennotierten Unternehmen: Von den Fortune 500 aus dem Jahr 1955 existierten im Jahr 2017 nur noch 55 Firmen, das sind knapp zwölf Prozent! Im gleichen Zeitraum ist die durchschnittliche Lebensdauer von Unternehmen von über 60 auf gerade einmal 20 Jahre kollabiert.

1.3 Lebenselixier Spannung und Beweglichkeit

Wenn ich in ein Unternehmen in der Krise gerufen wurde, beobachtete ich regelmäßig eine Rigidität, die sich in den Köpfen des Managements breitgemacht hatte. Verkrustete Strukturen, festgefahrene Meinungen und positionshaltende Konflikte und eine damit einhergehende schlechte Arbeitsmoral sowie Ineffizienzen, die man offenbar als unveränderbar wahrnimmt, sind ebenfalls typisch. Eine meiner ersten und wichtigsten Aufgaben ist es jedes Mal, diese Starre aufzubrechen und Leben in das Denken der Leute hineinzubringen, damit die dringend nötigen Veränderungen überhaupt eine Chance haben. Die Veränderung interner wie externer Faktoren sind das Lebenselixier schlechthin. Und sie kann nur dann passieren, wenn Führungskräfte wie Mitarbeiter geistig beweglich bleiben, wenn sie positive Spannung aufbauen und sie auch aushalten können. Je früher und konsequenter sie mit Veränderung umgehen können, desto leistungsfähiger und langlebiger ist das Unternehmen insgesamt. Unternehmen, die sich dem Wandel nicht stellen, sind zum Scheitern verurteilt. Das ist nicht anders als bei anderen Lebensformen – die naturhistorischen Museen dieser Welt sind voll von ausgestopften Lebewesen, die mangels Anpassung an veränderte Umweltbedingungen ausgestorben sind.

Es gilt also, die uns naturgegebene Trägheit zu überwinden. Grundsätzlich funktionieren wir Menschen recht effizient, wenn es um unser persönliches Energiemanagement geht: Energie wird nur dann aufgewendet, wenn es wirklich nötig ist. Jeder, der versucht, ab sofort mehr Sport zu treiben, wird mir bestätigen, wie schwer überwindbar die eigene Trägheit auf der Couch vor dem Fernseher ist. Um unseren Lebensstil von Couchpotato auf Sportskanone umzuwandeln, hilft oft erst eine unmittelbar drohende Krankheit. Der bessere Weg wäre jedoch, uns an gesündere Verhaltensweisen zu gewöhnen, sodass die tägliche Bewegungseinheit zur Routine wird, anstatt uns Überwindung zu kosten.

So ist es auch mit der Trägheit in Unternehmen. Was, so fragte ich mich, würden Manager und Mitarbeiter brauchen, damit Unternehmen ihre tägliche Bewegungseinheit bekommen? Was brauchen Führungskräfte, um wachsam, ja, vielleicht tatsächlich immer ein wenig paranoid zu bleiben, wie Andy Grove das verlangt? Meine Antworten finden Sie in diesem Buch. Auf den Punkt gebracht:

  1. Fokussieren Sie sich auf das Wesentliche: Was ist das für Ihr Unternehmen gerade passende übergeordnete Ziel? Worum geht es im Wesentlichen bei der Entwicklung Ihrer Mitarbeiter? In Kapitel 2 finden Sie entsprechende Anregungen zum Weiterdenken.
  2. Machen Sie Ihr Team leistungsfähig, indem Sie mit der Zoom-in-Toolbox arbeiten. Sie sorgt dafür, dass Sie strategisch und operativ, menschen- und ergebnisorientiert gleichzeitig handeln. In Kapitel 3 stelle ich Ihnen meine Zoom-in-Toolbox vor, mit der ich seit Jahren erfolgreich arbeite.
  3. Sorgen Sie wie in einem guten Roman für Spannung im Unternehmen. Sie und Ihre Mitarbeiter müssen neugierig bleiben, gespannt darauf, was als Nächstes passiert. Das ist meiner Erfahrung nach die beste Motivation, die es gibt. Kapitel 4 stellt Ihnen die meiner Meinung nach häufigsten Spannungsfelder beim Führen vor und gibt Anregungen zur sinnvollen Navigation.