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Gesünder leben mit Heilpflanzen für Dummies

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Über die Autorin

Danksagung

Es gibt zwei Personen, ohne die dieses Werk heute niemals in Ihren Händen liegen würde. Das ist erstens mein Mann, Bernhard Aumann, von dem nie ein Murren zu hören war, selbst wenn ich mitten in der Nacht aufgestanden bin, weil mir gerade ein passender Text für dieses Buch eingefallen ist. Ganz zu schweigen von den vielen Exkursionen um Bilder für dieses Buch zu machen. Außerdem hat er mir für das Kapitel 3 wertvolle Textbausteine geliefert, denn er ist Gärtnermeister.

Die andere Person ist meine wunderbare Lektorin, Dr. Katharina Hemschemeier. Sie hat dieses Buch nicht nur mit viel Scharfsinnigkeit in rasanter Zeit in die richtige Form gebracht, sondern auch mit ganz viel Intelligenz. Aus meiner Sicht könnte sie auch als Motivationstrainerin arbeiten. Als solche habe ich sie jedenfalls oft empfunden. Außerdem möchte ich dem Verlagsteam danken, das an diesem Werk mitgewirkt hat und es mir ermöglicht hat, dieses Buch zu schreiben.

Einführung

Mein erster Kontakt mit Heilpflanzen war am zweiten Tag meiner ersten Berufsausbildung in einer Apotheke. Voller Neugierde betrachtete ich die pflanzlichen Inhalte in den unzähligen Metalldosen und braunen Glasgefäßen, die auf langen Regalen aneinandergereiht waren. Öffnete ich einen Deckel, duftete es mal herrlich blumig, mal angenehm entspannend und manchmal löste der Geruch beinahe einen Brechreiz bei mir aus.

Während ich mich mit den getrockneten Pflanzen beschäftigte, entging meinen Kolleginnen mein Interesse nicht. Mit einem Zettel in der Hand fragte mich eine Kollegin während meiner Erkundungstour, ob ich Lust hätte, eine Drogenmischung herzustellen. Mein Gesichtsausdruck muss damals ungläubig bis entsetzt gewesen sein. Jedenfalls erklärte mir meine Kollegin, dass eine »Droge« in der Pflanzenheilkunde getrocknete Teile von Heilpflanzen sind, die für therapeutische Behandlungen eingesetzt werden, wie Wurzeln oder Blüten. Auf ihrem Zettel – einem Rezept – standen verschiedene Drogen mit Mengenangaben, die ich für einen Kunden abwiegen, mischen und abfüllen durfte. Heute fallen mir aus dem Stegreif über 250 verschiedene Heilpflanzen und Drogen ein.

Heilpflanzen üben für viele Menschen eine Faszination aus. In der Tat bestanden bis in die 1960er-Jahre noch mehr als 50 Prozent aller Arzneimittel aus Heilpflanzen oder enthielten pflanzliche Zubereitungen. Heute sind es deutlich weniger, aber das Interesse von Verbrauchern scheint stetig zu wachsen. Dabei glauben viele Menschen, dass es sich bei der Anwendung von Heilpflanzen immer um eine sanfte und nebenwirkungsfreie Form der Therapie handelt. Sollten Sie schon einmal Rizinusöl als Abführmittel eingesetzt haben, wissen Sie, dass die Wirkung keinesfalls als angenehm oder sanft zu bezeichnen ist. Unangenehm bis schmerzhaft ist eine bessere Umschreibung für die abführenden Prozesse im Darm durch Rizinusöl!

Heilpflanzen sind Arzneimittel. Sie enthalten pharmakologisch wirksame Inhaltsstoffe und beeinflussen die Gesundheit. Wie andere Arzneimittel auch können sie unerwünschte Nebenwirkungen oder auch Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln beziehungsweise Medikamenten haben. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, Heilpflanzen im Zweifelsfall erst nach Rücksprache mit einem Arzt oder Apotheker einzusetzen.

Die gute Nachricht ist die, dass Gesünder leben mit Heilpflanzen für Dummies Ihnen erklärt, wie Heilpflanzen wirken und warum sie das tun. Sie lernen, wie jede einzelne Heilpflanze richtig angewendet wird und für wen die Pflanze geeignet ist. Sie erfahren außerdem, welche Chancen die Anwendungen von Heilpflanzen nach sich ziehen und welche Grenzen es gibt. Bei der Berichterstattung in den Medien über Gesundheitsthemen durch Wissenschaftler und Laien ist es manchmal ziemlich schwierig zu erkennen, was richtig ist und was an Scharlatanerie grenzt. Täglich werden neue vermeidliche Sensationen berichtet, die versprechen, »das Heilmittel« für dies und das zu haben, um die Meldung mit dem nächsten Atemzug wieder wegzuwischen, da es sich als wirkungslos oder gefährlich entpuppt. Das sorgt nicht nur für Verwirrung und Verwechslung, sondern es bremst gleichzeitig das Vertrauen in Therapien, die an sich hervorragend und wirksam sind.

Mit diesem Buch möchte ich Sie mit dem nötigen Hintergrundwissen in die Lage bringen, sich eine eigene Meinung über Heilpflanzen zu bilden, und klare Trennlinien zwischen anerkannten und umstrittenen Verfahren aufzeigen, damit Sie wissen, wie Sie Heilpflanzen richtig anwenden, um gesünder zu sein und um Beschwerden zu lindern oder sogar zu heilen.

Über dieses Buch

Gesünder leben mit Heilpflanzen für Dummies ist eine Einführung in die Welt der Heilpflanzenkunde und liefert Ihnen einen Überblick über das Thema als ein offenes System mit all seinen Einflussfaktoren. Sie können dieses Buch als Nachschlagewerk für Ihr Studium benutzen und zur Behandlung Ihrer Beschwerden. Alle Beschwerdebilder sind nach Gruppen sortiert. Wenn Sie beispielsweise schlecht in den Schlaf finden, dann schauen Sie am besten ins Kapitel 17, Abschnitt »Schlafbeschwerden«. Dort finden Sie die wichtigsten Informationen zu wirksamen Heilpflanzen und wie Sie diese richtig anwenden.

Ich möchte Sie aber auch ganz allgemein für Heilpflanzen begeistern und dabei Inhalte und Wechselbeziehungen einfach und klar darstellen. In Gesünder leben mit Heilpflanzen für Dummies lernen Sie ausschließlich Heilpflanzen kennen, zu deren Wirksamkeit es eine gute Beweislage gibt und die Sie im Hausgebrauch einsetzen können. Dennoch dient dieses Buch in erster Linie zu Ihrer Information. Sollten sich Ihre Beschwerden nach vorgeschlagener Anwendungsdauer nicht bessern oder – schlimmer noch – Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich in kurzer Zeit drastisch, suchen Sie bitte unbedingt einen erfahrenen Arzt auf.

Konventionen in diesem Buch

In diesem Buch werden Fachgriffe entweder vermieden oder direkt erklärt, damit Sie beim Lesen hoffentlich weder eine Suchmaschine nebenbei laufen lassen müssen noch ein Wörterbuch zur Übersetzung brauchen. Damit Sie sich einfach zurechtfinden, sind die Texte wie folgt gestaltet:

Gebrauchsanweisung zum Lesen der Heilpflanzenkapitel

Alle Kapitel sind nach einem ähnlichen Muster aufgebaut: Es geht dabei immer los mit einer generellen Einführung ins Thema, in der die wichtigsten medizinischen Grundlagen erklärt werden, etwa zu den Atemwegen. Im zweiten Schritt erfahren Sie mehr über die einzelnen Beschwerdebilder wie beispielsweise Husten, zu denen ich Ihnen anschließend ausgewählte Heilpflanzen vorstelle, die alphabetisch sortiert sind. Diese Heilpflanzen habe ich nach unterschiedlichen Gesichtspunkten ausgewählt:

  • Sichere Anwendung: Auf die Vorstellung von giftigen Heilpflanzen oder solche, die bei Langzeitanwendung Ihrer Gesundheit schaden können, verzichte ich in diesem Buch vollständig.
  • Wenige oder keine unerwünschten Wirkungen: Heilpflanzen sind Arzneimittel und können Nebenwirkungen und Wechselwirkungen haben. Je weniger desto besser! Doch alle Nebenwirkungen sind immer erklärt oder es wird auf Nebenwirkungen dieses Produktes in vorherigen Kapiteln verwiesen.
  • Anerkannte Wirksamkeit: Die Wirksamkeit der Heilpflanzenwirkstoffe ist seitens übergeordneter Institutionen wie etwa der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestätigt oder es liegen entsprechende Studien und Arzneimittelzulassungen vor. Wenn Sie das interessiert, finden Sie diese Informationen auf der Website www.fuer-dummies.de.
  • Verfügbarkeit und Popularität: In Europa gibt es andere Heilpflanzen als in Südamerika, die selbst gesammelt und aufbereitet werden können. Dennoch ist es manchmal sinnvoll, die Vielfalt der weltweit vorkommenden Heilpflanzen zu nutzen, etwa in Form von Fertigarzneimitteln.

Falls Sie das Inhaltsverzeichnis bereits durchgeblättert haben, ist Ihnen sicherlich aufgefallen, dass einige Heilpflanzen mehr als einmal in diesem Buch vorkommen. Das liegt daran, dass viele Heilpflanzen für ganz unterschiedliche Beschwerden eingesetzt werden können. Ein wunderbares Beispiel ist die Arnikapflanze: Arnikablütenauszüge nützen bei Prellungen, Blutergüssen und bei Wassereinlagerungen, aber nachweislich auch bei Insektenstichen, leichtem Sonnenbrand und vielem mehr! Aus diesem Grund lesen Sie von ein und derselben Heilpflanze oftmals zu unterschiedlichen Beschwerdebildern und in verschiedenen Kapiteln mit Verweisen, an welchen Stellen im Buch Sie noch mehr über die Pflanze erfahren können. Im Zweifelsfall schlagen Sie im Stichwortverzeichnis am Ende des Buches nach. Hier habe ich allerdings auf die lateinischen Namen der Pflanzen und Pflanzeninhaltsstoffe verzichtet – das wäre dann doch zu unübersichtlich geworden. Diese Informationen finden Sie jeweils bei der Beschreibung der Heilpflanze.

Damit Sie sich gut zurechtfinden, haben die Heilpflanzenporträts immer die gleiche Struktur:

  • Die Heilpflanze oder deren Wirkstoff(e) und wozu sie nützt: Zum Beispiel Rosmarin gegen Kreislaufbeschwerden.
  • Botanischer Pflanzenname: Rosmarinus officinalis
  • Abbildung: Einige Heilpflanzen werden mit einem Foto vorgestellt.
  • Einleitung zur Heilpflanze: Was gibt es über die Heilpflanze Spannendes zu wissen? Für wen ist die Heilpflanze besonders geeignet? Diese Fragen werden in der knappen Einleitung beantwortet.
  • Der Wirkstoff oder die Droge: Wenn Sie eine Heilpflanze medizinisch einsetzen, ist Ihnen sicherlich schon aufgefallen, dass oft nur Blüten oder nur Wurzeln der Pflanze verwendet werden. In der Tat werden nur selten alle Pflanzenteile, das heißt alle Bestandteile von der Blüte über Blätter, Rinde und Wurzeln eingesetzt. Der Rosmarin hat einen Wirkstoff und zwar Rosmarinblätter, die in Fachkreisen Rosmarini folium genannt werden. Aus diesem Grund beziehen sich alle weiteren Informationen auf den Wirkstoff und nicht auf die Heilpflanze als Ganzes.
  • Inhaltsstoffe und Wirkungen bei Beschwerden: Die wichtigsten und wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe im Wirkstoff werden erwähnt. Außerdem erfahren Sie, was die Heilpflanzenextrakte in Ihrem Körper bewirken.
  • Anwendung des Wirkstoffs: Ob Sie die Heilpflanze als Tee, als Tinktur oder besser als Fertigarzneimittel einnehmen können, erfahren Sie an dieser Stelle, ebenso wie Informationen zur Tagesdosis.
  • Unerwünschte Wirkungen: Hier erfahren Sie die aktuell bekannten Risiken, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen der Heilpflanzen.

Was Sie nicht lesen müssen

Es kommt darauf an, zu welchem Zweck Sie dieses Buch benutzen möchten. Wenn Sie sich ein umfassendes Bild von der Heilpflanzenkunde verschaffen möchten, lohnt es sich, das Buch ab der ersten Seite komplett durchzulesen. Wenn es Ihnen aber gerade im Magen zwickt oder Sie gerade Lust haben, sich über die Tibetische Medizin zu informieren, dann können Sie stets das jeweilige Kapitel aufschlagen und für Sie relevante Informationen erfahren. Dabei liefern Ihnen die Texte in den grau unterlegten Kästen interessante Fachinformationen. Diese führen über ein Verständnis der Heilpflanzenkunde hinaus und müssen daher nicht gelesen werden. Das Gleiche gilt für die Abschnitte mit dem Symbol »Technischer Kram«, wobei es sich in den Pflanzenporträts stets um Rezeptvorschläge handelt.

Törichte Annahmen über den Leser

Als ich mit dem Schreiben des Buches begann, habe ich viele Informationen über Botanik, Pharmakologie, Medizin, Volksheilkunde und Ernährungswissen zusammengetragen und sortiert. Ich habe mir gedacht, dass einer der folgenden Punkte auf Sie als Leser zutrifft:

Wie dieses Buch aufgebaut ist

Das Buch besteht aus fünf Teilen. Um Ihnen eine schnelle Auswahl zu den Informationen, die Sie zuerst lesen möchten, zu erleichtern, sind hier alle Teile von Gesünder leben mit Heilpflanzen für Dummies kurz zusammengefasst.

Teil I: Pflanzen und Pflanzenbedürfnisse verstehen

Sie erfahren in diesem Teil, wie eine Heilpflanze aufgebaut ist, warum sie manche Inhaltsstoffe produziert und was diese Inhaltsstoffe im menschlichen Körper bewirken können. Außerdem lesen Sie über wichtige Aspekte vom Sammeln von Heilpflanzen über deren Anbau bis zur Ernte und Lagerung. Auch lernen Sie das Wichtigste über Fachbegriffe und pflanzliche Zubereitungen wie Drogen und Mazerate kennen.

Teil II: Medizinsysteme mit Heilpflanzen

In diesem Teil lernen Sie viel über Heilpflanzen in verschiedenen Medizinsystemen. Egal ob es sich um Traditionelle Europäische Phytotherapie, Ayurveda oder Afrikanische Volks- und Klostermedizin handelt, traditionelle Medizinsysteme vereint weltweit der Einsatz von Heilpflanzen für die Behandlung von Krankheiten.

Teil III: Zwischen Wissenschaft und einem Wirkstofftropfen im Ozean

Auf allen Erdteilen gibt es Kriterien, nach denen die Wirksamkeit von Heilpflanzen bewertet wird. In Europa existieren allerdings andere Regeln als beispielsweise in Indien. Daher erfahren Sie in diesem Teil das Wichtigste darüber, wie und wer die Wirksamkeit von Heilpflanzen festlegt und welche Gründe es dafür gibt. Außerdem stelle ich Ihnen bekannte Naturheilverfahren mit Heilpflanzen vor.

Teil IV: Heilpflanzen und deren erfolgreicher Gebrauch

Dieser Teil bildet das Kernstück von Gesünder leben mit Heilpflanzen für Dummies. In den Kapiteln wird im ersten Schritt erklärt, um welche Organe oder um welche Personengruppen es geht. Im nächsten Schritt finden Sie eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkrankungen und deren Erkennungsmerkmale. Je nach Erkrankung und Erkennungsmerkmal lernen Sie etliche erfolgreiche Heilpflanzen kennen, die Sie als wirksame pflanzliche Arzneimittel anwenden können. Sie erfahren, welche Pflanzenteile therapeutisch eingesetzt werden, welche wichtigen Inhaltsstoffe die Heilpflanzen enthalten, warum die Heilpflanzen auf unsere Gesundheit wirken und wie sie richtig angewendet werden.

Teil V: Der Top-Ten-Teil

In dem abschließenden Teil von Gesünder leben mit Heilpflanzen für Dummies dreht sich alles um das Thema Krebserkrankungen. Vorgestellt werden hier zehn spannende Heilpflanzen, die Sie zur Reduktion von häufigen Beschwerden einsetzen können oder solche, die aktuell in der Laienpresse und unter Wissenschaftlern diskutiert werden.

Symbole, die in diesem Buch verwendet werden

Die kleinen runden Symbole in der … für Dummies-Reihe sind nützliche Hilfsmittel, damit Sie sich leichter orientieren und besonders spannende oder wichtige Informationen schnell erfassen können.

Wie es weitergeht

Jedes Kapitel in Gesünder leben mit Heilpflanzen für Dummies ist wie in allen … für Dummies-Büchern in sich geschlossen. Das hat den Vorteil, dass Sie nicht mit dem ersten Kapitel beginnen müssen, um das letzte Kapitel zu verstehen. Sie können aber auch anhand des Inhaltsverzeichnisses oder der Stichwortliste direkt auf Entdeckungstour zu den Pflanzeninhaltsstoffen und deren Anwendung gehen. Wenn Sie schon immer wissen wollten, ob Tibeter oder Aborigines dieselben Heilpflanzen einsetzen wie wir hier im europäischen Raum, bietet Kapitel 6 Ihnen einen interessanten Einstieg in das Thema.

In den Teilen IV und V dreht sich alles um die wichtigsten, für Ihre Gesundheit relevanten Heilpflanzen. Sie können hier an jeder beliebigen Stelle einsteigen, um Ihre speziellen Fragen oder Hilfe für Ihre Beschwerden nachzuschlagen.

… und noch mehr

Auf der Website www.fuer-dummies.de finden Sie unter dem Stichwort »Zusatzmaterial« zwei weitere Kapitel: Zum einen das Kapitel »Steigerung der Abwehrkräfte und der Leistungsfähigkeit«, das nahtlos mit einem weiteren Themenbereich an die Pflanzenporträts und -anwendungen in Teil IV anschließt. Zum anderen finden Sie dort das Kapitel »Das sagen Experten zu den Anwendungsgebieten«, in dem Sie sich umfassend zum aktuellen Stand der offiziell anerkannten Anwendungsbereiche von Heilpflanzen informieren können.

Teil I

Pflanzen und Pflanzenbedürfnisse verstehen

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Kapitel 1

Sich ein Bild von Heilpflanzen machen

IN DIESEM KAPITEL

Pflanzen bilden genauso wie Menschen Familienbande. Während manche Menschen viele Gemeinsamkeiten mit ihren Familienmitgliedern haben, tanzen andere Menschen eher aus der (Familien-)Reihe. Das ist bei Pflanzen nicht anders. Die meisten Mitglieder der Lippenblütlerfamilie erkennen Sie zum Beispiel schon mit ganz wenigen botanischen Grundlagenkenntnissen anhand ihrer Blütenform. Aber würden Sie darauf kommen, dass ein europäisches Johanniskraut mit dem Harongabaum, der ausschließlich auf Madagaskar vorkommt, verwandt ist und zur selben Familie gehört? Um Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Pflanzen zu finden, braucht man schon etwas mehr botanische Kenntnisse. Aber spätestens eine Untersuchung im Reagenzglas entlarvt ihre Familienbande. Sie enthalten nämlich beide den Inhaltsstoff Hypericin, der entspannungsfördernd wirkt.

Die Familienzugehörigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Welt der Pflanzen. Allerdings hat dieser rote Faden ganz viele Abzweigungen, die Sie zu einer Heilpflanze oder einer Tischdekoblume leiten können. Dazu ein Beispiel: Die Echte Goldrute gehört zu der großen Familie der Korbblütengewächse. Während im deutschen Sprachgebrauch meist nur von der Goldrute gesprochen wird, reden Pflanzenkundler von der Gattung Solidago. Spätestens an dieser Stelle werden Sie sich fragen, wozu das alles wichtig ist.

Goldrute ist eben nicht gleich Goldrute. Es gibt etwa 100 verschiedene Arten innerhalb der Gattung Solidago, von denen vier auch bei uns heimisch sind. Entscheidend dafür, ob es sich um eine Heilpflanze handelt oder nicht, ist die jeweilige Art der Goldrute! Während die Gattung Solidago sozusagen der Vorname der Goldrute ist, ist die Pflanzenart der Nachname; dieser wird in der Botanik immer mit kleinem Anfangsbuchstaben geschrieben. Im Falle derjenigen Goldrute, die eine Heilpflanze ist, lautet der Artname »virgaurea« (Echte Goldrute). Die anderen Goldrutenarten sind keine anerkannten Heilpflanzen und haben auch andere Nachnamen, wie zum Beispiel Solidago gigantea, die Riesengoldrute. Nur wenn Sie den richtigen botanischen Vor- und Nachnamen einer Pflanze kennen, können Sie mithilfe dieses Buches oder mithilfe von Datenbanken wie die der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sicher herausbekommen, ob es sich um eine medizinisch anerkannte Heilpflanze handelt, ob die Pflanze in der Volksheilkunde eingesetzt wird oder ob die Pflanze nicht für medizinische Zwecke verwendet werden kann.

Was Heilpflanzen sind

Egal ob Sie in einer Großstadt oder auf dem Lande wohnen, spätestens nach dem Verlassen Ihres Wohnraums werden Sie in einem Umkreis von 100 Metern auf eine Heilpflanze stoßen. Ein tolles Beispiel dafür ist das Hirtentäschel (siehe Abbildung 1.1). Die zarte Pflanze erinnert an ein Mauerblümchen, und in der Tat wächst es zwischen Steinplatten auf Gehwegen, an Wegrändern oder auf Mauern. Diese Anspruchslosigkeit könnte irrtümlich zu der Annahme verleiten, dass das Hirtentäschel wertloses Unkraut ist.

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Abbildung 1.1: Hirtentäschel – Capsella bursa-pastoris

Tatsächlich aber gehört das Hirtentäschel zu den Pflanzen mit blutstillenden Eigenschaften. Zerreiben Sie die oberirdischen Bestandteile mit den Fingern, also Stängel, Blätter und Blüten, stoppen die Inhaltsstoffe zum Beispiel leichtes Nasenbluten innerhalb weniger Minuten, wenn Sie das Ganze in die Nase stecken. Wozu Sie das Hirtentäschel sonst noch einsetzen können, erfahren Sie in Kapitel 14.

Heilsame Pflanzenteile – Wurzel, Blatt, Blüte und Co

Viel spannender als sich den bloßen Aufbau von Pflanzen aus Stängel, Blättern, Blüten und Früchten anzusehen, ist im Zusammenhang mit Heilpflanzen die Frage, zu welchem Zweck eine Pflanze Inhaltsstoffe in ihren Organen bildet und wie Menschen davon profitieren können. Eine Übersicht dazu finden Sie in Tabelle 1.1.

Pflanzenorgan

Häufige Inhaltsstoffe

Vorteile für die Pflanze

Nutzen für den Menschen

Blüte

Öle

ätherische Öle

Fraßschutz, Lockmittel

gegen Keime, durchblutungsfördernd, manchmal beruhigend

Schleimstoffe

Stoffwechsel

Schutz vor Reizungen

Flavonoide

Infektionsschutz, Lockmittel

entzündungshemmend, krampflösend, antioxidativ

Saponine

Schutz der Energievorräte

hustenschleimlösend

Glykoside

Fraßschutz

herzwirksam

Alkaloide

Fraßschutz

Nervensystem beeinflussend

Bitterstoffe

Fraßschutz

appetit- und verdauungsfördernd

Scharfstoffe

Fraß- und Verletzungsschutz

gegen Bakterien, verdauungs- und schmerzfördernd

Früchte und Samen

ätherische Öle

Lockstoff

gegen Keime, durchblutungsfördernd, manchmal beruhigend

fette Öle

Stoffwechsel, Reserve für schlechte Zeiten

Nahrungsmittel und vieles mehr

Scharfstoffe

Fraß- und Verletzungsschutz

gegen Bakterien, verdauungs- und schmerzfördernd

Blätter

Gerbstoffe

Fraß- und Verfaulungsschutz

zusammenziehend, antientzündlich

Flavonoide

Infektionsschutz, Lockmittel

entzündungshemmend, krampflösend, antioxidativ

Stängel, Holz und Rinde

ätherische Öle

Lockstoff

gegen Keime, durchblutungsfördernd, manchmal beruhigend

Flavonoide

Infektionsschutz, Lockmittel

entzündungshemmend, krampflösend, antioxidativ

Gerbstoffe

Fraß- und Verfaulungsschutz

zusammenziehend, antientzündlich

Harz

Wundheilung

oft antientzündlich, gewebereizend

Wurzel

Bitterstoffe

Fraßschutz

appetit- und verdauungsfördernd

Flavonoide

Infektionsschutz, Lockmittel

entzündungshemmend, krampflösend, antioxidativ

Scharfstoffe

Fraß- und Verletzungsschutz

gegen Bakterien, verdauungs- und schmerzfördernd

Tabelle 1.1: Pflanzenorgane, deren häufige Inhaltsstoffe und Vorteile für Pflanze und Mensch – vereinfachte Darstellung

Verbindungen zwischen Lebensmitteln und Heilpflanzen

Immer mal wieder geistern News wie »Aus der Forschung: Ananas hilft effektiv bei Wassereinlagerungen in Armen und Beinen« durch die Medien. Es ist zwar richtig, dass die Ananasfrucht den Inhaltsstoff Bromelain enthält, ein wirksames Mittel bei Wassereinlagerungen und Schwellungen. Sollten Sie bei geschwollenen Beinen also täglich oder nur gelegentlich Ananas essen? Genau diese Frage ist der Knackpunkt. Um eine pharmakologische Wirkung gegen Schwellungen erzielen zu können, müssten Sie täglich 30 Kilogramm (!) Ananas konsumieren. Fast alle natürlichen Substanzen können irgendwelche »aufsehenerregenden« Wirkungen auf den Körper entfalten, aber es kommt auf die Qualität der Substanz und die Menge an. Wenn Sie eine Heilpflanze einsetzen möchten, sollten Sie sich erst einmal ein paar Fragen stellen (keine Sorge, die meiste Arbeit nimmt Ihnen dieses Buch bereits ab):

  • Welchen Zweck soll der Einsatz der Pflanze erfüllen? Geht es Ihnen um eine vorbeugende Wirkung, um die Behandlung von Beschwerden oder um eine Geschmacksverbesserung?
  • Welcher Pflanzenteil dient dieser Zweckerfüllung? Fenchelfrüchte können als Gewürz oder als pflanzliches Arzneimittel eingesetzt werden, wohingegen die Fenchelknolle ausschließlich als Gemüse verzehrt wird.
  • In welcher Menge und wie lange muss ein Pflanzenteil eingesetzt werden, um den Zweck zu erfüllen? Um mit Goldrutenkraut die Harnblase zu stärken, brauchen Sie eine andere Menge als dies bei Kürbiskernen der Fall ist. Die meisten Heilpflanzen entfalten ihre volle Wirkung außerdem erst bei regelmäßiger Anwendung über mehrere Tage, Wochen oder sogar Monate!
  • Enthält die Heilpflanze giftige oder gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe? Beinwell ist als Creme oder Paste hervorragend bei Prellungen geeignet. Durch seine leberschädigenden Pyrrolizidinalkaloide sollte die Pflanze innerlich jedoch besser nicht angewendet werden.
  • Sollte der medizinisch verwendete Pflanzenteil innerlich oder äußerlich angewendet werden? Als Tee zubereitet können getrocknete oder frische Pfefferminzblätter bei Bauchweh helfen. Tragen Sie das ätherische Pfefferminzöl auf Ihrer Stirn auf, kann es Spannungskopfschmerzen bremsen.
  • Sollte die Heilpflanze frisch oder getrocknet eingesetzt werden? Die meisten Heilpflanzen können sowohl frisch als auch getrocknet verwendet werden. Allerdings gehen bei den Verarbeitungsprozessen oftmals Inhaltsstoffe verloren.
  • Welche Zubereitungen aus der Heilpflanze sind am besten geeignet? Salbeiblätter können bei Halsschmerzen prima als Tee zubereitet werden. Bei wunden Stellen im Mund ist eine Tinktur aus Rathaniawurzel gut geeignet, und bei wunder, entzündeter Haut kann ein Bad mit Hamamelisrindenextrakten die Wundheilung verbessern.
  • Für wen ist eine Heilpflanze oder eine Heilpflanzenzubereitung geeignet? Getrocknete Heidelbeerfrüchte können bei Kindern gegen leichten Durchfall helfen. Leistungssteigernde Heilpflanzen wie Taigawurzel sollten hingen lediglich von Erwachsenen verwendet werden.
  • Welche Qualitätsanforderungen sind notwendig? Ein Kamillenblütentee aus dem Supermarkt erfüllt niedrigere Qualitätsanforderungen als Kamillenblüten, die Arzneibuchqualität erfüllen. Im Arzneibuch sind genaue Anforderungen zum Beispiel an den Gehalt wirksamer Inhaltsstoffe, Pestizidbelastung und Schwermetalle festgelegt.

Heilpflanzen und Menschen

GewürznelkenSyzygium aromaticum

Heilpflanzen und naturheilkundliche Verfahren waren über viele Jahrhunderte hinweg die einzige Möglichkeit zur Behandlung von Krankheiten aller Art. Die wissenschaftsbasierte Schulmedizin mit ihren vielen Errungenschaften gibt es erst seit wenigen Jahrzehnten. Davor haben die Menschen bei Krankheiten zu allen Zeiten hauptsächlich auf die Naturheilkunde setzen müssen. Das ging nicht immer gut und auch nicht alle Beobachtungen und Erfahrungen wurden richtig gedeutet, aber das kam und kommt in der Schulmedizin auch vor. Zudem wird das Heilpflanzenwissen nach wissenschaftlichen Maßstäben standardmäßig geprüft, um zu hinterfragen, ob der therapeutische Einsatz von Pflanzenteilen auch schulmedizinischen Ansprüchen standhält. In diesem Fall wird von rationaler Phytotherapie gesprochen.

Die Anwendung von Heilpflanzen entspricht der evidenzbasierten Medizin (EbM), wenn sie auf der Grundlage von klinischen Studien und entsprechenden medizinischen Veröffentlichungen gesichert ist. In Gesünder leben mit Heilpflanzen für Dummies werden viele Heilpflanzen vorgestellt, die den Anforderungen an eine rationale Phytotherapie standhalten. Zum Teil werden aber auch Heilpflanzen betrachtet, deren Anwendung sich aus der Volks- oder Erfahrungsheilkunde ableitet oder deren Wirkweise (noch) nicht in klinischen Studien am Menschen, sondern bislang nur in Labor- oder Tierexperimenten nachgewiesen werden konnte.Außerdem ist es mir ein Anliegen, dass Sie eine Heilpflanze niemals während der Schwangerschaft, Stillzeit oder bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter unter 18 Jahre ohne ärztlichen Rat beziehungsweise nach Rücksprache mit einem Arzt einsetzen. Heilpflanzen sind Arzneimittel, deren Wirkungen nur sehr selten in der Schwangerschaft und Stillzeit erprobt sind. Ihre Inhaltsstoffe können sogar gesundheitsschädlich für die Kleinsten unter uns sein.