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Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 2. Auflage

Vorwort

1. Von der Kochkunst zur Lebensmittelchemie

1.1 Die Küche – ein chemisches Laboratorium

1.2 Die Schlossküche von Sanssouci

1.3 Feinschmecker über die Kochkunst

1.4 Chemiker, Physiker und Apotheker über das Kochen, Braten und Backen

1.5 Entwicklungen bis zur Lebensmittelchemie heute

2. Sieben Parameter für Versuche in der Küche

2.1 pH-Werte

2.2 Mineralstoffe

2.3 Eiweißstoffe (Proteine)

2.4 Stärkeprodukte

2.5 Reduzierende Stoffe

2.6 Phenolische Stoffe

2.7 Gerbstoffe (Polyphenole)

3. Garungsarten und -verfahren im Überblick

3.1 Definitionen und Systematik

3.2 Garverfahren und Lebensmittelgruppen

4 Garen in Wasser

4.1 Kochen

4.2 Blanchieren

4.3 Dünsten

4.4 Dämpfen

4.5 Garziehen lassen: Pochieren

4.6 Garen in der Mikrowelle

5 Garen in Fett

5.1 Braten

5.2 Anschwitzen

5.3 Schmoren

5.4 Frittieren

6 Garen in trockener Hitze

6.1 Backen

6.2 Grillen

6.3 Rösten

6.4 Toasten

7 Garen ohne Hitze

7.1 Salzgaren

7.2 Essiggaren

8 Suppenchemie – Fertigsuppen und ihre Inhaltsstoffe

8.1 Aus der Historie

8.2 Fertigsuppen-Technologie heute

8.3 Inhaltsstoffe von Fertigsuppen

9. Molekularküche

9.1 Die Väter der Molekularküche

9.2 Die Verfahren der Molekularküche

9.3 Rezeptbeispiele

Literatur

Register

Chemie macht Spaß!

Schwedt, G.

Chemische Experimente in Schlössern, Klöstern und Museen

Aus Hexenküche und Zauberlabor

2., vollständig überarbeitete Auflage

260 Seiten, 88 Abbildungen

2009

ISBN: 978-3-527-32718-8

Kreißl, F. R., Krätz, O.

Feuer und Flamme, Schall und Rauch

Schauexperimente und Chemiehistorisches

294 Seiten mit 14 Abbildungen

2008

ISBN: 978-3-527-32276-3

Schwedt, G.

Betörende Düfte, sinnliche Aromen

Reihe: Erlebnis Wissenschaft

219 Seiten, 49 Abbildungen

2008

ISBN: 978-3-527-32045-5

Schwedt, G.

Chemie für alle Jahreszeiten

Einfache Experimente mit pflanzlichen

Naturstoffen

210 Seiten, 51 Abbildungen, 3 Tabellen

2007

ISBN: 978-3-527-31662-5

Schwedt, G.

Was ist wirklich drin?

Produkte aus dem Supermarkt

Reihe: Erlebnis Wissenschaft

231 Seiten, 58 Abbildungen

2006.

ISBN: 978-3-527-31437-9

Roesky, H. W.

Glanzlichter chemischer Experimentierkunst

236 Seiten mit ca. 35 Abbildungen

2006

Roesky, H. W., Möckel, K.

Chemische Kabinettstücke

Spektakuläre Experimente und geistreiche

Zitate.

1. korrigierter Nachdruck

331 Seiten mit 65 Abbildungen

1996

ISBN: 978-3-527-29426-8

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Autor

Prof. Dr. Georg Schwedt

Lärchenstr. 21

53117 Bonn

Vorwort zur 2. Auflage

Der Katalane Ferran Adrià wurde sowohl von der New York Times als auch vom Le Monde zum besten Koch der Welt gekürt. Er experimentiert mit neuen Zutaten, Aromen und Texturen, kreiert Melonen-Kaviar, Blutwurst-Puffreis und vieles mehr. Sein Restaurant „El Bulli“ an der Costa Brava ist nur sechs Monate im Jahr geöffnet. Die übrige Zeit experimentiert er in seinem Küchenlabor. Er zählt somit zu den Köchen der sogenannten molekularen Küche.

Bereits 1821 verfasste der in England lebende deutsche Chemiker Friedrich Accum ein Buch mit dem Titel „Culinary Chemistry“, in dem er die Küche als ein chemisches Laboratorium bezeichnete.

Um neue Kreationen hervorbringen zu können, sind intensive Kenntnisse der physikalisch-chemischen Vorgänge beim Kochen, Braten und Backen erforderlich. Diese werden durch die Experimente dieses Buches vermittelt.

Neu sind in der zweiten Auflage die Kapitel Molekularküche und Suppenchemie.

Im Kapitel Molekularküche sind auch einige ausgewählte Rezepte enthalten.

Das Kapitel Suppenchemie umfasst insgesamt neun Experimente zur Tüten-(Fertig-) Suppe, einen Überblick zur Geschichte der Fertigsuppen und einen Einblick in die moderne Technologie. Ich danke Herrn Dr. Martin Spraul und seinen Kollegen, Firma Knorr, Heilbronn im Unilever Konzern für die Unterstützung durch Hinweise und Literatur für dieses Kapitel. Die anregende Zusammenarbeit gab unter anderem den Impuls für vier Projektarbeiten von Schülern des Berufskollegs für Chemie, Pharmazie und Umwelt, Institut Dr. Flad in Stuttgart: „Lebensmittelzubereitung am Beispiel der Tomate – Einfluss auf die Bioverfügbarkeit“, „Vergleiche gebräuchlicher Bratvorgänge“ bzw. „Vergleiche gebräuchlicher Kochvorgänge“ (hinsichtlich des Vitaminerhalts) und „Blanchieren – Zweck und biochemische Vorgänge“ – Themen, die auch in diesem Buch an den verschiedensten Stellen behandelt werden.

Im Dezember 2009

Georg Schwedt

Vorwort

In den letzten Jahren sind mehrere Bücher über die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Kochkunst erschienen (siehe Abschnitt 1.4), die sich vor allem an bekannten Rezepten orientieren. Das Interesse an der Chemie des Kochens lässt sich jedoch über mehrere Jahrhunderte zurückverfolgen. Als bekannte Chemiker des 19. Jahrhunderts, die sich mit speziellen Fragen der Lebensmittelzubereitung beschäftigten, sind vor allem Liebig und Runge zu nennen. Aber auch Feinschmecker und natürlich Köche haben sich für spezielle naturwissenschaftliche Aspekte der Kochkunst (auch als einen Teil vom Geist der Kochkunst) interessiert.

Im Unterschied zu den genannten Vorläufern sollen in diesem Buch die grundlegenden chemischen Veränderungen bei der Zubereitung von Nahrungsmitteln im Rahmen einer Systematik der Garprozesse – und nicht anhand von Rezepten – in einfach durchführbaren Versuchen vorgestellt, d.h. sichtbar gemacht und erläutert werden. Es werden dafür nur sehr geringe Mengen an Lebensmitteln benötigt, Reste können stets weiterverwendet werden.

Das Leitmotiv des Buches stammt aus einem der in Kapitel 1 vorgestellten historischen Werke: Die Küche ist ein chemisches Laboratorium. Es folgt der Forderung des Autors Gustav Abel, dass Köche auch chemisch denken sollten.

Die wenigen Reagenzien und Materialien, welche für die beschriebenen Versuche notwendig sind, werden im Kapitel 2 vorgestellt. Mit Hilfe der damit bestimmbaren »sieben Parameter« lassen sich bereits wesentliche Veränderungen von Lebensmitteln bei den unterschiedlichen Garungsvorgängen erkennen.

Da es sich bei allen Versuchen um sichtbare Veränderungen (oft der Farbe) handelt, werden neben den Beschreibungen im Text auch Absorptionsspektren im sichtbaren und ultravioletten Bereich (UV/VIS) von Lösungen abgebildet. Sie sollen vor allem »illustrieren« und nicht vordergründig wissenschaftliche »Beweise« liefern. Ebenfalls zur Illustration des Buches wurden die in der historischen Literatur zahlreich vorhandenen Abbildungen von Küchen und Küchenszenen, vor allem aus dem Mittelalter, verwendet. Sie wurden bis auf spezielle Darstellungen, die der betreffenden Textstelle direkt zugeordnet sind, in chronologischer Reihenfolge über das gesamte Buch verteilt.

Auf eine vertiefte lebensmittelchemische Erläuterung wurde mit Hinweis auf die vorhandene Fachliteratur (z. B. G. Schwedt: »Taschenatlas der Lebensmittelchemie«, 1. Aufl. 1999, Wiley-VCH, Weinheim) weit gehend verzichtet, da sich das Buch nicht in erster Linie an Fachwissenschaftler wendet.

Im September 2004

Georg Schwedt

1

Von der Kochkunst zur Lebensmittelchemie

1.1 Die Küche – ein chemisches Laboratorium

1905 erschien im renommierten Leipziger Verlag von Benedictus Gotthelf Teubner (1784–1856) in einer »Sammlung wissenschaftlich-allgemeinverständlicher Darstellungen« mit dem Obertitel »Aus Natur und Geisteswelt« als 76. Bändchen eine »Chemie in Küche und Haus« von Prof. Gustav Abel. Darin ist ein eigenständiges Kapitel dem Thema Küche gewidmet. Dort wird die Köchin mit dem Chemiker und die Küche mit einem chemischen Laboratorium verglichen und die Forderung aufgestellt, Köche müssten »chemisch zu denken« lernen:

In der Küche bereiten wir meist mit Hilfe des Wassers und des Feuers aus Stoffen des Tier- und Pflanzenreiches unsere Nahrung zu. Diese Körper erleiden dadurch gewisse chemische Veränderungen, die uns die Nahrung wohlschmeckender und bekömmlicher machen. Die Hausfrau greift also in der Küche, wie der Chemiker im Laboratorium, in die Natur der Stoffe ein. Und wie dieser zielbewußt nach bestimmten, bekannten Naturgesetzen arbeitet, die ihm das Gelingen seines Werkes sichern, so sollte auch die Hausfrau darauf bedacht sein, die Naturgesetze kennen zu lernen, mit deren Hilfe sie imstande ist, den Verlauf der in ihrem Laboratorium, der Küche, veranlaßten chemischen Prozesse ebenfalls ihrem Willen unterzuordnen, so daß mit möglichst wenig Aufwand an Zeit und Geld die beabsichtigte chemische Wirkung auch eintritt, die Speise »gerät«. Viele Köchinnen arbeiten meist mechanisch nach etlichen eingelernten Rezepten an der Hand von veralteten Gebräuchen, die im Widerspruch mit den chemischen Lehren stehen. Auch fehlt ihnen nicht selten das Verständnis für richtiges Einhalten der Maße und Gewichte; man darf sich daher nicht wundern, wenn das Werk ihrer Hände trotz großen Aufwands an Zeit und Material nicht immer gelingt. Die großen Ansprüche, die das Leben heutzutage an die Führung des Haushalts stellt und das stete Steigen der Lebensmittelpreise machen es den Hausfrauen zur Pf licht, sich beizeiten so viele chemische Kenntnisse zu erwerben, daß sie imstande sind, ihres Amtes in der Küche nach chemischen Grundsätzen zu walten oder »chemisch zu denken«. Wird das unterlassen, so werden unangenehme Überraschungen sowohl in pekuniärer Hinsicht, als auch in bezug auf »Wohl«geschmack der bereiteten Speisen nicht erspart bleiben. Man hört und liest gegenwärtig so viel über »Frauenberuf« und immer wieder tauchen neue Vorschläge zur Berufswahl der Frau auf. Als einen der wichtigsten habe ich immer den der Bereitung der Speisen angesehen. Er sollte auch von den gebildeten Damen viel mehr gewürdigt werden und geschähe dies mit Hilfe der erforderlichen chemischen Kenntnisse, so würde der höchste Erfolg, die Anerkennung des Gatten, sicher nicht ausbleiben; denn »alle Männer« sind äußerst realistisch veranlagt, wie ein bekanntes Sprichwort andeutet. Die Vorsteherin der Küche, sei es die Hausfrau oder ihre Vertreterin, soll aber nicht nur wissen, wie man kocht und welche chemische Prozesse dabei vor sich gehen, sondern sie soll auch mit der Technik des Kochens und den nötigen Handgriffen vertraut sein, so daß sie, wenn die bezahlte Köchin sie im Stiche ließe, jederzeit in der Lage wäre, erfolgreich einzugreifen, und andererseits stets selbständige Kontrolle zu führen vermag.

Abb. 1 Holzschnitt »Köche« – mit speziellen Aufgaben; aus: Giovanni Roselli, Epulavio, italienisches Kochbuch von 1516.

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In der lesenswerten »Kulturgeschichte des Essens und Trinkens« des bekannten Journalisten Gert v. Paczensky und der weit gereisten Reporterin und Autorin von Fernsehfilmen Anna Dünnebier spielt die Geschichte der Küche verstreut in mehreren Kapiteln eine Rolle (z. B. »Feuer und die Folgen«, »Frühe Üppigkeit«, »Patriarchat an Tisch und Herd – Familienköchin und Berufskoch«, »Technik – Küche und Herd«).

Eine kurz gefasste Geschichte der Küche ist auch im Büchlein von G. Abel enthalten:

Die Geschichte der Küche gehört zur Kulturgeschichte des Menschen. Zuerst wurden die Früchte des Feldes und das Fleisch der erlegten Tiere im rohen Zustand genossen, wie dies heute noch bei wilden Volksstämmen geschieht. Nach dem Bekanntwerden des Feuers begann die Zubereitung der Speisen wohl zunächst mit demSchmoren und Braten [Hervorhebung durch den Autor G.S.]an dem zum Bratspieß zugerichteten Ast eines Baumes. Damit war der Anfang der Kochkunst gemacht. Oder man bereitete das Fleisch durch Einlegen glühender Steine in den Leib des getöteten Tieres. Mancherorts wurde die Aushöhlung eines Felsens oder eine kleine Vertiefung in der Erde mit Wasser gefüllt, dieses so lange durch glühende Steine erhitzt, bis das zu verzehrende Fleisch oder die Pflanze genießbar erschien. Die beiden Bratund Kochmethoden hat man noch in späteren bei rohen Volksstämmen beobachtet. Zufall und Erfahrung verbesserten jene Urzustände der Küche. Auf welche Weise die älteste Art von Kochgeschirr, der »irdene Topf«, sich eingeführt hat, wissen wir nicht. Es ist wahrscheinlich, daß eine stark benutzte Kochgrube in Lehmboden, deren Wände durch das Feuer ausgetrocknet und hart geworden waren, durch Schwinden locker wurden und sich in Gestalt eines rohen Gefäßes ausheben ließen. Dadurch war das historische Vorbild zum Kochtopf gegeben und es gehörte nur noch ein erfinderischer Kopf dazu, um Lehm mit Wasser zu befeuchten, aus der erhaltenen teigigen Masse ein Gefäß zu formen, dieses zu trocknen und zu brennen.

Die Hebräer kannten den irdenen Kochtopf schon zu Moses Zeiten.[In der Bibel (3. Mose 6, Vers 21) heißt es zum Fleischopfer: »Und den irdenen Topf, darin es gekocht ist, soll man zerbrechen.« Und weiter: »Ist’s aber ein kupferner Topf, so soll man ihn scheuern und mit Wasser spülen.« Anmerkung des Autors G. S.] Es blieb aber nicht beim Kochen allein; man wollte auch dem Gaumen Rechnung tragen. Die Völker, die sich mit dem Kochen befaßten, fingen an, ihre Speisen und Getränke zu würzen. Dazu dienten Pflanzen mit gewissem Aroma, mit süß, bitter, oder sauer schmeckenden Bestandteilen. Auch das als unentbehrlich erkannte Kochsalz wurde schon frühzeitig den Nahrungsmitteln im Kochgefäß zugesetzt. (…)

Ein verschiedenes Klima und der örtliche Charakter der Natur weisen seine Bewohner mehr auf animalische oder pflanzliche Kost hin. Die Küche mußte daher bei den Fleischessern eine andere Ausbildung erfahren, als bei den Pflanzenessern. Jene, zumeist Jäger- und Hirtenvölker, bereiteten ihre Lämmer und Rinder zu; diese, Ackerbauern und kunstsinnige Völker, hielten sich an Reis und Hülsenfrüchte, die verschiedenen Mehle, Zwiebeln, Obst und nur ausnahmsweise an Fische oder Kamelfleisch.Die Kulturküche stammt aus Asien ,dem Land des Wohllebens und der Üppigkeit, wo mehr dem verfeinerten, anreizungsbedürftigen Geschmack, als einer rationellen Zubereitung des Speisen Rechnung getragen wurde.

Diese Sitte ahmten die früher spartanisch gewöhnten alten Griechen nach; von diesen lernten es die Römer, sie überboten aber ihre Lehrmeister im Luxus und schweiften so sehr von der wahren Bedeutung der Küche ab, daß nicht einmal mehr der Wohlgeschmack den Wert der Speisen bedingte, sondern nur der hohe Preis, das seltene Produkt, die kostspieligste Art der Zubereitung, das glänzendste Arrangement maßgebend waren. (…)

Einen scharfen Gegensatz bildeten die alten Deutschen; sie waren ein einfaches Volk geblieben. Mit Verachtung berichtet der römische Schriftsteller Tacitus über sie, daß saure Milch, holzige Äpfel und Brei aus Hafermehl fast ihre einzige Nahrung gewesen sein sollen. Dagegen erfährt man aus anderen Quellen, daß sie auch Fleisch von Fischen, Ochsen, Bären, Schweinen und Geflügel, verschiedene Mehlspeisen, sowie Gemüse genossen haben, Salz und Kümmel als Würze benutzten und auch schon Malztrank, eine Art Bier, kannten. Aus den ältesten Zeiten des Germanentums hat sich die Verwendung des Schweinefleisches in der deutschen Küche erhalten. Durch die Römer, die später Deutschland durchzogen und an vielen Orten feste Garnisonen errichteten, wurden die Deutschen mit der römischen Luxusküche bekannt. Gemüse, Salate, Fleischspeisen, Backwaren, Eierspeisen und der Wein bürgerten sich allmählich ein. (…) Vom Jahr 800 an bis zur Periode der Kreuzzüge befolgte man mehr den derben Charakter der einheimischen Küche. Karl der Große hatte die Veredlung des Feldbaues angeregt, man aß die Früchte des Feldes, genoß das Fleisch der erjagten Beute. (…) Auch die Kreuzzüge, deren Teilnehmer in den Jahren 1096–1291 mit den Sitten und dem Wissen anderer Nationen und den Naturprodukten fremder Länder bekannt wurden, blieben für die deutsche Küche nicht ohne Einfluß. (…) Während des ganzen Mittelalters bestand aber sein [des deutschen Ritters und Pilgers; G.S.] Luxus in der Bereitung von Massengerichten, bei denen Wild, Haustiere, Geflügel, Fische und Krebse, insbesondere der Wein eine hervorragende Rolle spielten. Es ist bekannt, daß um jene Zeit die Regenten durch besondere Gesetze den Verbrauch der verschwenderischen, bürgerlichen Küche regeln mußten. Darnach waren den Wohlhabenden täglich zwei Arten Fleisch und zwei Gerichte, dem gewöhnlichen Bürger in der Woche nur ein Fleischgericht gestattet. Der weniger Bemittelte lebte in der Regel von Brot, Milch, Butter, Gemüsen und geräuchertem oder gesalzenem Schweinefleisch; dieses gehörte durch die Sitte des Hausschlachtens zu den gewöhnlichen Vorräten in der bürgerlichen Küche. In dieser Weise wurde es in Deutschland und England gehalten. In Italien förderten Reichtum, der Handelsverkehr mit dem Orient und die Nachahmung des asiatischen Luxus die Hebung der Kochkunst. Durch Familienverbindungen wurde der verfeinerte Geschmackssinn auch nach Frankreich übertragen, wo die Luxusküche eine weitere Ausgestaltung und Verbreitung fand. Erst von dort aus hielten Verfeinerung und Üppigkeit ihren Einzug in der deutschen Küche. (…)

Die Kulturperiode der neueren Zeit hat auch neue Anforderungen an die Kultur der Küche gestellt, denn der Geschmackssinn ist, wie jeder andere Sinn, ebenso berechtigt, sich für künstliche Genüsse auszubilden.

Gleichzeitig mit der Entwicklung der Chemie hat sich die Kochkunst zur Kochwissenschaft erhoben.

(Hervorhebungen von G.S.)

1.2 Die Schlossküche von Sanssouci

Eine königliche Küche aus der Mitte des 19. Jahrhunderts kann am authentischen Ort im Schloss Sanssouci in Potsdam besichtigt werden. Zur Zeit von Friedrich dem Großen (1712–1786) befand sich die Küche im westlichen Teil des Gebäudes, in unmittelbarer Nähe zu den Schlossräumen. Mit der Thronbesteigung von Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) im Jahre 1840, eines großen Verehrers seines Vorfahren Friedrich, wurde Sanssouci mit größerer Hofhaltung zur Sommerresidenz des Königs von Preußen. Aus Pietätsgründen wollte dieser jedoch nicht die ehemaligen Königsräume bewohnen. So entstanden Wohn-, Hofdamen- und Gästezimmer im westlichen Schlossbereich; aus dem ehemaligen Küchenflügel wurde der so genannte Hofdamenflügel.

Abb. 2 »Die magere Küche« nach einem Kupferstich von Pieter Brueghel d. Ä., 1563.

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Abb. 3 Castrolherd mit drei Feuerstellen in der Küche von Schloss Sanssouci in Potsdam.

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In den beiden ersten Regierungsjahren des Königs Friedrich Wilhelm IV. wurden Anbauten an beiden Seitengebäuden des Schlosses errichtet. Im östlichen Seitenflügel befindet sich seit dieser Zeit die königliche Hofküche des Schlosses Sanssouci, die von 1842 bis zum Tod der Königin Elisabeth 1873 genutzt wurde und heute besichtigt werden kann.

Die Räumlichkeit des 115 m2 großen Küchenraumes mit seinen vier Fenstern zur Nordseite blieb fast unverändert erhalten und vermittelt so ein Bild der Küchentechnik aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zwischen dem zweiten und dem dritten Fenster befindet sich eine Pumpenanlage. Sie weist zwei steinerne, früher einmal mit Kupfer ausgeschlagene Ausgussbecken auf. Die Autorin der Broschüre »Die Schlossküche im Schloss Sanssouci« (1. Aufl. 1993), Bärbel Stranka, berichtet darüber, dass sich in den Kastellanakten bis 1848 Beschwerdeschreiben über die Unzulänglichkeiten dieser Anlage finden lassen, etwa dass das Wasser von einem Brunnen unterhalb des Schlosses nahe dem Kavaliershaus geholt werden musste. 1848 wurde deshalb auf Anweisung des Königs eine Brunnenwasserleitung gebaut. Holzbretter vor den Fenstern zeigen, dass hier das Küchenpersonal seine Arbeitsplätze hatte, die vor zu starker Bodenkälte geschützt werden sollten. Die Arbeitstische an dieser Stelle wurden durch Nachbildungen, den Originalen entsprechend aus Kiefernholz mit einer Rotbuchenplatte, ersetzt.

Das Prunkstück der königlichen Hofküche ist die an der Südseite stehende gusseiserne Kochmaschine. Ihre Beschläge sowie die Umlaufstange bestehen aus Messing. Sie enthält mehrere Brat- und Backröhren, eine Grillvorrichtung, einer Wasserblase (für einen Vorrat an heißem Wasser) und einen Wärmeschrank an der rechten Seite. Die Schmuckelemente bestehen aus Reliefs mit einer kranzschwingenden Friedensgöttin. Solche völlig geschlossenen Herde wurden erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts verwendet. Sie erbrachten wesentliche Einsparungen an Heizmaterial, weshalb sie auch als Sparherde bezeichnet wurden. Die Kochmaschine ist von allen Seiten zugänglich. So konnten die Küchenbediensteten viele Arbeitsgänge gleichzeitig ausführen. Der Rauch zog zunächst senkrecht in den Fußboden und von dort unterirdisch in den Schornstein an der Südfassade.

Abb. 4 Gusseiserne Kochmaschine aus dem 19. Jahrhundert in der Schlossküche Sanssouci.

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Bis in diese Zeit hatte man auch in Hofküchen noch mit offenem Feuer gekocht. Eine der ältesten erhaltenen Hofküchen aus dem frühen 15. Jahrhundert befindet sich im Schloss Neuenstein am Fuß der Waldenburger Berge im Hohenloher Land mit den Zwillingsflüssen Kocher und Jagst. Hier entstand um 1300 eine Burg; eine Ansiedlung folgte, für die der Edle Kraft III. (um 1328 bis 1371) von Kaiser Karl IV. das Recht einer Stadtgründung erhielt. Die Burg wurde zum ständigen Wohnsitz der Familie, die 1495 zur Zeit Kraft VI. von Hohenlohe (gest. 1503) in den Reichsgrafenstand erhoben wurde. Kaiser Karl I. (nicht Maximilian I., wie von Constantin Prinz zu Hohenlohe/Gerhard Taddey in »Schloß Neuenstein, Große Baudenkmäler« Heft 155, 2. Aufl., 1986 angegeben) soll hier nach dem »ereignisreichen« Reichstag von Worms (1521, Edikt gegen Luther) mit großem Gefolge bewirtet worden sein. Die zu besichtigende Küche mit eindrucksvollem Gewölbe sowie die ebenfalls mit gotischen Gewölben versehenen Räume im Erdgeschoss (Königsgewölbe und Kaisersaal) sind im 15. Jahrhundert entstanden. In dieser Rauch- oder schwarzen Küche wurden offene Feuer verwendet. Später wurden halb geschlossene Herde entwickelt, die man als Castrolherde (nach dem französischen Wort castrol, Topf) bezeichnet.

Ein solcher Castrolherd befindet sich auch in der Schlossküche von Sanssouci – rechts neben dem Schornstein (siehe auch Abbildung 3). Das Reinigen des Schornsteins, schreibt Bärbel Stranka, sei sehr wahrscheinlich von so genannten Essenkinder vorgenommen worden, was man aus den relativ großen Reinigungsklappen schließen könne. Für diese Arbeit seien Kinder missbraucht worden, die wegen ihren geringen Körpergröße und ihre Beweglichkeit gut geeignet waren, kriechend die Rauchabzüge zu erklimmen und zu reinigen. Der Castrolherd weist drei offene Feuerstellen auf. Daran anschließend ist ein großer Wärmeschrank zu sehen – mit gusseisernen Rosten und Türen –, der sich separat beheizen ließ. In ihm wurden Speisen warm gehalten und Teller vorgewärmt. Das Vorwärmen von Tellern sollte das Zerspringen der wertvollen Porzellane beim Auflegen heißer Speisen verhindern.

Zum Küchengeräte gehörten der Überlieferung zufolge unter anderem »78 Casserolles« und »8 Bouillon-Kessel mit Deckel«. Von diesen Gerätschaften ist heute nicht mehr viel vorhanden. An einem der westlichen Fenster jedoch steht ein marmorner Mörser aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, in dem neben Kräutern und Gewürzen auch Schalentiere und sogar Geflügel zerkleinert wurde.

Abb. 5 Küche aus dem 15. Jahrhundert im Schloss Neuenstein (Hohenlohe).

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Zum Küchenflügel des Schlosses Sanssouci gehören neben der so genannten Großen Küche eine Kaffeetier-Stube, die Backkammer, die Küchenmeisterstube und eine kleine Speisekammer. In der Kaffeetier-Stube (Kaffeetier: Küchenchef der kleineren Küche, der Kaffeeküche) wurden Frühstück und kalte Speisen für Zwischenmahlzeiten zubereitet. Der Kaffeetier hatte neben dieser kleinen Küche eine Schreibstube, in der er Aufträge erteilte oder Schreibarbeiten erledigte. Zur Reinigung des Porzellans und Tafelsilbers gab es zwei weitere Räume. Die Bediensteten der Silberkammer hatten nicht nur für die Reinigung des Silbergeräts, sondern auch für die so genannte plat de menage zu sorgen, die aus Provence-Öl, Essig, Pfeffer, Salz, Zitronen, Mostrich (Senf) und Zucker bestand. Das Personal wohnte in kleinen Zimmern im Obergeschoss. Im Kellergeschoss – der Küchenflügel wurde im Unterschied zum Wohnbereich unterkellert – befanden sich neben den Weinkellern weitere Räume als Arbeitsräume für die Kellerknechte und -diener, eine Lampenkammer, ein Eisbereitungslokal, die Konditorei, größere Vorratsräume und eine Scheuerkammer, in der das große Geschirr der Küche gereinigt wurde. Arbeitsgeräte aus Kupfer waren weit verbreitet, obwohl die gesundheitlichen Gefahren durch Grünspan seit Ende des 18. Jahrhunderts bekannt waren. Deshalb wurden Küchengeräte regelmäßig verzinnt.

1.3 Feinschmecker über die Kochkunst

Im Brockhaus-Lexikon von 1838 wird die Kochkunst wie folgt beschrieben:

Kochkunst heißt die Kunst der Zubereitung von Speisen und Getränken, welche bei allen gebildeten Völkern älterer und neuerer Zeit ausgebildet worden ist, und zwar um so höher, je mehr sich die Menschen von Dem, was die Natur ihnen zum Genuß darbietet, entfernten und je mehr sie beim Essen und Trinken nicht nur den Zweck der Sättigung verfolgten, sondern auch auf eine angenehme Weise den Geschmackssinn anregen und den Appetit befriedigen wollten. Ein Sprichwort sagt: »Hunger ist der beste Koch«, weil der Hungrige schon zufriedengestellt ist, wenn nur überhaupt auf irgend eine Weise das für ihn schmerzhafte Gefühl gehoben wird. Die Kochkunst aber will den Appetit nicht nur angenehm befriedigen, sie will ihn auch reizen. Sehr weit hatten es in der Kochkunst die in allen Lebensgenüssen ausschweifenden Römer gebracht, doch suchten sie in jener Kunst mehr noch ein Mittel, ihre alle Grenzen übersteigende Verschwendung an den Tag zu legen; denn wenn man z. B. Gerichte aus den Zungen der kostbarsten singenden und zum Sprechen abgerichteten Vögel bereitete, so konnte man hierbei nicht sowohl den Wohlgeschmack als die Kostbarkeit beabsichtigen. In neuerer Zeit haben sich besonders die franz. Köche durch die mannichfache Art ausgezeichnet, in welcher sie Speisen auf die verschiedensten, den Appetit reizenden Manieren zubereiten können; doch sind hinter ihnen die Köche anderer europ. Völker nicht zurückgeblieben. Obwol man in alten und neuen Zeiten Köche gehabt hat, so ist doch von jeher die Kochkunst als eine mehr dem weiblichen Geschlechte in ihrer Ausbildung zustehende und geziemende Kunst betrachtet worden. Sie ist übrigens eine Kunst, welche sich weniger auf theoretische Kenntnisse über die Natur der rohen Stoffe u.s.w. gründet, als eine solche, welche nur durch die Ausübung erlernt zu werden pflegt.

Nach der »Brockhaus-Enzyklopädie« aus dem Jahre 2001 umfasst die

Kochkunst neben der Wahl des geeigneten Garverfahrens zur schmack- und nahrhaften, leicht verdaul (ichen) Zubereitung auch die Zusammenstellung harmonisierender Lebensmittel, die Auswahl und Dosierung von Gewürzen sowie das appetitanregende Anrichten und die wirtschaftl (iche) Verarbeitung. Wichtiges Prinzip der Kochkunst ist neben dem Erzeugen und Erhalten von Wohlgeschmack das Bewahren der in den Lebensmitteln enthaltenen Nährstoffe, wobei die moderne Kochkunst durch (die) Ernährungsphysiologie eine stärkere wiss (enschaftliche) Grundlage erhalten hat.

Rumohrs »Geist der Kochkunst«

1822 erschien von dem Kunsthistoriker und Schriftsteller Karl Friedrich von Rumohr (1785–1843) ein Buch mit dem Titel »Geist der Kochkunst«, das heute als ein »Standardwerk der sinnenfreudigen Esskultur« bezeichnet wird. Rumohr definiert die Kochkunst wie folgt:

Die Kunst zu kochen entwickelt in den Naturstoffen, welche überhaupt zur Ernährung oder Labung der Menschen geeignet sind, durch Feuer, Wasser und Salz ihre nahrsame, erquickende und ergötzliche Eigenschaft. Auf die Kochkunst allein ist daher jener berühmte Ausspruch des Horaz anzuwenden, den man so oft von den höchst nutzlosen und ganz einseitig schönen Künsten der Poesie und Malerei hat verstehen wollen; nämlich dieser: »Vermische Nützlichkeit mit Anmut«.

Im ersten Teil (»Erstes Buch« genannt) beschäftigt sich Rumohr mit den Elementen der Kochkunst und den tierischen Nahrungsstoffen. Im fünften Kapitel des ersten Buches schreibt er »Vom Braten im allgemeinen«:

Der Braten im strengeren Sinne ist ein Stück Fleisch oder Fett von warmblütigen Tieren oder Fischen, welches unmittelbar durch die erhitzte Luft, die ein gegebenes Feuer umgibt, ganz gar bereitet worden. Um die Austrocknung der Oberfläche eines Bratens zu vermeiden, pflegt man ihn mit seinem eigenen abfließenden Saft und Fett oder mit dem zerlassenen Fett anderer Tiere, endlich sogar mit Butter oder Öl anzufeuchten.

Im neunten Kapitel schreibt Rumohr »Vom Sieden im allgemeinen«:

(…) Unter allen Umständen müssen wir zugeben, daß der Topf uralt ist; denn er kommt bereits in der Mosaischen Urgeschichte vor, als wo die Fleischtöpfe Ägyptens häufig erwähnt wird, welche beinahe sprichwörtlich geworden sind. Auch ist nur dem kleinsten Teile der wilden Nationen, welche die neueren Seefahrten kennenlernten, der Topf völlig unbekannt.

Durch die Erfindung des Topfes ward die Eßbarkeit unendlich vieler Naturprodukte herbeigeführt; andern ward eine neue Seite abgewonnen. Denn man hatte nun endlich Sieden und Dünsten gelernt und konnte mithin animalische Stoffe mit nahrhaften und gewürzhaften Erzeugnissen des Pflanzenreiches innig verbinden, sie zu einem Ganzen umbilden. Hierdurch also ward es der Kochkunst zuerst möglich, nach allen Seiten sich zu entwickeln.

Wir treten nun, den Topf in der Hand, in das Gebiet des Siedens und Dünstens hinüber. Sieden aber ist: einen Gegenstand durch im Wallen erhaltenes Wasser eßbar machen oder wenigsten seine Eßbarkeit zu erhöhen.

Brillat-Savarins »Höheres Tafelvergnügen«

1825, zwei Jahre nach Rumohrs »Geist der Kochkunst«, veröffentlichte der Franzose Jean Anthèlme Brillat-Savarin (1755–1826) sein Werk »Physiologie des Geschmacks oder Betrachtungen über das höhere Tafelvergnügen« – ein »Kompendium literarischen, philosophischen und leiblichen Genusses« (deutsche Übersetzung 1865 von dem Liebig-Schüler Carl Vogt, mit einem Anhang, geschrieben von Justus von Liebig). Brillat-Savarin studierte Jura und wurde Zivilrichter. Während der Revolution 1789 wurde er Mitglied der Konstituierenden Versammlung in Paris und für kurze Zeit Präsident des Zivilgerichts. 1793 emigrierte er nach Amerika, kehrte 1796 nach Paris zurück und erhielt später ein wichtiges Amt am Oberappellationsgericht in Paris. An seinem Buch über die Physiologie des Geschmacks soll er 25 Jahre lang gearbeitet haben.

Über den Ursprung der Feinschmeckerei schreibt Brillat-Savarin u. a.:

Die Feinschmeckerei trat auf, als sie notwendig wurde. (…) Was ließe sich auch einer Wissenschaft verweigern, die uns erhält von der Wiege bis zum Grabe, die die Wonnen der Liebe erhöht und das Vertrauen der Freundschaft, die den Haß entwaffnet, die Geschäfte erleichtert und uns auf dieser kurzen Bahn des Lebens den einzigen Genuß entbietet, der, statt zu ermüden, uns noch zu allen anderen erfrischt.

(…) solange die Köche sich diese Materie allein vorbehielten und man nichts als Kochbücher schrieb: blieb das Resultat nur das Produkt einer Kunst.

Aber endlich, vielleicht schon zu spät, kamen die Gelehrten, prüften, analysierten, rubrizierten die Nahrungsmittel und führten sie auf die einfachsten Elemente zurück. (…)

(1825 hatte Justus von Liebig (siehe weiter unten) noch nicht mit seinen lebensmittelchemischen Untersuchungen von Fleisch und auch Brot begonnen.)

Sie ergründeten ihren Einfluß bis ins Psychische hinein: ob die Seele von den Sinnen Eindrücke empfängt oder ob sie ohne deren Hilfe empfindet, und aus allen diesen Arbeiten bauten sie eine hohe Theorie, die den ganzen Menschen und die ganze organische Welt umschließt …

Abb. 6 Porträt des Advokaten und Schriftstellers Jean Anthèlme Brillat-Savarin (1755–1826).

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In einem fiktiven Kolleg eines Professors in Anwesenheit eines Küchenchefs äußert sich Brillat-Savarin unter der Überschrift Chemie in literarischer Sprache über Wärmekapazität und allgemeine Vorgänge des Garens, vergleicht Kochen und Backen und erwähnt auch die Bräunung beim Backen und Braten:

Die Flüssigkeiten, die Sie dem Feuer aussetzen, können nicht alle die gleiche Wärmemenge aufnehmen. Die Natur hat sie verschieden angelegt, sie verwahrt das Geheimnis dieser Skala, wir nennen sie Wärmekapazität.

Also: Sie können Ihren Finger ungestraft in kochenden Weingeist halten, aus kochendem Branntwein werden Sie ihn schon schneller ziehn, noch schneller aus Wasser, und ein plötzliches Tauchen in siedendes Öl würde Sie grausam verwunden: denn Öl kann ich dreimal stärker erhitzen als Wasser.

Abb. 7 Köche des 19. Jahrhunderts aus Brillat-Savarin: Physiologie des Geschmacks (1825).

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Die Folge davon ist: heiße Flüssigkeiten wirken sehr verschieden auf alle schmackhaften Dinge, die man hineintaucht. Was man mit Wasser behandelt, wird weich, löst sich auf oder wird Brei, man erhält Bouillon oder Extrakt. Was man mit Öl behandelt, zieht sich zusammen, färbt sich mehr oder minder dunkel, um schließlich zu verkohlen.

Im ersten Fall löst das Wasser das Nahrungsmittel auf und zieht die inneren Säfte heraus, im zweiten bleiben die Säfte erhalten, weil das Öl sie nicht lösen kann, und schließlich trocknen diese Körper aus, weil fortgesetzte Wärme ihre feuchten Teile verdampfen läßt.

Beide Methoden haben auch verschiedene Namen. Backen heißt: Nahrungsmittel in Öl oder Fett kochen. Im Sinn der Küche bedeutet Fett und Öl ziemlich das gleiche, denn Fett ist nur ein festes Öl, und Öl ist flüssiges Fett.

Brillat-Savarin berichtet dann ausführlich über die Nutzanwendung – und auch über eine interessante, im Experiment nachvollziehbare Probe:

Durch folgende Probe erkennt man, ob das Fett so heiß ist wie erwünscht: Schneiden Sie ein Stück Brot zum Eintauchen, stecken Sie’s 5–6 Sekunden in die Pfanne. Ist es dann fest und braun, so beginnen Sie sofort zu backen; sonst fachen Sie das Feuer an und versuchens noch einmal.

Versuch 1 Temperatur eines Speiseöles im »Brottest«

Materialien

Speiseöl, kleine Bratpfanne oder Butterpfännchen, kleine Streifen Toastbrot, Thermometer bis +250 °C

Durchführung

Das Butterpfännchen wird ca. 2 bis 3 cm hoch mit Speiseöl gefüllt und auf einer Herdplatte erhitzt. Nachdem eine Temperatur von über 150 °C erreicht ist, wird ein Streifen Toastbrot (ohne Rand) für 5 Sekunden in das Speiseöl getaucht. Weitere Versuche können auf gleiche Weise bei unterschiedlichen Temperaturen durchgeführt werden.

Beobachtungen

Beim Eintauchen des Brotes entstehen Gasblasen. Der eingetauchte untere Teil des Toastbrotes hat sich gelbbraun gefärbt und verfestigt.

Erläuterungen

Die sich beim Eintauchen des Toastbrotes bildenden Gasblasen bestehen (aufgrund des im Toastbrot enthaltenen Wassers) aus Wasserdampf. Die Temperatur über 150 °C reicht aus, um bereits eine Bräunungsreaktion (eine Maillard-Reaktion, siehe dazu die Erläuterung zu Versuch 68 in Abschnitt 5.1) einzuleiten. Bei zu niedrigen Temperaturen saugt sich das Toastbrot nur voll Speiseöl, ohne innerhalb der 5–6 Sekunden eine Bräunung aufzuweisen.

Der Temperaturtest kann auch mit einem Tropfen Wasser durchgeführt werden, der bei Temperaturen deutlich über 100 °C sofort mit zischendem Geräusch verdampft.

Schließlich widmet Brillat-Savarin auch dem Feuer und Kochen einen eigenen Abschnitt. Darin heißt es, nachdem die Entdeckung des Feuers als Zufall bezeichnet wird:

War einmal das Feuer da, so trieb den Menschen der Wille zur Vollkommenheit, das Fleisch in die Nähe des Feuers zu bringen, erst um es zu trocknen, dann um es auf Kohlen zu braten.

Man fand, so schmeckt das Fleisch viel besser: es wurde konsistenter, ließ sich leichter kauen, bekam ein Aroma und einen Geruch, die uns noch heute behagen. Allein man bemerkte, das Fleisch wurde durch die Kohle schmutzig, Ascheund Kohlenteilchen blieben immer hängen und waren schwer zu beseitigen. Diesem Übel half man ab, indem man es an Spieße steckte, die man in mäßiger Höhe über den Kohlen auf Steine legte. So kam man auf das Rösten, eine einfache und schmackhafte Zubereitung; denn jedes geröstete Fleisch bekommt einen hautgoût [franz.: »würziger« oder »Wildbret«geschmack; G.S.] , weil es etwas angeräuchert wird.

Brillat-Savarin bindet stets auch die geschichtlichen Entwicklungen in seine Texte ein. So folgen dem zitierten Text Abschnitte über Orientalische und griechische Festmahle (mit den einleitenden Sätzen: Die Küche ging mit Riesenschritten vorwärts, sobald man feuersichere Töpfe hatte, aus Erz und Ton. Nun konnte man Fleisch und Gemüse kochen, Bouillon, Saucen und Gelee.) sowie über Das Mahl der Römer.

Das Apicius-Kochbuch

Aus der Zeit der Römer ist das Kochbuch des Apicius überliefert. Marcus Gavius Apicius lebte zur Zeit des Kaisers Tiberius (regierte 14–37 n.Chr.). Römische Autoren wie Seneca haben über ihn als Feinschmecker und Erfinder extravaganter Gerichte berichtet. Als Gourmet war er weit über seine Zeit berühmt, am Ende des 4. Jahrhunderts wurde sein Name sogar als Synonym für Völlerei benutzt. Die ältesten uns überlieferten Handschriften des Kochbuchs unter seinem Namen stammen aus deutschen Klöstern des 9. Jahrhunderts. Die Rezepte stammen offensichtlich nur zum Teil von Apicius, vermitteln jedoch ein anschauliches Bild der Küche (und Kochkunst) der Römer. Eine wichtige Zutat vieler Rezepte war das so genannte garum, das sich durch Kochen auf folgende Weise gewinnen ließ:

Wenn man garum schnell herstellen will, d.h. nicht durch Sonneneinwirkung, sondern durch Kochen, soll man es so machen: Bereite Salzlake in einer Stärke, daß ein rohes Ei darauf schwimmt. Dann wirf den Fisch hinein (kleine Sardellen oder ähnliche Fischchen), dazu Origanum (Dost, Kraut zum Würzen; G.S.) und koche dies, bis die Flüssigkeit eingekocht ist.

Offensichtlich wurde das garum anstelle von reinem Salz verwendet, gelegentlich mit Wein gemischt. Als Garverfahren verwendete die altrömische Küche außer dem Kochen (z. B. von gehacktem Fleisch in einer Wursthaut: omentum) auch das Grillen (z. B. Würstchen aus Schweinsleber: omentata) sowie das Dünsten (Bouletten über Dampf kochen, Rezept 50: Hydragarata isicia). Auch Garverfahren in »heißer Asche« werden beschrieben, so ein »Vogelgericht« (»Feigenfresser«) mit Spargelpüree (kalt serviert), Rezept 132. Darüber hinaus werden zahlreiche Rezepte mit »kalten Garverfahren« vorgestellt, z. B. eine Sardellen-Patina (Patina de apua; patina: eigentlich Pfanne, Schüssel; Rezept 138) durch Einlegen der Sardellen in Öl, garum, Wein und Gewürze.

Abb. 8 Das Apicius-Kochbuch, Ausgabe 1909. Titelbild der Ausgabe von Martin Lister, Amsterdam 1709.

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1909 erschien eine Übersetzung des Apicius-Kochbuches ins Deutsche von Richard Gollmer. In der Einleitung ist darin zu lesen:

Das Interesse für die Kochkunst ist heute unzweifelhaft in starker Zunahme begriffen und zwar neigt es sich der rationellen Seite zu. Seit man einzusehen begonnen hat, einen wie grossen Einfluss die Ernährung auf die Verrichtungen von Körper und Geist des Menschen ausübt, finden wir namhafte Ärzte und Chemiker sich mit Küchenangelegenheiten beschäftigen und erfahren durch sie neue Ernährungstheorien, welche die alten Überlieferungen fast gänzlich umstossen.

Abb. 9 Pompeji, Küche im Haus der Vettier mit Feuerstelle und Küchengerät, 79 n. Chr.

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Dieser innige Zusammenhang zwischen Medizin, Chemie und Kochkunst ist uralt. Die ersten kulinarischen Aufzeichnungen haben hellenische Ärzte zu Verfassern und enthalten demgemäss auch diätetische Vorschriften und Untersuchungen über Nützlichkeit und Schädlichkeit einzelner Nahrungsmittel in Menge. Die schreibseligen Griechen hatten aber ferner noch eine bedeutende Literatur über Einkauf, Güte und Verwendung von Lebensmitteln, über einzelne Gruppen von Speisen und von richtigen Kochbüchern. All diese Dutzende von Werken sind jedoch im allgemeinen Zusammenbruch der hellenischen Welt zu grunde gegangen und würde nicht der Hector Athenäus, der zu Anfang des dritten Jahrhunderts nach Christus in Alexandrien und später in Rom lebte, in seinem Buch »Deipnosophistai« (Gelehrtengastmahl) häufig aus ihnen Stellen anführen, so kennten wir weder sie, noch ihre Verfasser.

Aber nicht dieses Werk des Athenäus ist als das »älteste Kochbuch« zu bezeichnen, sondern eine andere Sammlung von Rezepten, Hausmitteln und Küchenregeln, die um Christi Geburt in Rom geschrieben wurde und den Namen des Apicius trägt.…

Gollmer geht in seiner Einleitung auch auf die Entstehung der lateinischen Ausgabe ein:

Der Urtext hat durch Abschriften des Mittelalters so gelitten, dass das Latein, wie es [Martin] Lister, der Hofarzt der Königin Anna von England, vor zweihundert Jahren vorfand, wohl treffend mit dem Ausdruck »Küchenlatein« bezeichnet werden kann. Mit grossem Scharfsinn hat nun eine Reihe von Erläuterern Ergänzungen, Streichungen, Veränderungen angebracht, ja Schuch und sein Mitarbeiter Wüstemann (erschienen 1867, Verlag Winter in Heidelberg; G. S.) haben sogar ein ganzes Jahr praktischen Kochversuchen gewidmet und doch ist noch viel unverständlich geblieben. Noch heute aber ähnelt manche Nationalspeise in Spanien, Südfrankreich, Italien und Griechenland so sehr den Apicius-Gerichten und noch weit über dies Gebiet hinaus springen Anklänge an solche in die Augen, dass ich rekonstruierend manches aufklären, manches anders deuten und manche veränderte Stellen wieder herstellen nicht nur zu können, sondern auch zu müssen geglaubt habe.

Über die Soßen des Apicius (siehe oben) schreibt Gollmer unter anderem: