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Vorwort zur 2. Auflage

Liebe Leserin, lieber Leser,

11 Jahre nach der ersten Auflage des vorliegenden Buches ist das Risikomanagement nun an den meisten Unternehmen auch außerhalb der Banken‐ und Versicherungsbranche etabliert und hat an den Hochschulen seinen festen Platz in den Lehrplänen. War meine Vorlesung Angewandtes Risikomanagement damals noch Wahlpflichtfach im Diplom‐Studiengang Wirtschaftsmathematik, so ist sie jetzt Pflichtfach im neuen Master‐Studiengang Finanzdienstleistungen‐Risikomanagement an der HTW‐Berlin. Nicht zuletzt daher wurde es Zeit, mein Buch an die Entwicklung im Risikomanagement anzupassen.

Im stark überarbeiteten und erweiterten Teil 1: Risikomanagement werden Zufall, Risiko und der Nutzen von Risikomanagement diskutiert, Aufgaben, Methoden und der Prozess des Risikomanagements werden anhand von Praxisbeispielen systematisiert. In diesem Teil ist auch der bewährte Abschnitt über statistische Grundlagen enthalten, den der mathematisch versierte Leser überspringen kann, der vielen Praktikern jedoch den Zugang zur Anwendung des Risikomanagements erleichtert.

Teil 2: Risiken im Controlling ist neu. Der Fokus auf das Controlling als Basis des Risikomanagements wird damit noch einmal verstärkt. Controller sind die Lotsen im Unternehmen. Ihre Aufgabe ist die wirtschaftliche Steuerung des Unternehmens. Dazu ist es nicht ausreichend, den Erfolg zu messen oder zu planen, auch die in diesem Zusammenhang einzugehenden Risiken müssen analysiert und quantifiziert werden. Erst dann kann man entscheiden, ob der erwartete Erfolg die zu übernehmenden Risiken rechtfertigt. Wichtige Instrumente des Controllings werden hier daraufhin untersucht, was sie zum Risikomanagement beitragen können.

In Teil 3: Neoklassische Methoden habe ich die bewährten Abschnitte einsortiert, die sich an der Schnittstelle des Risikomanagements zur Finanzierung befinden und die in keinem Buch über quantitative Risikomanagementmethoden fehlen dürfen. Der hier zu findende Abschnitt über die Berechnung von Renditen und Volatilität sowie die Abhandlung über den Value‐at‐Risk und die Simulationsmöglichkeiten zu seiner Bestimmung sind neu hinzu gekommen, da ihre Verbreitung in der Praxis in den letzten Jahren zugenommen hat.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und bei der Anwendung der Methoden in der Unternehmenspraxis. Über Feedback von Ihnen würde ich mich freuen. Bitte senden Sie es an r.finke@gmx.net.

Berlin, im Juli 2017
Robert Finke

Vorwort zur 1. Auflage

Liebe Leserin, lieber Leser!

Immer mehr Unternehmen außerhalb der Banken‐ und Versicherungsbranche entscheiden sich, ihre Risiken aktiv zu steuern, anstatt sie einfach nur hinzunehmen.

Die Aufgabe des Controllings ist die wirtschaftliche Steuerung des Unternehmens. Dort sind die Kompetenzen für Planung, Planverfolgung und Abweichungsanalyse angesiedelt. Daher ist es natürlich, das Controlling um die Dimension Risiko zu erweitern: Anstatt lediglich den Erfolg zu maximieren, werden Erfolg und die zu dessen Erzielung zu übernehmenden Risiken gleichzeitig betrachtet. Ein erfolgversprechendes Geschäft wird nur dann verfolgt, wenn die Höhe des erwarteten Erfolgs die zu übernehmenden Risiken rechtfertigt!

Fangen Controller an, sich mit Risiken zu beschäftigen, so stellen sie schnell fest, das Risiken viel mit mehr oder weniger zufälligen Ereignissen zu tun haben. Um diese zu analysieren, müssen sich die Controller mit Statistik beschäftigen – meist keine reizvolle Aufgabe für Nichtmathematiker.

Das vorliegende Buch wendet sich daher an Controller, die in das Risikocontrolling einsteigen möchten und sich die dazu erforderlichen quantitativen Instrumente erschließen wollen. Es ist aus meinen Risikomanagement‐Vorlesungen für Studierenden der Wirtschaftsmathematik und des Wirtschaftsingenieurwesen hervorgegangen. Grundlegende quantitative Konzepte des Risikocontrollings werden vorgestellt. Das erforderliche statistisch‐mathematische Rüstzeug wird anschaulich und anhand vieler Beispiele und Fallstudien aus dem Risikomanagement erarbeitet. Dabei wird häufig der Bezug zu Controlling‐Methoden hergestellt, die den Leserinnen und Lesern aus ihrer Controllingpraxis bekannt sein dürften.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und bei der Anwendung der Methoden in der Unternehmenspraxis. Über Feed‐Back von Ihnen würde ich mich freuen. Senden Sie es an r.finke@gmx.net.

Berlin, im März 2005
Robert Finke

Teil I
RISIKOMANAGEMENT

1
Gier, Angst und Risikomanagement

1.1 Gier und Angst: Emotionale Entscheidungen

»Gier ist gut.« Dieser Ausspruch stammt von dem legendären Investor Gordon Gekko (gespielt von Michael Douglas) aus dem Film Wall Street aus dem Jahr 1987. Da Gordon Gekko seine Investitionsentscheidungen auf Basis von Insiderinformationen – was ihn letztlich ins Gefängnis gebracht hat – getroffen hat, kann man bezweifeln, ob sein Leitmotto für ihn selbst hilfreich war. Die Gier und ihr Gegenstück, die Angst, sind starke Triebkräfte für das Verhalten des Menschen. Sicherlich ist Gier bisweilen gut, wenn sie zu Anstrengung motiviert. Gleichsam ist Angst hilfreich, wenn sie achtsames und vorsichtiges Verhalten in gefährlichen Situationen bewirkt. Als Basis für Entscheidungen unter Unsicherheit taugen beide Emotionen – Gier und Angst – jedoch nicht!

Jeder kennt Situationen, in denen er aus Gier oder Angst Entscheidungen getroffen hat, die er im Nachhinein bereut hat. Viele hören in der Spätphase eines Börsenbooms von den Gewinnen Anderer und fühlen sich schlecht, da die Anderen und nicht sie selbst mühelos viel Geld mit steigenden Wertpapieren verdient haben. Dann kommt die Emotion Neid auf, eine Spielart der Gier. Dadurch wird der angemessene Gedanke, dass die Börsenkurse nun schon sehr hoch sind und damit ein erhebliches Verlustrisiko besteht, zur Seite geschoben, und es werden Aktien gekauft. Bei einer Blase am Aktienmarkt in der Spätphase spricht man von einer Hausfrauenhausse, wenn nun sogar diejenigen massiv in den Markt einsteigen, die für das Treffen von derartigen Entscheidungen keine speziellen Fähigkeiten mitbringen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich noch gut an den Internetaktienboom bis Frühjahr 2001. In diesem Aktienboom sind speziell Internet‐ und Telekommunikationsaktien enorm gestiegen. In der Spätphase des Booms waren Börsengänge junger Techfirmen das Flurgespräch meiner Studierenden. Da während des Booms die Kurse nach einer Aktienemission meist deutlich stiegen, wollte niemand etwas verpassen und Aktienemissionen wurden vielfach – natürlich ohne den Emissionsprospekt zu lesen oder sich Gedanken über die Angemessenheit des Emissionspreises zu machen – gezeichnet. Es ging zunächst meist gut, bis dann am Ende….

Aus Gier werden viele Fehlentscheidungen getroffen. Manche sind so gierig auf eine Beute, dass sie das Risiko, erwischt und bestraft zu werden, nicht ausreichend analysieren. Der fiktive Gordon Gekko aus dem Film Wall Street könnte hier als Beispiel herhalten. Aber auch viele Manager und Prominente, von deren Verurteilungen wegen Betrugs oder Steuerhinterziehung man in der Tagespresse liest, haben häufig irrational gehandelt.

Nun ein Beispiel zur Veranschaulichung: Angenommen jemand, der schon 100 Millionen Euro hat, kann ein Geschäft machen, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% weitere 20 Millionen Euro Profit verspricht und mit einer Wahrscheinlichkeit von 10% zu keinem Profit, aber zu einer Haftstrafe von mehreren Jahren führt. Wie würden Sie sich entscheiden? Würden Sie in das Geschäft einsteigen? Für jemanden, der nichts hat, könnte es interessant sein, eine mehrjährige, aber unwahrscheinliche Haftstrafe zu riskieren, um mit großer Wahrscheinlichkeit an 20 Millionen Euro zu kommen. Für jemanden, der jedoch schon 100 Millionen Euro hat, ist diese Option wesentlich weniger interessant. Dennoch riskieren viele (reiche) Betrüger Haftstrafen, um an Geld zu kommen, das sie mit großer Wahrscheinlichkeit in diesem Leben ohnehin nicht mehr ausgeben würden. Ist das logisch, ist das rational? Nein, die Entscheidung ist emotional getrieben – durch Gier.

Angst ist kein besserer Berater als Gier. Angst ist eine unangenehme Emotion. Man möchte sie loswerden, sie vermeiden. Aus Angst nehmen viele Menschen vollkommen ungerechtfertigte Strapazen oder Kosten auf sich, um zum Teil triviale Risiken zu vermeiden. Mir sind Menschen bekannt, die aus Angst vor Altersarmut so viele Vorsorgeverträge abschließen, dass sich als Folge dessen ihr verfügbares Einkommen (nach Abzug der für die Vorsorge zu leistenden Zahlungen) mit Eintritt in den Ruhestand höchstwahrscheinlich erhöhen wird! Viele Arbeitnehmer sind mit ihrer Arbeit unzufrieden. Obgleich sie der Ansicht sind, dass andere Tätigkeiten erfüllender und/oder erfolgversprechender wären, bemühen sie sich nicht ernsthaft um eine Alternative. Das wirkt auf den ersten Blick irrational. Es hat aber viel mit Angst zu tun. Der Angst vor Veränderung, die in der Angst vor Ungewissheit begründet ist. Denn die jetzige missliche Situation ist bekannt. Obgleich eine Veränderung höchstwahrscheinlich Verbesserungen bringen würde, könnte es jedoch auch schlimmer werden. Der gleiche Mechanismus trifft in vielen Ehen, Partnerschaften und anderen Beziehungen zu. Gut sind sie vielfach nicht! Da die leidbehaftete Situation jedoch bekannt ist, wird aus Angst (vor der ungewissen und möglicherweise noch schlechteren Zukunft) von jedweder Veränderung abgesehen. Lieber »sicheres« Leiden als Ungewissheit lautet in diesem Fall die Devise.

Es sind auch vollkommen andere Szenarien denkbar, in denen Angst kein guter Berater im Umgang mit Risiken ist. Aus mangelnder Angst, man kann es Leichtsinn nennen, werden manche Risiken unterschätzt: Wenn ein Vertreter durch eine riskante Fahrweise bei viel zu hoher Geschwindigkeit sowohl seine als auch die körperliche Unversehrtheit anderer Verkehrsteilnehmer aufs Spiel setzt, um sich bei einem Termin nicht einige Minuten zu verspäten, so hat er möglicherweise das falsche Risiko vermieden. Abends nach dem Kneipenbesuch – bei dem sich die Risikoakzeptanz in der Regel deutlich erhöht – fahren viele mit dem Auto nach Hause. Ihnen ist dabei klar, dass sie bei einer Alkoholkontrolle durch die Polizei ihren Führerschein verlieren würden. Da reicht die Angst vor dem Führerscheinentzug, der möglicherweise den Arbeitsplatz kostet, nicht, um die Unbequemlichkeit einer alternativen Heimfahrt zu rechtfertigen.

1.2 Risikomanagement: Rationale Entscheidungen

Wie kann nun dem Problem beigekommen werden, dass aus Gier oder Angst viele Fehlentscheidungen getroffen werden? Es gibt zwei generelle Möglichkeiten. Die erste ist der psychologische Ansatz. Er setzt an den Emotionen an. Durch ihre Untersuchung und Verminderung können sicherlich enorme Verbesserungen erreicht werden. Die zweite Möglichkeit ist das Risikomanagement. Im Risikomanagement wird die Angst als psychologisches Phänomen erst einmal beiseite geschoben. Damit wird die Situation objektiviert. Dann werden die Risiken aufgedeckt, analysiert und bewertet. Auf dieser Basis ist es schlussendlich möglich, rational begründbare Entscheidungen zum Umgang mit den Risiken zu treffen. Dies kann bedeuten, dass manche Risiken einfach hingenommen, andere dagegen vermieden werden, auch wenn dies zu Kosten führt. Insbesondere bedeutet Risikomanagement die Entwicklung ausgefeilter Strategien zur Verbesserung des Verhältnisses von Risiken, Erfolgsaussichten und Kosten. Da auch das Risikomanagement die Ungewissheit der Zukunft nicht verhindern kann, verbleiben stets Risiken. Manche nach den Kriterien des Risikomanagements getroffene Entscheidungen mögen im Nachhinein auch bereut werden. Die Wahrscheinlichkeit für einen ungünstigen Ausgang wird aber in Bezug auf das, was zu erreichen ist, minimiert.

Dass Risikomanagement so populär ist, liegt, meiner Meinung nach, daran, dass schon der Erwerb von Risikomanagementprodukten oder die Einführung derartiger Konzepte unterschwellige Angst mindert und ein gutes Gefühl bewirkt. Da Risikomanagement immer Ressourcen bindet und mithin Kosten verursacht, muss auch hier der Tendenz entgegengetreten werden, aus Angst »zuviel« Risikomanagement einzuführen. Es ist stets hilfreich, der bekannten Devise so viel wie nötig und so wenig wie möglich zu folgen.

Das vorliegende Buch hat das Ziel, dem Leser auf eine praxisorienterte und verständliche Art und Weise grundlegende Methoden des Risikomanagements nahe zu bringen. Nach meiner Erfahrung vermeiden viele Manager penibel die Beschäftigung mit mathematisch‐statistischen Methoden. Diese Widerstände wurden mir persönlich an folgender Erfahrung deutlich: Als ich in einer Vorlesung des strategischen Controllings die Lernkurve erläuterte und dazu (eine einfache) mathematische Gleichung vorstellte, fragte mich unlängst ein Student empört: »Bitte sagen Sie mir einmal, was Logarithmen mit strategischem Controlling zu tun haben können?!«

Der Kern des Risikomanagements ist zwangsläufig der Zufall beziehungsweise die Unsicherheit. Deren Beschreibung und Analyse ist für die meisten Menschen nicht intuitiv möglich. Daher ist Risikomanagement ohne mathematisch‐statistische Methoden nicht seriös denkbar. Aus diesem Grund werden im Folgenden vor allem quantitative Methoden zur Steuerung von Risiken vorgestellt. Das mathematisch‐statistische Rüstzeug wird dabei bewusst nicht ausgespart. Mir ist es jedoch ein wichtiges Anliegen, die Zugangsschwellen der Leser abzubauen. Daher habe ich versucht, Abstraktes anschaulich und interessant darzustellen – auch wenn dies gelegentlich zu Lasten der Vollständigkeit und Exaktheit geht.

1.3 Zufall oder Determinismus

Jemand lässt ein Glas los. Es fällt herunter, das war vorher klar. Das Ereignis Glas fällt herunter war in dem Moment determiniert (vorherbestimmt) als selbiges losgelassen wurde. Jemand kauft eine Aktie. Sie fällt. Das wusste der Käufer sicherlich nicht vorher – sonst hätte er ja nicht gekauft. Das Ereignis Aktie fällt war für ihn zufällig. Die Aktie ist gefallen, da das Unternehmen, das die Aktie ausgegeben hat, schlechte Ergebnisdaten veröffentlicht hat. Der Vorstand des Unternehmens wusste von den schlechten Ergebnisdaten und dem Veröffentlichungstermin schon vorher. Daher war das Ereignis Aktie fällt für ihn nicht zufällig, sondern determiniert. Der Unternehmensvorstand verfügte über mehr Wissen als der oben angesprochene Käufer der Aktie.

Die Welt ist nicht beständig. Allen Dingen wohnt eine unablässige Veränderlichkeit inne. Von einem Moment zum nächsten bleibt nichts so wie es ist. Hier stellt sich sofort die Frage, ob diese Veränderungen (die Ereignisse sind) deterministisch (vorherbestimmt) oder zufällig sind. Diese Frage führt auf eine definitorische Abgrenzung der Begriffe determiniert und zufällig. Man ist schnell versucht, alle Ereignisse, deren Eintreten nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden kann, als zufällig zu bezeichnen. Dies ist jedoch unzulässig. Die Voraussagbarkeit von zukünftigen Ereignissen hängt vom Wissen des Voraussagenden ab. Um ein Ereignis vorauszusagen, sind in der Regel Kenntnisse erforderlich: Kenntnisse von Zusammenhängen, den sogenannten Ursache‐Wirkungs‐Beziehungen und Kenntnisse von relevanten Informationen bezüglich des Vorliegens der erforderlichen Voraussetzungen zum Ablauf dieser Ursache‐Wirkungs‐Ketten. Damit liegt auf der Hand, dass manche Ereignisse für Menschen mit den erforderlichen Kenntnissen deterministisch, für andere Menschen jedoch zufällig scheinen. Da das insgesamt verfügbare Wissen (der Menschheit) im Zeitverlauf zunimmt, können Ereignisse heute zufällig scheinen, die in der Zukunft voraussagbar wären – nachdem neue Ursache‐Wirkungs‐Beziehungen oder neue Informationen bekannt geworden sind. So sind Wetterprognosen heute wesentlich zuverlässiger als noch vor einigen Jahrzehnten. Durch bessere Modelle und leistungsfähigere Computer ist es möglich, meteorologische Veränderungen genauer als früher zu berechnen.

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Abbildung 1.1: Zufall oder Determinismus

Die Definition des Zufalls im Grimm'schen Wörterbuch [Klein] lautet »Zufall ist das unberechenbare Geschehen, das sich unserer Vernunft und unserer Absicht entzieht«. Auch diese Definition erlaubt nicht im Einzelnen zwischen Zufall und Determinismus abzugrenzen.

Das Vorliegen des Zufalls ist somit subjektiv, als es vom Wissen beziehungsweise der Vernunft und Absicht abhängt.

Beispiel: Zufall

Ein Autofahrer leidet darunter, dass es scheinbar vom Zufall abhängt, ob sein Auto anspringt. In der Realität liegt ein technischer Defekt vor, der Probleme beim Anspringen beschert, wenn die Witterung gleichzeitig feucht und kalt ist. Sobald der Autofahrer diesen Ursache‐Wirkungs‐Zusammenhang erkennt, ist für ihn das Startverhalten seines Autos nicht mehr zufällig. Dabei ist es nicht wichtig, ob er den Zusammenhang nur empirisch erkannt oder auch technisch verstanden hat.

1.4 Ereignisse, Zufall und Risiko

Alle Veränderungen sind auf Ereignisse zurückzuführen. Hier kommt der Zufall ins Spiel. Entweder ist ein Ereignis bereits eingetreten oder es wird mit Sicherheit eintreten beziehungsweise es kann lediglich eintreten. Im Ist‐Fall ist das Ereignis vergangen, obgleich man mitunter noch mit den Resultaten zu kämpfen hat. Vergangene Ereignisse sind nicht mehr unsicher und stellen auch keine Risiken dar, obgleich das vor ihrem Eintreten anders gewesen hätte sein können. Wenn jemand tot ist, ist er nicht mehr dem Risiko zu sterben ausgesetzt! Im Wird‐Fall handelt es sich um ein deterministisches Ereignis. Jeder wird (irgendwann) sterben! Auch dies ist kein Risiko. Lediglich im Kann‐Fall handelt es sich um ein zufälliges Ereignis. Zufällige Ereignisse sind naturgemäß unsicher. Sie sind damit aber noch lange nicht riskant.

Es empfiehlt sich, ein Ereignis als Chance für eine Person oder Institution zu begreifen, wenn es erstens unsicher ist und zweitens sein Eintreten dem Nichteintreten vorgezogen wird. Analog wird ein Ereignis als Risiko bezeichnet, wenn es unsicher ist und sein Nichteintreten dem Eintreten vorgezogen wird. Aus Vereinfachungsgründen wird im Folgenden der Begriff Risiko synonym für Chance und Risiko verwendet. Man spricht dann auch von positiven Risiken und negativen Risiken.

Bei dieser Risikodefinition leuchtet sofort ein, dass das Vorliegen eines Risikos in doppelter Hinsicht subjektiv, das heißt von der beurteilenden Person/Institution abhängig ist. Die erste Voraussetzung für Risiko ist Unsicherheit. Ob ein Ereignis für jemanden unsicher ist, hängt vom Kenntnisstand des Beurteilenden ab. Die zweite Voraussetzung ist, dass der Beurteilende dem Ereignis nicht neutral gegenübersteht, es also entweder begrüßt oder ablehnt. Auch dies ist subjektiv: Was dem Einen wichtig ist, kann dem Anderen vollkommen gleichgültig sein.

Im engeren Sinne kann es Risiken nur für Personen und Tiere geben. Um ein Ereignis als positiv oder negativ bewerten zu können, ist eine Willensbildung notwendig. Und Willensbildung setzt Bewusstsein (der eigenen Existenz) oder Instinkt voraus. Aus der Sicht eines Hausbesitzers besteht das Risiko, dass bei einem Gewitter ein Blitz in sein Haus einschlägt und es in Brand setzt. Aus Sicht des Hauses besteht das Risiko nicht. Das Haus wertet nicht!

Analog kann von Risiken für Gemeinschaften von Personen oder für Institutionen gesprochen werden. Diese müssen dazu einheitliche Präferenzen bezüglich bestimmter Ereignisse haben. Eine unerwartete Lohnerhöhung der Beschäftigten eines Unternehmens verschiebt einen Teil der betrieblichen Wertschöpfung von den Aktionären zu den Mitarbeitern. Die Aktionäre erhalten einen geringeren Gewinn und die Mitarbeiter die entsprechende Lohnerhöhung. Für die Aktionäre stellt dieses Ereignis (bevor es eingetreten ist) ein negatives Risiko dar, für die Mitarbeiter ein positives. Die Gemeinschaft der Stakeholder des Unternehmens hat in Bezug auf Lohnerhöhungen keine einheitlichen Präferenzen.

Beispiel: Risiken

Ob der Wert einer Aktie steigt oder fällt, ist nur für denjenigen riskant, der die Aktie besitzt. Für andere ist dieses Ereignis zwar zufällig, aber nicht risikobehaftet.

Ob es morgen regnen wird oder nicht, ist nur für denjenigen riskant, der eventuell nass wird und das nicht schätzt. Für ein kleines Kind, dem es egal ist, ob es nass wird, stellt Regen kein Risiko, sondern nur ein zufälliges Ereignis dar.

1.5 Risiken für Unternehmen

Ein wichtiges Instrument der Unternehmensführung ist die Unternehmensplanung. Sie dient der Willensbildung im Unternehmen. Die Unternehmensziele sind ein Bestandteil der Planung. Typische Unternehmensziele sind: Existenzsicherung, Marktführerschaft, Umsatzsteigerung von 12 Prozent innerhalb eines Jahres, ein Gewinn von 25 Millionen Euro, eine Kapitalrentabilität von 15 Prozent oder auch die Steigerung des Unternehmenswerts. Zur Unternehmensplanung gehört die Prognose des Unternehmensumfelds, beispielsweise der Wettbewerbssituation, der Währungswechselkurse oder Rohstoffpreise. Letztlich gehört zur Unternehmensplanung die Erarbeitung konkreter Maßnahmen, wie Produktentwicklung, Erschließung neuer Märkte, Investitionen, Preispolitik. Dabei sollten die Maßnahmen geeignet sein, um die gesetzten Ziele unter Berücksichtigung der Umfeldprognose zu erreichen.

Wegen ihres Zukunftsbezugs ist die Planung naturgemäß unsicher. Ob die Ziele erreicht werden, hängt davon ab, in wie weit sich die Umfeldprognose als zutreffend herausstellt, ob die Maßnahmen wie geplant realisiert werden können und wie das Umfeld auf die Maßnahmen reagiert.

Die Unternehmensziele setzen zudem Präferenzen für zukünftige Ereignisse. Alle unsicheren Ereignisse, die Auswirkungen auf das Erreichen der Unternehmensziele haben, sind für das Unternehmen riskant. Die übrigen Ereignisse sind es nicht.

Mit diesen Vorüberlegungen kann eine kompakte Definition für Risiken aufgestellt werden, die Unternehmen betreffen.

Definition: Risiko für ein Unternehmen

Ein Ereignis stellt für ein Unternehmen ein Risiko dar, wenn sein Eintreffen sowohl unsicher ist, als auch Auswirkungen auf das Erreichen der Unternehmensziele hat.

Beispiel: Währungskursrisiken für ein Unternehmen

Ein deutsches Produktionsunternehmen produziert in Deutschland und exportiert seine Güter zu in US‐Dollar festgelegten Preisen in die USA. Das Unternehmen hat unter anderem das Ziel, einen bestimmten Gewinn zu erwirtschaften. Der zukünftige Wechselkurs des US‐Dollars gegenüber dem Euro (zukünftiger Wert eines Dollars ausgedrückt in Euro) ist unsicher. Ein höherer Wechselkurs bietet eine Chance für das exportierende Unternehmen (der Erlös gemessen in Euro erhöht sich), ein niedrigerer Wechselkurs des Dollars hingegen ist als Risiko aufzufassen (der Erlös gemessen in Euro verringert sich). Der Wechselkurs des japanischen Yens gegenüber dem Euro ist ebenfalls unsicher. Da das Unternehmen aber nicht nach Japan exportiert, ist diese Unsicherheit irrelevant für die Zielerreichung des Unternehmens. Vom Yen‐Kurs gehen daher weder Chancen noch Risiken aus.

Würde das Unternehmen elektronische Bauteile aus Japan zu in Yen festgelegten Preisen einkaufen, so würde ein steigender Yen‐Kurs ein Risiko bedeuten (die Materialkosten gemessen in Euro stiegen) und ein fallender Yen‐Kurs eine Chance sein.

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Abbildung 1.2: Zufall oder Risiko